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Antiprotonen in Superflüssigkeit Materie und Antimaterie – vereint zu einem Hybrid-Molekül

Quelle: Pressemitteilung Katharina Jarrah Lesedauer: 6 min |

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Mit speziellen Techniken bringen Forscher zusammen, was sich normalerweise gegenseitig auslöscht: Materie und Antimaterie. Die daraus gebildeten Hybrid-Moleküle haben Wissenschaftler am CERN nun erstmals in einer „Superflüssigkeit“ spektroskopisch untersucht. Das könnte auch bei der Erforschung Dunkler Materie helfen.

Garching b. München – Wenn Forscher einen Blick in die Schattenwelt der Antimaterie werfen wollen, müssen sie auf ausgeklügelte technische Tricks zurückgreifen. Es gilt schließlich zu verhindern, dass die Antimaterieproben mit der uns umgebenden normalen Materie in Kontakt kommen. Andernfalls würden sich Antimaterie und Materie sofort gegenseitig zerstören. Trotzdem haben es Wissenschaftler in einem internationalen Team unter Federführung des Garchinger Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) geschafft, Materie und Antimaterie zu exotischen, hybriden Atomen aus Helium zu kombinieren, die für kurze Zeit stabil bleiben. Nun haben die Forscher aus Italien, Ungarn und Deutschland überdies eine Möglichkeit entdeckt, die so gebundenen Antiteilchen sehr genau spektroskopisch zu untersuchen.

Forschung an den Grenzen der klassischen Physik

Bei ihren Experimenten am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf tauchten die Wissenschaftler die bizarren atomaren Gebilde in flüssiges Helium und kühlten dieses bis auf Temperaturen nahe beim absoluten Nullpunkt ab – wo das Helium in einen so genannten superfluiden Zustand übergeht. Das Experiment zeigte, dass die hybriden Antimaterie-Materie-Atome trotz ihrer dichten, flüssigen Umgebung sehr empfindlich und genau auf eingestrahltes Laserlicht reagieren.

„Spannend sind Experimente an Antimaterie vor allem im Hinblick auf fundamentale Gesetzmäßigkeiten der Physik“, sagt Prof. Masaki Hori, der Leiter des Teams. So verlangt das Standardmodell der Teilchenphysik, dass sich Teilchen und ihre Antiteilchen lediglich im Vorzeichen ihrer elektrischen Ladung unterscheiden. Ein Antiproton – das Gegenstück zum positiv geladenen Proton – trägt demnach eine negative Ladung. Nach dem Standardmodell der Physik sind die anderen Eigenschaften identisch. „In unseren bisherigen Experimenten haben wir keinen Hinweis darauf gefunden, dass sich die Massen von Protonen und Antiprotonen auch nur im Geringsten unterscheiden“, berichtet Hori.

Wenn ein Unterschied in den Massen von Proton und Antiproton – wie gering er auch sein mag – nachgewiesen werden könnte, würde das die Grundlagen unseres derzeitigen Weltbildes erschüttern .

Prof. Masaki Hori, Leiter der Forschungsgruppe Antimatter Spectroscopy, Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ)

Doch vielleicht sind die verfügbaren experimentellen Verfahren nur nicht empfindlich genug, um möglicherweise vorhandene feine Unterschiede aufzuspüren. „Wir können das nicht ausschließen, bevor wir es nicht tatsächlich gemessen haben“, meint Hori. Daher feilen Wissenschaftler weltweit an Techniken, um die Merkmale von Antiteilchen immer noch ein bisschen genauer zu untersuchen. „Dazu lässt man Atome oder Moleküle für spektroskopische Messungen beispielsweise in Vakuumkammern magnetisch schweben oder sperrt sie in Ionenfallen ein“, erklärt der Forscher. „Das hybride Heliumatom haben wir im Team bisher dazu verwendet, die Massen von Antiprotonen und Elektronen präzise miteinander zu vergleichen.“

Mit den neuesten Erkenntnissen seines Teams hat der Garchinger Physiker nun den Weg zu einer weiteren, sehr sensiblen Messmethode geebnet: die hochaufgelöste optische Spektroskopie an Antiprotonen-Helium-Atomen in einer supraflüssigen Umgebung.

Wie entsteht ein Antimaterie-Hybrid?

Um die exotischen Heliumatome mit darin enthaltenen Antiprotonen zu erzeugen, nutzten die Forscher den Antiprotonen-Entschleuniger am CERN – eine weltweit einzigartige Anlage, die es ermöglicht, die Antimaterieteilchen, die bei Zusammenstößen von energiereichen Protonen entstehen, abzubremsen. Die langsame Geschwindigkeit der Antiprotonen macht sie nutzbar für Experimente wie die des Teams um Hori.

Die Forscher mischten die langsamen Antiprotonen mit flüssigem Helium, das sie auf Temperaturen von wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt bei -273 °C abkühlten. Dabei fingen Atome des Heliums einen kleinen Teil der Antiprotonen ein. Jedes eingefangene Antiproton ersetzte eines der beiden Elektronen, die normalerweise einen Helium-Atomkern umgeben – und formte so ein Gebilde, das lange genug stabil blieb, um es spektroskopisch zu untersuchen.

Spektrallinien, unverschmiert

„Bisher dachte man, dass sich Antimaterie-Atome, die in Flüssigkeiten eingebettet sind, nicht durch hochauflösende Spektroskopie mit Laserstrahlen untersuchen lassen“, sagt Hori. Denn die intensiven Wechselwirkungen zwischen den dicht gepackten Atomen oder Molekülen der Flüssigkeit führen zu einer starken Verbreiterung der Spektrallinien, anders als es bei Messungen in Gasen der Fall ist, wo die Teilchen vergleichsweise schwach miteinander wechselwirken.

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Die Spektrallinien werden oft als „Fingerabdruck“ jedes atomaren Teilchens umschrieben. Ihre genaue Lage auf der Frequenzskala sowie ihre Form verraten den Forschern Details über die Eigenschaften der untersuchten Atome – und über die Kräfte, die auf die Antiteilchen wirken. Doch durch die Verbreiterung der Linien werden diese Informationen überdeckt, quasi verschmiert. Hori und seinem Team gelang es nun erstmals, das „Verschmieren“ der Spektrallinien in einer Flüssigkeit zu unterbinden.

Spektroskopie nahe dem absoluten Nullpunkt

In einer Reihe von Experimenten nahmen die Wissenschaftler die antiprotonischen Helium-Atome bei unterschiedlichen Temperaturen unter die spektroskopische Lupe. Dazu bestrahlten sie die Helium-Flüssigkeit mit dem Licht eines Titan-Saphir-Lasers, das zwei markante Resonanzen der Antiprotonen-Atome bei zwei verschiedenen Frequenzen anregte. Die überraschende Entdeckung: „Sank die Temperatur unter die kritische Temperatur von 2,2 K – also 2 °C über dem absoluten Nullpunkt –, bei der das Helium in einen superfluiden Zustand übergeht, verwandelte sich schlagartig die Gestalt der Spektrallinien“, berichtet Anna Sótér, die erste Doktorandin im Team des MPQ und inzwischen Assistenzprofessorin an der ETH Zürich. „Aus den bei höherer Temperatur sehr breiten und unregelmäßig geformten Linien wurden schmale und gleichförmige.“

Die superfluide Phase ist ein besonderer flüssiger Zustand, der u. a. durch das Fehlen einer inneren Reibung gekennzeichnet ist. Das quantenphysikalische Phänomen ist typisch für Helium bei extrem tiefen Temperaturen. „Wie die markante Veränderung der Spektrallinien des Antiprotons in einer solchen Umgebung zustande kommt und was dabei physikalisch geschieht, wissen wir bislang nicht“, sagt der MPQ-Physiker Hori. „Wir waren davon selbst überrascht.“

Einsichten in die Hyperfeinstruktur

Die Möglichkeiten, die der Effekt bietet, sind allerdings weitreichend. Denn die Verschmälerung der Resonanzlinien ist so drastisch, dass sich bei einer Anregung mit Licht die so genannte Hyperfeinstruktur auflösen lässt, berichten die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Veröffentlichung. Die Hyperfeinstruktur ist eine Folge der gegenseitigen Beeinflussung des Elektrons und des Antiprotons in dem Atom. Das deutet darauf hin, dass sich in supraflüssigem Helium andere hybride Heliumatome mit verschiedenen Arten von Antimaterie oder mit exotischen Teilchen erzeugen lassen könnten, um ihre Reaktion auf Laserlicht im Detail zu untersuchen und ihre Masse zu bestimmen. Ein Beispiel dafür sind pionische Heliumatome, die vor Kurzem im 590-Megaelektronenvolt-Zyklotron des Paul-Scherrer-Instituts in Villingen (Schweiz) mittels Laserspektroskopie untersucht wurden.

Hilfreich zur Erforschung Dunkler Materie?

Zudem könnten die scharfen Spektrallinien hilfreich sein beim Nachweis von Antiprotonen und Antideuteronen in der kosmischen Strahlung. Ihnen sind Forscher bereits seit Jahren auf der Spur, etwa mit Experimenten an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Demnächst werden Wissenschaftler auch einen Testballon über der Antarktis starten – mit einem Instrument an Bord, das Antiprotonen und Antideuteronen aufspüren kann, die möglicherweise in sehr großen Höhen in der Atmosphäre existieren. „Detektoren mit superfluidem Helium könnten solche Versuche unterstützen und wären geeignet, Antiteilchen aus dem All einzufangen und zu analysieren“, sagt Hori.

Das würde womöglich zur Lösung eines anderen großen Rätsels beitragen: der Frage nach dem Wesen der Dunklen Materie – einer ominösen und bislang unbekannten Materieform, die nicht sichtbar ist, aber offenbar einen Großteil der Masse im Universum ausmacht. In einigen Theorien wird angenommen, dass bei der Wechselwirkung Dunkler Materie im Halo unserer Galaxie Antiteilchen entstehen, die dann zur Erde gelangen können. Ausgerechnet Antimaterie könnte so Licht in dieses Dunkel bringen.

Originalpublikation: Sótér, A., Aghai-Khozani, H., Barna, D. et al.: High-resolution laser resonances of antiprotonic helium in superfluid 4He, Nature , 603, pages 411–415 (2022); DOI: 10.1038/s41586-022-04440-7

* K. Jarrah, Max-Planck-Institut für Quantenoptik 85748 Garching b. München

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