Verbesserte Wundheilung dank Probiotika Alles andere als steril: Wundverband mit Milchsäurebakterien soll Heilung fördern
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In der Medizin gehört es zu den wichtigsten Aufgaben, Objekte wie Operationsbesteck oder Verbandmaterial steril zu halten. Doch zur Behandlung chronischer Wunden könnte gerade der gezielte Einsatz von Bakterien die Heilung unterstützen. Einen solchen probiotischen Wundverband entwickeln Empa-Forscher in der Schweiz.

Millimeter für Millimeter bahnt sich neues Gewebe seinen Weg durch eine Wunde, bis es eine Hautverletzung wieder geschlossen hat. Im günstigsten Fall ist bald nichts mehr zu sehen von einer Knieschramme, einem Fingerschnitt oder einer Brandblase. Nicht so jedoch bei chronischen Wunden: Wenn sich die Verletzung nach vier Wochen nicht geschlossen hat, liegt eine Wundheilungsstörung vor. Mitunter kann sich eine scheinbar harmlose Gewebeschädigung so zu einem permanenten gesundheitlichen Problem auswachsen bis hin zu einer Blutvergiftung.
Die Behandlung ist besonders schwierig, da sich Keime in diesen chronischen Wunden einnisten, die sich perfekt zu schützen wissen. Diese Bakterien bilden einen Biofilm, einen hartnäckigen Verbund aus verschiedenen Erregern. Sie produzieren zu ihrem eigenen Schutz eine Schleimschicht, mit der sie sich an Oberflächen festsetzen. Antibiotika oder Desinfektionsmittel geraten an die Grenzen ihrer Wirksamkeit, da sie die gefährlichen Keime nicht erreichen können.
Ein Team der Empa und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston entwickelt derzeit einen Wundverband, der mithilfe von „guten“, probiotischen Bakterien gegen die Biofilm-Bewohner vorgeht. Einen „Proof of concept“ haben die Forschenden bereits publiziert.
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Wundheilung
Bioresorbierbare Membran für die Heilung innerer und äußerer Wunden
Der Kampf in der Wunde ist ein Kampf um den pH-Wert
Das Team um die Empa-Forschenden Qun Ren und Zhihao Li vom Biointerfaces-Labor in St. Gallen nutzte lebende Milchsäurebakterien für den neuen Wundverband. Zu diesen probiotischen Laktobazillen gehören auch einige Arten, die bei uns Menschen ein Zuhause gefunden haben: Als Nützlinge kommen sie beispielsweise in der gesunden Darmflora vor und spielen bei der Herstellung von Lebensmitteln wie Joghurt und Käse eine große Rolle.
„Die Laktobazillen sind bioverträglich und erzeugen ein saures Milieu durch die Produktion von Milchsäure“, sagt der Mediziner Li, der als Gastwissenschaftler an der Empa die klinische Expertise im Projekt beisteuerte. Hierdurch solle der ungünstige, basische pH-Wert in chronischen Wunden in die richtige, sprich saure, Richtung gedrängt werden. „In unseren Laborexperimenten konnten die Bakterien einen stark sauren pH-Wert von 4 im Kulturmedium erzeugen“, berichtet Teamleiterin Ren. Dank der Milchsäureproduktion wurden unter Laborbedingungen zudem erwünschte Zellen angelockt, die zur Wundheilung beitragen.
Den Schutzschild der Erreger auflösen
Die Nützlinge wurden schließlich in eine Wundauflage integriert, die chronische Wunden vor weiteren Infektionen schützt. Dies ermöglicht zugleich, dass die lebenden Laktobazillen in geschütztem Umfeld Milchsäure produzieren können. Der Verband gab wie erwünscht das saure Produkt kontrolliert und stetig in die Umgebung ab. In Labortests war das Material mit integrierten Milchsäurebakterien in der Lage, einen typischen Biofilm aus Erregern in einer Kulturschale komplett zu zerstören. Die Frage war nun: Bestehen die Nützlinge auch den Test mit menschlicher Haut?
Das lebendige Pflaster in ersten Tests
In kleinen Gewebeproben erzeugten die Forschenden künstliche Wunden von zwei Millimetern Länge und ließen einen Biofilm mit dem Wundkeim Pseudomonas aeruginosa heranwachsen. In diesem dreidimensionalen Modell einer menschlichen Hautwunde sollte sich die Probiotika-Wundauflage beweisen. Und tatsächlich: der Bio-Verband verminderte die Zahl der Krankheitskeime um 99,999 Prozent.
Zudem haben die Forschenden nachgewiesen, dass die Probiotika gut verträglich für menschliche Hautzellen sind und gleichzeitig die Produktion von Botenstoffen des Immunsystems auslösen. Nach diesem „Proof of Concept“ sollen nun weitere Analysen zum Wirkmechanismus helfen, das Potential der Nützlinge aus der Bakterienwelt für ein „lebendes“ Wundheilungsmaterial zu nutzen.
Originalpublikation: Zhihao Li, Sixuan Zhang, Flavia Zuber, Stefanie Altenried, Ana Jaklenec, Robert Langer, Qun Ren: Topical application of Lactobacilli successfully eradicates Pseudomonas aeruginosa biofilms and promotes wound healing in chronic wounds, Microbes and Infection, 2023, 105176, ISSN 1286-4579; DOI: 10.1016/j.micinf.2023.105176.
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