Zukunftsnahrung aus dem Meer Quallenchips und Algenkaviar – kulinarische Meeresforschung
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Nahrung ist schon heute in vielen Regionen knapp, und der Anstieg der Weltbevölkerung wird das Problem noch verschärfen. Hilfe kommt aus dem Meer: Denn die Ozeane bieten vielfältige Ressourcen, die bislang noch wenig genutzt werden. So könnten Algen oder Quallen aus nachhaltigen Aquakulturen den Speiseplan der Zukunft erweitern.

Bremen – Die Weltbevölkerung nimmt rasant zu, im Jahr 2050 sollen rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Gleichzeitig werden Ressourcen wie fruchtbares Land, Süßwasser und Mineraldünger immer knapper. Das stellt die globale Nahrungssicherung vor große Herausforderungen. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) gehen Wissenschaftler daher der Frage nach, inwieweit das Meer Nahrungsressourcen birgt, die bisher noch kaum genutzt wurden, und wie diese nachhaltig verwertet werden können.
Die unterschätzte Nährwert-Power von Quallen
Das Team des ZMT nahm ein Tier ins Visier, das als vermehrungsfreudige Plage und nesselnder Urlauberschreck ein eher negatives Image hat: die Qualle. Sie kommt in allen Weltmeeren vor und gehört zu den ältesten Lebewesen der Erde. „Zwar bestehen Quallen zu rund 97 Prozent aus Wasser, ihre Trockenmasse hat aber ein interessantes Nährwertprofil, das dem anderer Meeresfrüchte gleicht“, erklärt der Meeresbiologe Holger Kühnhold. „Quallen sind fettarm und bestehen hauptsächlich aus Eiweiß, das teilweise einen hohen Anteil an essenziellen Aminosäuren aufweist. Sie enthalten außerdem viele Mineralstoffe und mehrfach ungesättigte Fettsäuren.“
Der Mensch muss seinen Körper mit reichlich Nahrungseiweiß versorgen, das er u. a. für den Aufbau von Muskeln, Organen, Knochen und Haut benötigt. In Hinblick auf Meeresressourcen decken wir unseren Proteinbedarf häufig durch den Verzehr von großen Raubfischen wie Lachs oder Thunfisch. „Leider ist das überhaupt nicht nachhaltig“, bemängelt Kühnhold. „Diese Fische benötigen zum Wachsen ein Vielfaches ihres Eigengewichts an kleinen Fischen. Auch in Aquakultur muss dieser Bedarf mit Fischmehl und -öl von Wildfischen gedeckt werden.“ Nachhaltiger wäre es, wenn die kleinen Fische wie Sardinen oder Anchovis häufiger bei uns selbst auf dem Speiseplan stünden. Oder eben alternative eiweißreiche Meeresfrüchte wie Quallen, die weniger anspruchsvolle Nahrung benötigen.
Knuspriges Superfood statt glibberiges Gallert
Sind Quallen also der kulinarische Nachfolger von Lachsfilet und Thunfischsteak? Zumindest bieten sie vielfältige Möglichkeiten neuer Nahrungsmittelressourcen. Deshalb widmet sich Kühnhold diesen noch weitgehend ungenutzten aber reichlich vorhandenen Nesseltieren, die im Gegensatz zu anderen Meeresbewohnern von menschlichen Eingriffen in das Ökosystem Meer zu profitieren scheinen. Bisher stehen die Tiere allerdings eher selten auf der Speisekarte. „Lediglich in der asiatischen Küche findet man öfter mal Quallen in Suppen und Salaten“, berichtet Kühnhold. „Dabei ist hinsichtlich ihrer großen Artenvielfalt davon auszugehen, dass ihr Potenzial für unsere Ernährung bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist.“ Von dem Gedanken an ihre gallertartige Konsistenz muss man sich lösen. Denn in verarbeiteten Produkten wäre die Qualle als solche gar nicht zu erkennen. „Für Europäer könnten sie als kalorienarmes Superfood in Form von Chips oder Proteinpulver attraktiv werden“, erläutert der Meeresbiologe.
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Polymerphysik des Kochens
Delikatesse: Wie macht man Quallen knusprig?
Kühnhold ermittelt den Nährwert verschiedener Quallenarten und befasst sich mit den technischen Herausforderungen ihrer Zucht in Aquakultur. Große Hoffnung setzt er dabei auf die Mangrovenqualle, Cassiopeia andromeda. Sie trägt kleine symbiotische Algen in ihrem Körper, die Photosynthese betreiben und ihr Energie liefern. Daher liegt sie meist mit ihrem Schirm am Meeresboden und streckt ihre Tentakel zur Meeresoberfläche, dem Sonnenlicht entgegen. Mit moderner LED-Technik könnte sie auch in einem urbanen Umfeld kultiviert werden.
Seegurken – Staubsauger und Ginseng der Meere
Das ZMT untersucht auch andere potenzielle Eiweißspender aus dem Meer auf ihren Nutzen für die Ernährung und die Möglichkeit, sie in Aquakultur zu züchten. Dabei rücken Seegurken, von denen es rund 1.700 Arten gibt, in den Blick der Forscher. Die walzenförmigen Stachelhäuter können über drei Meter lang werden und kommen in allen Meeren von der Arktis bis in die Tropen vor.
In Südostasien sind sie z. B. als Einlage in Suppen und Eintöpfen so beliebt, dass manche Arten bereits überfischt sind. Dort werden sie als „Ginseng der Meere“ bezeichnet: reich an Proteinen, Spurenelementen und Stoffen, denen heilende Wirkung zugesprochen wird. So enthalten sie u. a. Chondroitinsulfat, das gegen Arthrose wirken soll. Auch der europäischen Küche sind sie nicht völlig fremd. In Katalonien werden sie Espardenyes genannt und als kostspielige Delikatesse von Sterneköchen auf vielfältige Weise zubereitet.
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Material mit veränderlicher Festigkeit
Nano-Papier nach dem Vorbild der Seegurke
Seegurken durchwühlen den sandigen Meeresboden nach Nahrung wie Detritus oder Mikroalgen, verschlingen das Sediment, verdauen die organischen Bestandteile und scheiden den Sand dann wieder aus. Das hat ihnen den Spitznamen „Staubsauger der Meere“ eingehandelt. Diese Gewohnheit macht sie jedoch besonders wertvoll für die so genannte integrierte Aquakultur, die ökologische Probleme wie Verschmutzung der Umwelt durch nährstoffreiche Abwässer zu umgehen versucht.
Den Nahrungskreislauf unter Wasser nutzen
Die integrierte Aquakultur (IMTA) kombiniert unterschiedliche Zuchttiere und -pflanzen miteinander, die einen natürlichen Kreislauf bilden. Die Futterreste und Ausscheidungen beispielsweise von Fischen oder Garnelen werden von anderen Zuchtorganismen wie Algen, Muscheln oder Seegurken verwertet. Somit gelangen weniger Abfallstoffe in die Umwelt, und das zugegebene Futter wird sehr effizient genutzt.
Das ZMT erforscht, welche Tiere und Pflanzen interessante Kandidaten für eine solche „Wohngemeinschaft“ wären, um die besten Synergieeffekte zu erzielen. Auch Algen könnten sich als gute Abfallverwerter für die integrierte Aquakultur eignen. Anders als Seegurken nutzen sie aber gelöste Nähstoffe.
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Nachhaltigere Kaviarproduktion
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Grüner Kaviar – ein salzige Salatbeilage
Algen weisen ein breites Spektrum an nützlichen Inhaltsstoffen auf. In Asien sind sie fester Bestandteil der Ernährung. Am ZMT wird an einer Algenart geforscht, die umgangssprachlich „Meerestraube“ oder auch „Grüner Kaviar“ genannt wird. Die kleinen Kugeln, die an einer Rispe hängen, schmecken leicht salzig und zerplatzen im Mund wie Kaviar. Sie stecken voller Proteine, Mineralstoffe, Antioxidantien und mehrfach ungesättigter Fettsäuren.
Grüner Kaviar kommt aus dem Indopazifik, er ist in Südostasien sehr gefragt. Mittlerweile findet man ihn vereinzelt auch schon in Deutschland, dann aber zumeist in der länger haltbaren, entwässerten Form. Gegessen wird grüner Kaviar aber am besten frisch, zum Beispiel in Salaten oder als Beilage zu Sushi. In Kooperation mit Algenfarmern testet das ZMT in Vietnam den Einsatz dieser Alge in der integrierten Aquakultur.
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Bioökonomie
Meeresalgen als nachhaltige Rohstoffquelle für Lebensmittel und Verpackungen
Weitere Informationen zum Thema „Nahrung aus dem Meer“ stellt das ZMT auf seiner Internetseite bereit.
* Dr. S. Eickhoff, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT),28359 Bremen
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