Mikroimplantate als Elektrozeutika Strom statt Pillen – Behandlung von Inkontinenz
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Krankheiten behandeln ohne Medikamente? Mithilfe von Mikroimplantaten soll dies in bestimmten Fällen möglich sein, etwa bei Asthma, Migräne oder Inkontinenz. Fraunhofer-Forscher entwickeln dazu flexible Implantate, die in Zukunft neue elektrobasierte Therapien ermöglichen könnten.

Berlin – Krankheiten werden üblicherweise mit Medikamenten behandelt. Doch in gewissen Fällen wäre auch eine Therapie ganz ohne Pharmazeutika möglich, sondern stattdessen mit gezielten elektrischen Impulsen. Damit ließe sich etwa Harninkontinenz behandeln.
Diese Form der Blasenschwäche wurde bislang durch ein Beckenbodentraining, spezielle Schrittmacher, medikamentös oder sogar operativ behandelt. Mithilfe von Mikroimplantaten könnten solche mitunter langwierigen und aufwändigen Therapieformen entfallen. Die elektrische Stimulation hilft dabei bestimmten Körperarealen, ihre Funktion bei Bedarf durchzuführen.
Dr. Vasiliki Giagka, Gruppenleiterin am Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM, erklärt die Methode: „Bei Patienten, die die Fähigkeit verloren haben, ihre Blase zu kontrollieren, könnte ein bioelektronisches Implantat jederzeit das Blasenvolumen messen und eine Meldung senden, wann eine Person auf die Toilette gehen sollte. Darüber hinaus könnte es ungewolltes Entleeren der Blase durch Hochfrequenzstimulation des betreffenden Nervs stoppen.“
Anforderungen an elektronische Implantate
Damit dies möglich wird, arbeitet das Team um Giagka zusammen mit Forschern der TU Delft an miniaturisierter, flexibler und vor allem langlebiger Elektronik. Solche Elektroniksysteme müssen nicht nur Körperdaten erfassen und aus dem Körper senden, sondern auch drahtlos aufzuladen sein, etwa durch Ultraschall. Dabei versetzen Ultraschallwellen winzige Schwingkörper im Implantat in Bewegung und verformen es. Diese elastische Verformung wird in Strom umgewandelt.
Außerdem können derartige Mikroimplantate über Elektroden Nervenzellen ansteuern und durch elektrische Impulse physiologische Abläufe aktivieren. Ziel ist es, Feedback-Schleifen zwischen Nervenzellen und den Mikroimplantaten zu erzeugen und somit personalisierte und lokale Therapien für die Patienten zu entwickeln. Um an den neuronalen Schnittstellen Abstoßungsreaktionen des Körpers zu vermeiden, verwenden die Bioelektroniker biokompatible Materialien wie Polymere, Edelmetalle und Silizium für die Elektronik.
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Weiterer Entwicklungsbedarf für Elektrozeutika
Für medizinisch eingesetzte Mikroimplantate hat sich seit einiger Zeit der Begriff Elektrozeutika etabliert, weil statt pharmazeutischer Produkte miniaturisierte Elektronik zum Einsatz kommt: Strom statt Pillen. Mit diesem Ansatz könnten Therapien neu entwickelt und unerwünschte Nebenwirkungen minimiert werden. Neben Inkontinenz sind weitere chronische Krankheiten wie Asthma, Diabetes, Parkinson, Migräne, Rheuma, Bluthochdruck behandelbar – denn deren Wirkmechanismen lassen sich durch Elektrostimulation gezielt beeinflussen.
Bis die Elektrozeutika jedoch in größerem Maßstab Anwendung finden, müssen einige Hürden überwunden werden: „Noch können wir nicht vorhersagen, wann erste klinische Erprobungen möglich sein werden: Zurzeit entwickeln wir passende Testmodelle, die die Zuverlässigkeit der Implantate während des gesamten Prozesses prüfen werden. Bis dahin miniaturisieren und optimieren wir die Stimulatoren weiterhin“, sagt Giagka.
Besonders die Langlebigkeit der Mikrostimulatoren stellt bislang eine Herausforderung dar. Immerhin sollen die Implantate mehrere Jahrzehnte im Körper zuverlässig funktionieren. Ziel der Miniaturisierung ist es, eine Gesamtgröße von weniger als einem Kubikzentimeter zu erreichen.
* O. Putsykina, Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM,13355 Berlin
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