NMR-Spektroskopie Struktur und Dynamik von Biomakromolekülen
Die NMR-Spektroskopie spielt eine wesentliche Rolle in der biomedizinischen Grundlagenforschung bei der Untersuchung der Raumstruktur, der Wechselwirkungen und der Dynamik von Biomakromolekülen. LaborPraxis sprach darüber mit Prof. Michael Sattler, Leiter des Bayerischen NMR-Zentrums an der TU München und Direktor des Instituts für Strukturbiologie am Helmholtz-Zentrum München.
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LaborPraxis: Herr Prof. Sattler, warum ist die NMR gerade im Bereich der Bioanalytik eine so interessante Methode?
Prof. Sattler: Die NMR-Spektroskopie hebt sich von anderen Verfahren durch die Vielseitigkeit ihrer Anwendungen ab. Sie hat sich bald nach ihrer Entdeckung als vorzügliche analytische Methode zur Bestimmung der Konstitution und Konformation chemischer Moleküle etabliert. Die NMR-Spektroskopie ist die einzige Methode, die es erlaubt, atomare Details der Raumstruktur von Biomakromolekülen in Lösung zu bestimmen und wird daher komplementär zur Röntgenstrukturanalyse eingesetzt. Von Bedeutung für das Verständnis der molekularen Funktion von Biomakromolekülen ist die Charakterisierung ihrer Wechselwirkungen mit Bindungspartnern und ihrer internen Beweglichkeit. In der Zelle sind Proteine praktisch immer mit anderen Biomakromolekülen assoziiert und ihre Funktion beruht auf solchen molekularen Wechselwirkungen. Mittels NMR lassen sich solche Interaktionen in Lösung untersuchen. Ein Vorzug der NMR ist dabei, dass eine Interaktion nicht nur detektiert, sondern auch die Bindungsstelle des Liganden auf der Struktur lokalisiert werden kann.
LaborPraxis: Welche Bedeutung hat die interne Beweglichkeit von Biomolekülen?
Prof. Sattler: Die interne Beweglichkeit von Biomolekülen ist prinzipiell wichtig für deren Funktion. Die Struktur eines Proteins ist nicht starr, sondern dynamisch. Diese Dynamik spielt z.B. eine Rolle bei enzymatischen Prozessen und bei der molekularen Erkennung zwischen Proteinen, RNA- und DNA-Molekülen, wo oft beide Bindungspartner ihre Konformation variieren, um die Bindung zu ermöglichen. Solche Effekte spielen eine bedeutende Rolle in der Regulation von Genexpression und der zellulären Signalweiterleitung und werden durch posttranslationale Modifikationen wie z.B. Phosphorylierung moduliert. Gerade dieser Aspekt ist ein wichtiger Gegenstand der aktuellen biologischen Grundlagenforschung.
LaborPraxis: Kommerzielle NMR-Systeme gibt es seit Anfang der 1950er Jahre. Wo sehen Sie die größten Fortschritte in der Technologie?
Prof. Sattler: Die NMR-Spektroskopie wurde seit ihrer Entdeckung wesentlich durch neue technologische und methodische Entwicklungen vorangetrieben. Meilensteine waren die Einführung der Fourier Transformation und der mehrdimensionalen NMR-Spektroskopie (Richard Ernst, Chemienobelpreis 1991) und die Entwicklung der NMR-basierten Strukturbestimmung, für die Kurt Wüthrich den Chemienobelpreis 2002 erhielt. Die stetige Verbesserung der NMR-Hardware (Magnetfeldstärke, kryogene Probenköpfe) war notwendig, um die Empfindlichkeit der NMR-Spektroskopie so zu steigern, dass eine effiziente Anwendung auf Biomakromoleküle ermöglicht wurde. Nicht zu unterschätzen ist auch die Einführung der Isotopenmarkierung von Biomakromolekülen, die durch stetige Fortschritte in der Molekularbiologie und effiziente Expressionsverfahren ermöglicht wurde. So ist es heute Routine, Proteine und RNA-Moleküle effizient mit spezifischen 13C-, 15N- und 2H-Isotopenmustern herzustellen. Die Kombination dieser technischen und methodischen Fortschritte erlaubt es nun sogar, hochmolekulare Proteinkomplexe wie GroES/GroEL oder das Proteasom zu untersuchen.
LaborPraxis: Sie haben im Januar am Bayerischen NMR-Zentrum eine Fachtagung zu den Perspektiven der Biomolekularen Kernspinresonanz-Spektroskopie veranstaltet. Welche neuen Entwicklungen gibt es hier?
Prof. Sattler: Anlass des Symposiums war es, die neue Zusammenarbeit des Helmholtz-Zentrum München und der Technischen Universität München im Bayerischen NMR-Zentrum zu feiern. Nach einem Überblick über die Bedeutung der Fourier Transformation durch den Nobelpreisträger Richard Ernst zeigten die international renommierten Gastredner eindrucksvolle Beispiele für die Entwicklung neuer NMR-Methoden und ihrer Anwendung zur Untersuchung der Struktur und Dynamik von Proteinkomplexen oder zur Identifizierung kleiner Moleküle für pharmakologische Interferenz. Auch zeitaufgelöste NMR an RNA riboswitches oder Untersuchungen an ungefalteten, amyloidogenen Proteinen in neurodegenerativen Erkrankungen sowie von Membranproteinen wurden vorgestellt.
LaborPraxis: Sie leiten außerdem das Institut für Strukturbiologie am Helmholtz-Zentrum München und sind Inhaber des Lehrstuhls für Biomolekulare NMR-Spektroskopie der TU München. Mit welchen aktuellen Projekten beschäftigen Sie sich dort?
Prof. Sattler: Unsere Fragestellungen sind im Bereich der biomedizinischen Grundlagenforschung angesiedelt. Wir untersuchen die Struktur und Dynamik von Proteinen, RNA-Molekülen und deren Wechselwirkungen, um zum Verständnis der molekularen Grundlagen der Regulation von Genexpression beizutragen. Schwerpunkte unserer Forschung sind die Regulation des alternativen prä-mRNA Spleissens und molekulare Mechanismen von nicht-kodierenden RNAs wie siRNAs und miRNAs – beides Prozesse, die die Entwicklung eines Organismus steuern und bei Fehlregulation zu Erkrankungen führen. Für unsere Untersuchungen entwickeln wir multidisziplinäre Verfahren, die NMR mit Kleinwinkelstreuexperimenten und Kristallographie kombinieren.
LaborPraxis: Gibt es in der Gesundheitsforschung neue Möglichkeiten durch NMR-Verfahren?
Prof. Sattler: Ganz sicher. Ein wichtiges Forschungsgebiet am Helmholtz-Zentrum München ist die Untersuchung von Signaltransduktionswegen, die an menschlichen Erkrankungen beteiligt sind. Hierbei wollen wir die molekularen Regulationsmechanismen aufklären und strukturelle Grundlagen für pharmakologische Interferenz liefern. Zusammen mit Verfahren der chemischen Biologie werden wir NMR-Verfahren einsetzen, um kleine Moleküle als Inhibitoren für krankheitsrelevante Proteine zu identifizieren.
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