English China

Molekulare Kräfte Tauziehen am DNA-Strang

Von Dr. Florian Aigner*

Anbieter zum Thema

DNA-Moleküle sehen aus wie sehr lange Sprungfedern. Doch wenn man sie auseinanderzieht, verhalten sie sich mitunter ganz anders, als man es erwarten würde: Sie drehen sich manchmal weiter ein. Mit Computermodellen hat ein Forscherteam aus Wien nun das seltsame Dehnverhalten von DNA näher untersucht.

Johannes Kalliauer hat die seltsamen Dehnungseigenschaften von DNA-Molekülen untersucht.
Johannes Kalliauer hat die seltsamen Dehnungseigenschaften von DNA-Molekülen untersucht.
(Bild: TU Wien)

Wien/Österreich – Wenn große Kräfte auf einen Brückenbalken einwirken, wird dieser sich leicht verformen. Die Zusammenhänge zwischen Kräften, inneren Spannungen und Verformungen zu berechnen, gehört zu den Standardaufgaben im Bauingenieurwesen. Aber was passiert, wenn man diese Überlegungen auf winzige Objekte anwendet – etwa auf eine einzelne DNA-Doppelhelix?

Experimente mit DNA-Molekülen zeigen, dass sie völlig andere mechanische Eigenschaften haben als makroskopische Objekte – und das hat wichtige Konsequenzen für die Biologie und die Medizin. An der TU Wien gelang es nun, diese Eigenschaften genau zu erklären, durch eine Kombination von Ideen aus dem Bauingenieurwesen und der Physik.

Langziehen bedeutet stärker eindrehen

Auf den ersten Blick könnte man die DNA-Doppelhelix für eine winzig kleine Feder halten, die man einfach dehnen und stauchen kann, wie man das auch von gewöhnlichen Sprungfedern kennt. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht: „Wenn man ein DNA-Stück langzieht, würde man eigentlich erwarten, dass dabei die Zahl der Windungen abnimmt. Doch in bestimmten Fällen ist das Gegenteil der Fall: Wenn die Helix länger wird, dreht sie sich manchmal noch mehr ein“, sagt der Bauingenieur Johannes Kalliauer vom Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen der TU Wien. „Außerdem sind DNA-Moleküle viel dehnbarer als die Materialien, mit denen wir im Bauingenieurwesen sonst zu tun haben: Sie können unter Zugspannung um 70% länger werden.“

Bauingenieurwesen, kombiniert mit theoretischer Physik

Für Biologie und Medizin sind diese seltsamen mechanischen Eigenschaften der DNA von großer Bedeutung: „Wenn die Erbinformation vom DNA-Molekül abgelesen wird, kann es von den Details der Geometrie abhängen, ob es zu einem Lesefehler kommt, der im schlimmsten Fall sogar Krebs auslösen kann“, sagt Kalliauer. „Bisher musste man sich in der Molekularbiologie mit empirischen Methoden zufriedengeben, um den Zusammenhang zwischen Kräften und Geometrie der DNA zu erklären.“

7 Außergewöhnliche Riesenmoleküle
Bildergalerie mit 8 Bildern

In seiner Dissertation ging der Werkstoffforscher dem Phänomen der gedehnten DNA-Stränge auf den Grund – und kombinierte dabei Ansätze aus dem Bauingenieurwesen mit Modellen der theoretischen Physik. „Wir verwendeten Methoden der Molekulardynamik, um das DNA-Molekül am Computer auf atomarer Skala nachzubilden“, erklärt Kalliauer. „Man legt fest, wie die DNA-Helices gestaucht, gedehnt oder verdreht werden – und dann ermittelt man, welche Kräfte auftreten, und in welche Endposition die Atome schließlich gelangen.“ Solche Rechnungen sind sehr aufwändig und nur mithilfe großer Supercomputer wie dem Vienna Scientific Cluster (VSC) möglich.

So konnte Kalliauer die merkwürdigen experimentellen Befunde erklären – etwa das kontraintuitive Ergebnis, dass sich die DNA in bestimmten Fällen bei Dehnung noch mehr eindreht. „Auf großer Skala kann man sich das schwer vorstellen, aber auf Ebene der Atome ergibt das plötzlich Sinn“, sagt der Forscher.

Grenzbereich zwischen Mikro- und Makrowelt

Mit atomaren Modellen der theoretischen Physik lassen sich Kräfte und Abstände zwischen den Atomen ermitteln. Basierend auf Prinzipien aus dem Bauingenieurwesen, entwickelte das Team um Kalliauer Regeln, mit denen man die relevanten Kraftgrößen ermitteln kann, die man benötigt, um den DNA-Strang als Ganzes zu beschreiben – ähnlich wie man die Statik eines Balkens im Bauingenieurwesen mithilfe einiger wichtiger Querschnittseigenschaften beschreiben kann.

„Wir bewegen uns hier in einer interessante Zwischenwelt, zwischen dem Mikroskopischen und dem Makroskopischen“, sagt Kalliauer. Diese Kombination deutlich unterschiedlicher Größenskalen spielt am Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen immer wieder eine zentrale Rolle. Schließlich werden die Materialeigenschaften, die wir täglich im großen Maßstab spüren, immer vom Verhalten auf der Mikroebene bestimmt. Die aktuelle Arbeit soll einerseits zeigen, wie man das Große und das Kleine auf wissenschaftlich exakte Weise miteinander verbinden kann, und andererseits helfen, das Verhalten der DNA besser zu verstehen – bis hin zur Erklärung von Erbkrankheiten.

Originalpublikation: J. Kalliauer et al.: A new approach to the mechanics of DNA: Atoms-to-beam homogenization,Journal of the Mechanics and Physics of Solids, 143, 104040 (2020); DOI: 10.1016/j.jmps.2020.104040

* Dr. F. Aigner, Technische Universität Wien, 1040 Wien/Österreich

(ID:46756179)

Jetzt Newsletter abonnieren

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung