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Paradigmenwechsel Van-der-Waals-Kräfte haften besser als gedacht

Redakteur: Dr. Ilka Ottleben

Sie sorgen dafür, dass Gase unterhalb einer bestimmten Temperatur zu Flüssigkeiten kondensieren. Sie geben Klebstoff ihre Haftkraft und lassen einen Gecko kopfüber an einer Wand hängen: die Van-der-Waals-Kräfte. Mit einem quantenmechanischen Ansatz ist es Forschern nun gelungen, diese Anziehungskräfte akkurater zu beschreiben, als das bislang möglich war. Die Ergebnisse dürften auch von anwendungsbezogener Relevanz sein.

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Weil sie die Van-der-Waals-Kraft als Wechselwirkung nicht zwischen Teilchen, sondern zwischen Wellen beschreiben, haben Forscher festgestellt, dass die Anziehungskräfte zwischen ungeladenen Atomen und Molekülen deutlich weiter reichen als bislang angenommen... (Ausschnitt)
Weil sie die Van-der-Waals-Kraft als Wechselwirkung nicht zwischen Teilchen, sondern zwischen Wellen beschreiben, haben Forscher festgestellt, dass die Anziehungskräfte zwischen ungeladenen Atomen und Molekülen deutlich weiter reichen als bislang angenommen... (Ausschnitt)
(Bild: © Fritz-Haber-Institut der MPG)

Berlin – Mit einem quantenmechanischen Ansatz ist es Forschern des Berliner Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft gemeinsam mit Kollegen in Italien und den USA gelungen, die Van-der-Waals-Kräfte, die zwischen ungeladenen Nanostrukturen wirken, akkurater zu beschreiben, als das bislang möglich war. Erstmals wendeten sie das Konzept dabei erfolgreich auf reale Molekülstrukturen an. Die Forscher können sich vorstellen, dass eines Tages auch praxisorientierte Materialwissenschaftler, Prozessdesigner oder auch Wirkstoffforscher vom besseren Verständnis der Van-der-Waals-Kräfte profitieren werden. Zum Beispiel, weil es so möglich werden könnte, die Kräfte gezielt zu modulieren.

Van-der-Waals-Kräfte – kleine Anziehungskräfte, große Wirkung

Die Anziehungskräfte zwischen Atomen oder Molekülen, die der niederländische Physiker Johannes Diderik van der Waals vor beinahe 150 Jahren entdeckte, sind zwar viel schwächer als die Kräfte zwischen Ionen oder zwischen zwei Atomen, die durch eine echte chemische Bindung verknüpft sind. Dennoch haben sie große Wirkung. Und das nicht nur weil sie die Teilchen in Flüssigkeiten zusammenhalten. In der Biochemie erweisen sie sich geradezu als lebenswichtig, bestimmen sie doch, wie Enzyme mit anderen Biomolekülen interagieren. Die Bedeutung der Van-der-Waals-Kräfte dürfte mit den Fortschritten in der Nanotechnik zudem noch wachsen. Schließlich sind sie die beherrschenden Kräfte zwischen ungeladenen Nanostrukturen und entscheiden letztlich auch darüber, welche Dienste Nanostrukturen leisten können.

Ihrem Ursprung nach sind Van-der-Waals-Kräfte elektrostatische Kräfte. Sie wirken nicht nur zwischen polaren Molekülen, sondern auch zwischen elektrisch neutralen Atomen und Molekülen. Das liegt daran, dass die Bewegung der Elektronen in der äußeren Hülle der Atome vorübergehend zu Ladungsverschiebungen führt – und es zu einer sogenannten Polarisierung kommt. Ladungsbereiche mit unterschiedlichem Vorzeichen ziehen sich dann an – und sorgen damit für eine Attraktion zwischen zwei Atomen, auch wenn diese elektrisch insgesamt jeweils neutral sind.

Paradigmenwechsel bei der Beschreibung von Van-der-Waals-Kräften

Obwohl die Van-der-Waals-Kräfte schon so lange bekannt sind, ist ihre physikalische und auch mathematische Beschreibung noch immer unzureichend. Zwar gibt es ein klassisches Modell, das auf den Physiker Fritz London und die 1930er-Jahre zurückgeht. Demnach wirken bei Van-der-Waals-Kräften einzelne Atome paarweise aufeinander ein. Dabei gingen Physiker in der mathematischen Beschreibung der Kräfte davon aus, dass diese mit der siebten Potenz des Abstandes zwischen den Atomen abnehmen. Sie sollten demnach also nur eine Reichweite von bis zu einem Nanometer, einem Milliardstel Meter, besitzen.

Dieser mathematischen Beschreibung widersprechen jedoch Messungen, wie sie Physiker dank heutiger technischer Möglichkeiten inzwischen auch an kleinsten Strukturen vornehmen können. Und dem widersprechen auch die theoretischen Kalkulationen, die jetzt Forscher vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin gemeinsam mit Kollegen in Italien und den USA durchgeführt haben. Sie legten ihren Berechnungen ein quantenmechanisches Modell zugrunde. „Alle Elektronen bewegen sich um die Atomkerne, und wir beschreiben diese gesamte Bewegung aller Elektronen in einem Molekül oder einer Struktur als Wellenfunktion“, erklärt Alexandre Tkatchenko, Gruppenleiter in der Abteilung Theorie am Berliner Fritz-Haber-Institut und Professor für Physik der kondensierten Materie an der Universität von Luxemburg, das Vorgehen. Der Physiker sieht hier eine Analogie zu den sogenannten Oberflächenplasmonen, also den Schwingungen der äußeren Elektronen auf Metallpartikeln. „Wenn man zwei Moleküle oder Nanostrukturen einander nähert, dann interagieren die Wellen, also die jeweiligen Elektronenschwingungen, miteinander“, so Tkatchenko. Das Resultat dieser Wechselwirkung sei gerade die Van-der-Waals-Kraft.

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