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Der Kompass im Insektenhirn Warum Heuschrecken stets wissen, wo die Sonne steht

Von Johannes Scholten*

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Sie sehen was, was wir nicht sehen, und das ist polarisiert: Heuschrecken erkennen die Polarisation von Licht und nutzen es zur Orientierung. So haben Forscher der Universitäten Marburg und Würzburg nun gezeigt, dass Wanderheuschrecken eine Art 360-Grad-Blaupause des polarisierten Himmels im Gehirn gespeichert haben und darüber stets den aktuellen Sonnenstand für ihre Routenplanung kennen.

Fliegende Wüstenheuschrecke unter dem blauen Himmel mit dem von der Sonne erzeugten Polarisationsmuster.
Fliegende Wüstenheuschrecke unter dem blauen Himmel mit dem von der Sonne erzeugten Polarisationsmuster.
(Bild: Keram Pfeiffer)

Marburg – Die Heuschrecken der Art Schistocerca gregaria leben in der afrikanischen Wüste und zählen zu den Wanderheuschrecken. Von Zeit zu Zeit legen sie weite Strecken zurück. Das Ziel ihrer Wanderung ist genetisch festgelegt, aber wie sich die Tiere auf dem Weg dahin orientieren, gibt noch immer Rätsel auf. „Verhaltensexperimente haben gezeigt, dass Heuschrecken den Schwingungswinkel polarisierten Lichts wahrnehmen und sich im Flug danach orientieren“, erläutert der Marburger Neurobiologe Professor Dr. Uwe Homberg. Mit einem Team aus Biologen der Universitäten Marburg und Würzburg hat er in einer Studie den Navigationssinn der Heuschrecken genauer erforscht.

Ein polarisiertes Bild im Kopf

Werden Sonnenstrahlen in der Erdatmosphäre gestreut, so erzeugen sie am blauen Himmel ein Muster an polarisiertem Licht. Für das menschliche Auge ist dieses Phänomen unsichtbar, aber manche Tiere wie Bienen, Ameisen oder Spinnen können die Polarisation am Himmel wahrnehmen. „Wir haben die elektrische Aktivität gemessen, mit denen Nervenzellen auf die Richtung reagieren, in der das Licht schwingt“, sagt Frederick Zittrell, Erstautor der Studie. „Diese Messungen haben wir an bis zu 33 Punkten eines virtuellen Himmels vorgenommen“.

Bestimmte Orientierungen des polarisierten Lichts lösen maximale Aktivität der Neuronen aus. „Diese Orientierung variiert, je nach Ursprung des Lichts am Himmel“, ergänzt Studienleiter Homberg. „Die Orientierungen über den ganzen Himmel entsprechen Polarisationsmustern, wie sie bei bestimmten Sonnenständen vorkommen. Diese werden im Zentralkomplex des Heuschreckenhirns in einer Art Kompass kodiert.“ Dabei handele es sich um eine neuronale Repräsentation des Himmels, „sozusagen ein erwartetes Polarisationsmuster, das die Tiere mit dem tatsächlichen Muster abgleichen können“, erläutert Koautor Prof. Dr. Keram Pfeiffer vom Biozentrum der Universität Würzburg.

Ein 360-Grad-Kompass

Wie die Wissenschaftler herausfanden, repräsentieren die Zellen einen sehr großen Ausschnitt des Himmels – der Zentralkomplex gleicht einem Kompass, der volle 360 Grad abdeckt. Die Einstellung der Neuronen passt zudem zu den entsprechenden Sonnenständen. „Das Insektenhirn ist damit in der Lage, ohne Sicht auf die Sonne deren Position aus dem Polarisationsmuster des Himmels eindeutig abzuleiten“, konstatiert Pfeiffer.

„Der Zentralkomplex des Heuschreckenhirns fungiert somit als Schaltzentrale für die Navigation“, fasst Homberg zusammen. Dort werden alle verfügbaren Hinweise vom Himmel kombiniert, um sie sie zu einem Kompasssignal zu verschmelzen, so das Fazit der Forscher zu der außergewöhnlichen Orientierungsfähigkeit der Heuschrecken.

Originalpublikation: Frederick Zittrell, Keram Pfeiffer & Uwe Homberg: Matched-filter coding of sky polarization results in an internal sun compass in the brain of the desert locust, PNAS first published September 28, 2020. DOI: 10.1073/pnas.2005192117

* J. Scholten, Philipps-Universität Marburg, 35032 Marburg

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