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Entstehungsgeschichte des Sonnensystems Was „ausgestorbene“ Atome über das Sonnensystem verraten

Von Peter Rüegg*

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Je weiter Ereignisse in der Vergangenheit liegen, desto schwerer lassen sie sich zeitlich einordnen. So stellt es eine besondere Herausforderung dar, galaktische Phänomene wie Planetenentstehung und Sternenexplosionen zu datieren. Hier hilft ein längst aus dem Universum verschwundenes Atom, mit dessen Hilfe Forscher der ETH Zürich nun gezeigt haben, dass unsere Sonne und Planeten wahrscheinlich von Material aus verschiedenen Arten von Supernovae gespeist wurden.

Das instabile und längst verschwundene Atom 92Nb gibt Auskunft über die Anfänge unseres Sonnensystems.
Das instabile und längst verschwundene Atom 92Nb gibt Auskunft über die Anfänge unseres Sonnensystems.
(Bild: Makiko K. Haba)

Zürich/Schweiz – Dass Tierarten aussterben können, ist bekannt. Doch auch Atomarten können für immer von der Bildfläche verschwinden. Dieses Schicksal traf das Radionuklid Niob-92 (92Nb), eine instabile Variante des Elements Niob.

Hat ein Atom einen Überschuss an Protonen oder Neutronen, wird es instabil. Diese zusätzlichen Teilchen werden dann unter Abgabe von Gammastrahlung umgewandelt, bis der Atomkern stabil ist. Dies trifft bspw. auf Niob-92 zu. Seine Halbwertszeit beträgt 37 Millionen Jahre, was erdgeschichtlich oder gar galaktisch betrachtet relativ kurz ist. Schon kurz nach der Entstehung unseres Sonnensystems verschwand 92Nb vollkommen aus dem Universum. Heute zeugt nur noch sein stabiler Nachfahre Zirkon-92 (92Zr), dass es 92Nb gegeben hat.

Doch das „ausgestorbene“ Radionuklid können Wissenschaftler nach wie vor brauchen: Mit dem so genannten 92Nb-92Zr-Chronometer lassen sich Ereignisse datieren, die sich im frühen Sonnensystem vor rund 4,57 Milliarden Jahren abgespielt haben. Allerdings war dieser Chronometer bisher nicht besonders genau, da es keine präzisen Informationen gibt, wie viel 92Nb bei der Geburt des Sonnensystems tatsächlich vorhanden war.

Zerfall von Nb92

Niob ist ein Element des Periodensystems. In seiner stabilen Form Nb93 besteht sein Kern aus 52 Neutronen und 41 Protonen. Zu den Anfängen des Sonnensystems existierte auch die instabile Variante Nb92, ein Radionuklid mit nur 51 Neutronen (und ebenfalls 41 Protonen).

Dieses Isotop zerfällt mit einem so genannten β+-Zerfall, wobei ein Proton in ein Neutron umgewandelt wird und zwei Elementarteilchen abgegeben werden (Positron und Elektron-Neutrino). Es entsteht Zirkonium 92, das mit seinen 52 Neutronen und 40 Protonen wieder stabil ist.

Rekonstruktion der Planetenentstehung

Ein Forscherteam der ETH Zürich und des Tokyo Institute of Technology (Tokyo Tech) hat nun das Chronometer deutlich verbessert. Dies gelang über einen Umweg: Sie gewannen zuerst aus einem Meteoriten seltene Zirkon- und Rutilmineralien. Diese Mineralien eignen sich für die 92Nb-Bestimmung am besten, da sie Hinweise geben, wie häufig 92Nb zum Zeitpunkt der Bildung des Meteoriten vorkam.

Anschließend berechnete das Team mithilfe der Uran-Blei-Datierung, wie häufig 92Nb zum Zeitpunkt der Entstehung des Sonnensystems vorgekommen war: Weil Uranatome über die Jahrmillionen und Jahrmilliarden zu Bleiatomen zerfallen, lässt sich an dem Verhältnis verschiedener Blei- und Uran-Isotope das Alter von Gesteinsproben bestimmen. Dank der Kombination der beiden Methoden gelang es den Forschern, die Präzision des bisherigen 92Nb-92Zr-Zeitmessers zu erhöhen.

„Das verbesserte Chronometer wird zu einem mächtigen Werkzeug, mit dem wir die Bildung und Entwicklung von Asteroiden und Planeten in den ersten zehn Millionen Jahren nach der Entstehung des Sonnensystems genauer datieren können“, sagt Maria Schönbächler, Professorin am Institut für Geochemie und Petrologie der ETH Zürich, die die Studie geleitet hat.

Sternexplosionen prägten das Sonnensystem

Nun wissen die Forscher besser, wie häufig 92Nb ganz am Anfang unseres Sonnensystems vorkam. Damit können sie stärker eingrenzen, wo diese Atome gebildet wurden und woher das Material stammt, aus dem unsere Sonne und die Planeten bestehen.

So deutet vieles darauf hin, dass das innere Sonnensystem mit den Gesteinsplaneten Erde und Mars von Material beeinflusst wird, das in unserer Milchstraßengalaxie durch Supernovae vom Typ Ia ausgeworfen wird. Bei solchen Sternenexplosionen interagieren zwei sich umkreisende Sterne, ehe es zu einer Explosion kommt, bei der sie Sternenmaterial freisetzen. Das äußere Sonnensystem hingegen wurde hauptsächlich durch eine so genannte Kernkollaps-Supernova gespeist. Dabei muss ein massereicher Stern in sich selbst kollabiert und dann explodiert sein. Diese Explosion fand wahrscheinlich in der gleichen Sternen-Kinderstube statt, in der auch unsere Sonne entstand.

Originalpublikation: Haba MK, Lai Y-J, Wotzlaw J-F, Yamaguchi A, Lugaro M, Schönbächler M.: Precise initial abundance of Niobium-92 in the Solar System and implications for p-process nucleosynthesis, PNAS February 23, 2021 118 (8); DOI: 10.1073/pnas.2017750118

* P. Rüegg, ETH Zürich, 8092 Zürich/Schweiz

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