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Persistent, mobil, toxisch – Kontaminanten in Wasser Wie gut kennen wir unser Trinkwasser?

Ein Gastbeitrag von Dr. Laura Wiegand*, Isabelle Neuwald**

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Wasser ist in der Realität nicht nur H2O, sondern eine Lösung, die tausende Spurenstoffe enthalten kann. Die meisten davon sind harmlos, doch toxische Substanzen sowie persistente und mobile Stoffe können Grund zur Sorge sein. Wie gut diese PMT-Stoffe von den Wasserlaboren erfasst werden, haben Forscherinnen und Forscher im Auftrag des Umweltbundesamtes untersucht.

(Bild: LABORPRAXIS)

Obwohl seit Jahrzehnten intensiv zu anthropogenen Spurenstoffen und ihrem Vorkommen in aquatischen Systemen geforscht wird, gibt es noch immer zahlreiche Stoffe, für die nur eine unzureichende Menge an Analysendaten vorliegt. Dadurch wird die Evaluation der Umwelt- und Trinkwasserrelevanz dieser Spurenstoffe deutlich erschwert.

Seit einigen Jahren ist das Thema anthropogene Spurenstoffe von steigendem Interesse, der Fokus liegt hier auf persistenten (P), mobilen (M) und toxischen (T) bzw. sehr persistenten (very persistent, vP) und sehr mobilen (very mobile, vM) Stoffen. Dabei ist v. a. durch die neue EU-Chemikalienstrategie [1] der Fokus der Wissenschaft auf solche PMT/vPvM-Stoffe gerichtet worden, die aufgrund ihrer physikochemischen Eigenschaften analytisch schwer erfassbar sind. Aber auch Forschungsaktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene sowie durch vom Umweltbundesamt (UBA) und dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) ausgeschriebene Projekte haben den Schwerpunkt auf diese Stoffe bekräftigt. Es gibt bereits erste Erkenntnisse, die zeigen, dass PMT/vPvM-Stoffe auch für deutsche Wasserversorgungsunternehmen (WVU) relevant sein könnten. Die Kombination aus Persistenz und Mobilität lässt die Relevanz dieser Stoffe für Trinkwasser vermuten, obwohl eine belastbare Datenbasis bisher fehlt.

Umtriebig und unkaputtbar: Risiko durch Mobilität und Persistenz von Stoffen

Die Persistenz organischer Spurenstoffe beeinflusst in besonderem Maße ihre Anreicherung in der (aquatischen) Umwelt. Sie führt dazu, dass die Stoffe in biologisch aktiven Kompartimenten wie der biologischen Reinigung in Kläranlagen oder in belebten Bodenschichten nicht abgebaut werden. Zudem sind physikalische Entfernungsmethoden wie Hydrolyse oder Photolyse ebenfalls wenig erfolgversprechend. Da die stetige Freisetzung persistenter Stoffe zur Akkumulation und damit zu einer permanent zunehmenden Umweltbelastung führt, wird in der Literatur diskutiert, ob die Persistenz eines Stoffes grundsätzlich ein Grund zur Besorgnis sein sollte [2].

Weisen persistente Stoffe gleichzeitig eine schlechte Sorption an Feststoffen auf, können sie in Böden und Sedimenten leicht versickern und im Grundwasser über große Distanzen transportiert werden, sodass sie auch bisher anthropogen unbeeinflusste Umweltkompartimente erreichen. Daher sprechen Expertinnen und Experten hier von mobilen Stoffen. Auch solche Stoffe werden zunehmend kritisch betrachtet. Denn wenn Grundwasser oder Uferfiltrat zur Trinkwassergewinnung verwendet wird, können sie die Wahrscheinlichkeit einer Exposition über den Trinkwasserpfad erhöhen und somit u. U. ein damit verbundenes Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen.

Forschung zur „analytischen Lücke“ bei Wasserproben

Die Forschungsaktivitäten des UBA hinsichtlich PMT/vPvM-Stoffe fokussieren sich auf REACH-Chemikalien, da für diese Stoffe noch keine systematische Früherkennung bzgl. ihrer Trinkwasserrelevanz etabliert ist, obwohl die Sorge um eine Qualitätsverschlechterung von Roh- und Trinkwässern berechtigt ist. Vorsorglich vermeiden Trinkwasserschutzmaßnahmen daher Emissionen solcher Substanzen, die Stoffeigenschaften besitzen, die eine Gefahr für Trinkwasserressourcen darstellen und unter REACH registriert sind. Gleichzeitig sollen die Kriterien für PMT bzw. vPvM zur Klassifizierung dieser Substanzen auf europäischer Ebene etabliert werden [3].

Im Folgenden sind Ergebnisse eines vom UBA geförderten Forschungsprojekts präsentiert. Darin wurden Rohwasserressourcen verschiedener deutscher WVU auf Vorkommen und Konzentration von PMT/vPvM-Stoffen untersucht. Eine Annahme des Projekts war, dass viele dieser Stoffe Eigenschaften aufweisen, die ihre Analytik mit etablierten Routinemethoden erschweren und dadurch nur von wenigen wasseranaly­tischen Laboren untersucht werden können. Ohne geeignete chromatographische Methoden geraten oft auch Non-Target-Ansätze an ihre Grenzen und bleiben für diese Substanzen lückenhaft. Dieses oft als „analytische Lücke“ bezeichnete Phänomen ist daher für die unzureichende Datenbasis zum Vorkommen von PMT/vPvM-Stoffen in solchen Wasserressourcen verantwortlich, die zur Trinkwassergewinnung verwendet werden. Daher war der Schwerpunkt des Projekts die Weiterentwicklung bestehender analytischer Methoden für den Nachweis von PMT/vPvM-Stoffen, deren Anwendung auf Rohwasserproben deutscher WVU sowie auf einer Umfrage zur Analysierbarkeit ausgewählter PMT/vPvM-Stoffe unter behördlichen und kommerziellen Wasserlaboren.

REACH

Die REACH-Verordnung (EG) 1907/2006 ist die Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Evaluierung, Autorisierung und Beschränkung von Chemikalien. Die Verordnung ist seit 2007 in Kraft und soll ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sicherstellen. Sie soll gleichzeitig den freien Verkehr von Chemikalien auf dem Binnenmarkt gewährleisten und Wettbewerbsfähigkeit und Innovation fördern. Gemäß REACH müssen Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender die Verantwortung für ihre Chemikalien übernehmen und gewährleisten, dass diese sicher verwendet werden.

Quelle: www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/reach-chemikalien-reach

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Vorkommen ausgewählter PMT/vPvM-Stoffe in deutschen Rohwasserressourcen

In dem Projekt haben die Forscherinnen und Forscher insgesamt 43 per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) und 34 weitere während des Projekts priorisierte PMT/vPvM-Stoffe in 76 Oberflächenwasser-, Grund­wasser- und Uferfiltrat-Proben analysiert. Die Proben entnahmen sie in zwei Probenahmekampagnen im Oktober/November 2020 (46 Proben) und Juli 2021 (30 Proben), wobei in der zweiten Kampagne 30 ausgewählte Entnahmestellen aus der ersten Kampagne mit hohen Konzentrationen oder vielen Befunden erneut beprobt wurden.

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Bei den PFAS legten die Expertinnen und Experten besonderen Fokus auf kurzkettige Verbindungen, die wegen ihrer hohen Mobilität neben der aktuell stark diskutierten PFAS-Problematik auch zu den PMT/vPvM-Stoffen gehören. Die Analysenergebnisse zeigten, dass die kurzkettigen PFAS-Vertreter in deutlich höheren Konzentrationen zu finden sind als die langkettigen Verbindungen. Die höchsten Konzentrationen wurden für Trifluormethansulfonsäure (TFMS) und Trifluor­essigsäure (TFA) detektiert. Beide fanden sich in fast allen Proben (95 % TFA, 89 % TFMS) mit Maximalkonzentrationen im zweistelligen µg/L-Bereich (TFA), vgl. Tabelle 1.

Abb.1: relative Detektionshäufigkeit ausgewählter PMT/vPvM-Stoffe. Rot = Betrachtung aller 76 Proben, hellblau = Betrachtung der ersten Probenahmekampagne (46 Proben), dunkelblau = Betrachtung der zweiten Probenahmekampagne (30 Proben).
Abb.1: relative Detektionshäufigkeit ausgewählter PMT/vPvM-Stoffe. Rot = Betrachtung aller 76 Proben, hellblau = Betrachtung der ersten Probenahmekampagne (46 Proben), dunkelblau = Betrachtung der zweiten Probenahmekampagne (30 Proben).
(Bild: IWW Zentrum Wasser)

Bei den nichtfluorierten PMT/vPvM-Stoffen wurden die höchsten Konzentrationen für die Verbindungen 1H-Benzotriazol, Cyanursäure und Melamin detektiert. Die Maximalkonzentrationen lagen für 1H-Benzotriazol im mittleren zweistelligen, für Cyanursäure und Melamin im mittleren einstelligen µg/L-Bereich. Die relative Detektionshäufigkeit unterscheidet sich für diese drei Verbindungen kaum zwischen den beiden Probenahmekampagnen (s. Abb. 1), was für einen gleichbleibenden Eintrag in die untersuchten Rohwasserressourcen spricht. Zwei weitere bereits bekannte PMT/vPvM-Stoffe, die in mehr als einem Drittel der untersuchten Proben detektiert wurden, sind das Lösungsmittel 1,4-Dioxan sowie der Süßstoff Saccharin. 1,4-Dioxan stellt für die Trinkwasserversorgung in Kalifornien bereits eine große Herausforderung dar, wird aber auch in deutschen Trinkwasserressourcen detektiert [4,5]. Problematisch ist, dass sich 1,4-Dioxan in der Trinkwasseraufbereitung kaum entfernen lässt.

Wetter beeinflusst die Verunreinigungen im Wasser

Weiterhin wurden mit Acrylamino-2-methylpropansulfonat (AMPS) und Diphenylguanidin (DPG) auch zwei bisher kaum untersuchte PMT/vPvM-Stoffe in auffälligem Maße detektiert. AMPS, ein viel genutztes Additiv und Co-Monomer in der Polymerherstellung, wurde in mehr als 80 % aller untersuchten Proben nachgewiesen, was sich mit Beschreibungen aus der Literatur deckt und für die weite Verbreitung des Stoffes spricht [6]. Für den Vulkanisationsbeschleuniger DPG fällt auf, dass die Detektionshäufigkeit über alle 67 Proben betrachtet zwar bei fast 50 % liegt, sich die Häufigkeit der Positivbefunde zwischen den beiden Probenahmekampagnen aber deutlich unterscheidet (s. Abb. 1). Während der Anteil positiver Messwerte in der ersten Kampagne nur bei knapp 20 % lag, wurde DPG in der zweiten Kampagne in fast 90 % aller Proben detektiert. Die Erklärung liefert ein Blick auf die Wetteraufzeichnungen zu den Probenahmezeiträumen. Die meteorologischen Daten zeigen, dass der Herbst 2020 vergleichsweise trocken war, wohingegen die Probenahmen im Sommer 2021 kurz nach massiven Starkregenereignissen durchgeführt wurden. Diese Ergebnisse bestätigen Hinweise aus der Literatur, die überwiegend von einem Eintrag in die Umwelt bei Regenereignissen durch Leaching aus Reifenpartikeln ausgehen [7].

Wie gut erfassen deutsche Wasserlabore PMT/vPvM-Stoffe?

Für 156 in der ersten Phase des Projekts priorisierte PMT/vPvM-Stoffe sollten teilnehmende Labore (n = 24) aus dem behördlichen und kommerziellen Bereich sowie Labore von Wasserversorgungsunternehmen in einer Umfrage angeben, ob sie den Stoff (a) regelmäßig untersuchen, (b) bei Bedarf untersuchen könnten, (c) nicht untersuchen, weil der Stoff von Kunden nicht nach­gefragt wird, oder (d) nicht untersuchen, weil es analy­tische Probleme gibt.

Abb.2: Ergebnisse der Umfrage zu Analysemöglichkeiten von PMT/vPvM-Stoffen.
Abb.2: Ergebnisse der Umfrage zu Analysemöglichkeiten von PMT/vPvM-Stoffen.
(Bild: IWW Zentrum Wasser)

Das Ergebnis ist in Abbildung 2 dargestellt: 66 der abgefragten Stoffe werden von mindestens einem der teilnehmenden Labore regelmäßig untersucht, 63 könnten bei Bedarf von mindestens einem Labor untersucht werden. Lediglich 27 Stoffe werden von keinem der teilnehmenden Labore untersucht, wobei nur für fünf der Stoffe, die von keinem Labor untersucht werden, analytische Probleme angegeben werden.

Von den neun im Monitoring auffällig gewordenen PMT/vPvM-Stoffen wurde die Analysemöglichkeit für sieben Stoffe in der Umfrage evaluiert. AMPS und Saccharin waren nicht Teil der Umfrage. Die Ergebnisse für diese sieben Stoffe sind in Tabelle 2 dargestellt. Insgesamt werden sechs der sieben hier betrachteten PMT/vPvM-Stoffe von mindestens einem Labor regelmäßig untersucht. Lediglich für DPG hat keines der teilnehmenden Labor angegeben, dass es diesen Stoff regelmäßig untersucht, was laut Information der Labore im Wesentlichen auf mangelnde Nachfrage der Kunden zurückzuführen ist. Ebenso geht aus den Umfrageergebnissen hervor, dass mit TFA und 1H-Benzotriazol nur zwei der sieben Stoffe von mehr als einem Drittel der teilnehmenden Labore regelmäßig untersucht werden und die übrigen Stoffe von Kunden nur selten bis gar nicht nachgefragt werden. Im Zusammenhang mit den Analysemöglichkeiten, auf die die Labore eigenen Angaben zufolge bei Bedarf zurückgreifen könnten, ist für alle hier betrachteten Stoffe eher von einer Monitoring-Lücke als von einer analytischen Lücke aufgrund von analytischen Problemen auszugehen.

Danksagung

Wir danken dem Umweltbundesamt für die Bewilligung des Projekts „PMT/vPvM Substances – Identification and Regulation under REACH“ (Forschungskennzahl 3719 65 408 0) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit für dessen Finanzierung.

Literatur

[1] Europäische Kommission (2020): Chemicals Strategy for Sustainability Towards a Toxic-Free Environment - COM(2020) 667 final, zuletzt geprüft am 28.07.2021.

[2] Cousins, I.T.; Ng, C.A.; Wang, Z.; Scheringer, M. (2019) Why is high persistence alone a major cause of concern? Environmental Science. Processes & Impacts 21: 781–792.

[3] Neumann M. und Schliebner I. (2017) “Protecting the sources of our drinking water - A revised proposal for implementing criteria and an assessment procedure to identify Persistent, Mobile and Toxic (PMT) and very Persistent, very Mobile (vPvM) substances registered under REACH”. German Environmental Agency (UBA), Dessau, Germany. ISBN: 2363-8273.

[4] Adamson, D.T.; Piña, E.A.; Cartwright, A.E.; Rauch, S.R.; Anderson, R.H.; Mohr, T.; Connor, J.A. (2017) 1,4-Dioxane drinking water occurrence data from the third unregulated contaminant monitoring rule. Science of the Total Environment 596–597: 236-245.

[5] Karges, U.; Becker, J.; Püttmann, W. (2018) 1,4-Dioxane pollution at contaminated groundwater sites in western Germany and its distribution within a TCE plume. Science of the total Environment 712-720 : 619-620

[6] Schulze, S.; Zahn, D.; Montes, R.; Rodil, R.; Quintana, J.B.; Knepper, T.P. et al. (2019) Occurrence of emerging persistent and mobile organic contaminants in European water samples. Water Research 153: 80–90.

[7] Zahn, D.; Mucha, P.; Zilles, V.; Touffet, A.; Gallard, H.; Knepper, T.P.; Frömel, T. (2019) Identification of potentially mobile and persistent transformation products of REACH-registered chemicals and their oc-currence in surface waters. Water Research 150: 86-96.

* Dr. L. Wiegand, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IWW Zentrum Wasser; **I. Neuwald, Doktorandin am Institute for Analytical Research,Hochschule Fresenius gemeinnützige Trägergesellschaft mbH

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