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Fluor: Strukturaufklärung nach 50 Jahren Aggressives Element gebändigt für Kristallographie

Autor / Redakteur: Dr. Andreas Battenberg*, Andrea Voit* / Christian Lüttmann

Fluor ist der Rebell unter den chemischen Elementen. Aufgrund der hohen Reaktivität lässt es sich nur schwer untersuchen. So waren kristallographische Daten rund 50 Jahre alt und nicht besonders präzise – bis Forscher der Universitäten Marburg, München (TUM) und dem finnischen Helsinki nun die Kristallstruktur des Fluors mit hoher Präzision gemessen haben.

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Prof. Florian Kraus und sein Mitarbeiter Dr. Sergei Ivlev am Pulverdiffraktometer SPODI des Heinz Maier-Leibnitz Zentrums in Garching.
Prof. Florian Kraus und sein Mitarbeiter Dr. Sergei Ivlev am Pulverdiffraktometer SPODI des Heinz Maier-Leibnitz Zentrums in Garching.
(Bild: M. Hölzel / TUM)

Garching – Fluor ist das reaktivste chemische Element und zudem sehr giftig. Die theoretischen Grundkenntnisse über das schwer händelbare Element zu erlangen, war und ist eine große Herausforderung.

Beim ersten Versuch, die Atomabstände von festem Fluor zu bestimmen, verwendete ein Forschungsteam in den USA im Jahr 1968 Röntgenstrahlen. Eine schwierige Aufgabe, denn Fluor wird erst bei etwa -220 °C fest. Und schon beim Abkühlen des aggressiven Elements kam es zu Explosionen.

Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling zweifelte die Ergebnisse des Teams 1970 an und schlug ein alternatives Strukturmodell vor – den experimentellen Nachweis aber blieb er schuldig. Auch kein anderer Chemiker wagte sich 50 Jahre lang an die heikle Aufgabe.

Neue Messungen um 70 Prozent genauer

Mithilfe von Neutronen aus der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz an der Technischen Universität München in Garching gelang es Wissenschaftlern nun, die Struktur aufzuklären. Die Beteiligten stammten von der Universität Marburg, der Technischen Universität München (TUM) und der Aalto Universität Finnland.

Auch wenn die Messwerte der amerikanischen Forscher aus den 1960er Jahren nicht sehr präzise waren, war Professor Florian Kraus von der Universität Marburg dennoch sehr überrascht über den großen Unterschied zu den aktuellen Ergebnissen: „Mit den Neutronenmessungen konnten wir den Atomabstand um 70 Prozent genauer auflösen“, sagt der Chemiker. „Und die Kristallstruktur zeigt, dass Nobelpreisträger Linus Pauling mit seinen Zweifeln recht hatte.“

Neutronen als ideale Sonde

Dass die Forscher nun die Kristallstruktur von Fluor so exakt bestimmen konnten, war auch aufgrund der Neutronenbeugung als Messmethode möglich. Denn Neutronen sind besonders gut geeignet, Fluoratome präzise zu lokalisieren. Weil Neutronen außerdem auch dickwandige Probenbehälter durchdringen können, waren sie für Kraus und sein Team die Methode der Wahl. Unterstützt wurden sie bei ihren Untersuchungen am Pulverdiffraktometer von TUM-Wissenschaftler Dr. Markus Hölzel und seinen Kollegen.

Die Forscher realisierten einen speziellen Messaufbau, um das Fluor bei sehr tiefen Temperaturen untersuchen zu können. Dazu verwendeten sie Materialien, die besonders widerstandsfähig gegenüber Fluor sind und eine sichere Handhabung gewährleisten.

Fluor: Elementar gefährlich, gebunden vielseitig genutzt

„Die extrem präzisen Messungen mit Neutronen sind wichtig, um Berechnungen für verschiedenste Anwendungen machen zu können“, sagt Kraus. „Bei anderen Elementen gibt es Kristallstrukturen in hoher Präzision bereits seit Jahren. So wurde die Kristallstruktur von Sauerstoff bereits 35 Mal untersucht und Kohlenstoff gar 108 Mal.“ Die intensive Erforschung liegt sicher auch daran, dass diese Elemente eine große Rolle spielen – sind sie doch zentrale Bausteine organischer Materie.

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Doch auch Fluor ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Fluoride werden unter anderem als Zusatz in Zahnpasta verwendet, es ist in Leuchtmitteln enthalten, die das kalte LED-Licht in ein warmes Weiß verwandeln. Auch in vielen Arzneimitteln setzt man Fluorverbindungen ein, um die Wirksamkeit zu erhöhen. Und in Teflonpfannen sorgt es als Polytetrafluorethylen dafür, dass keine Speisereste am Pfannenboden haften. Möglicherweise trägt die neu bestimmte Kristallstruktur von Fluor in Zukunft zu weiteren technischen Anwendungen des Elements bei.

Originalpublikation: Sergei I. Ivlev, Antti J. Karttunen, Markus Hoelzel, Matthias Conrad, Florian Kraus: The Crystal Structures of α- and β-F2 revisited. Chemistry - A European Journal, Volume 25, Issue 13; March 1, 2019; Pages 3310-3317; DOI: 10.1103/PhysRevX.9.011046

* Dr. A. Battenberg, A. Voit, Technische Universität München, 85748 Garching

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