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Abstandsmessungen mit der ESR-Spektroskopie
Die Grundlage der Abstandsmessungen mit ESR-Spektroskopie ist die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen Elektronenspins, die proportional zu 1/r3 vom Abstand r abhängt. Darüber hinaus ist sie jedoch auch vom Winkel zwischen externem Magnetfeld und Spin-Spin-Verbindungsvektor abhängig. Schnelle Orientierungsänderung des Spin-Spin-Vektors aufgrund der rotatorischen Diffusion des Lektins oder des Liganden in Lösung mittelt über alle Orientierungen und damit die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zu null. Deshalb werden die Abstandsmessungen in gefrorener, glasartiger Lösung durchgeführt, sodass nach Schockgefrieren ein Schnappschuss der Ligandenkonformation erhalten wird. Für Abstände unterhalb von 2 nm übersteigt die Dipol-Dipol-Kopplung die inhomogene Linienbreite des ESR-Spektrums. Eine Verbreiterung der Spektren ist die Folge, sodass es möglich ist, Abstände direkt aus dem Spektrum abzuleiten. Für Abstände, die größer sind als zwei Nanometer, ist die Dipol-Dipol-Kopplung zu klein, um zu einer signifikanten Verbreiterung der ESR-Spektren zu führen. In diesem Fall muss die Dipol-Dipol-Wechselwirkung von konkurrierenden Wechselwirkungen getrennt werden, was üblicherweise durch gepulste Experimente geschieht.
Doppel-Elektron-Elektron-Resonanz
Das Verfahren der Wahl ist Doppel-Elektron-Elektron-Resonanz (DEER) oder PELDOR (Pulsed Electron Double Resonance). Typische Probenvolumina für Abstandsmessungen sind einige zehn Mikroliter bei Mindestkonzentrationen von einigen zehn Mikromol pro Liter. Die Messzeit für ein DEER-Experiment beträgt typischerweise mehrere Stunden. Zwei spektral nicht überlappende Pulssequenzen (s. Abb. 2) regen verschiedene Bereiche des Nitroxidspektrums an, sodass die in der Probe vorhandenen Spins in A- und B-Spins unterteilt werden können. Um die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zu messen, wird mit der Pumpfrequenz ein Puls eingestrahlt, der die B-Spins invertiert. Diese Invertierung führt zu einer Änderung des lokalen Magnetfelds am Ort der A-Spins. Strahlt man nun den Pump-Puls zu verschiedenen Zeiten ein, wird die Intensität des refokussierten Echos V(t) der A-Spins aufgrund der Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen A- und B-Spin moduliert. Üblicherweise wird die Intensität V(t) gegen die Zeit aufgetragen (s. Abb. 3). Die Abstandsverteilung zwischen den Spinmarkern erhält man mittels quantitativer Analyse. Dabei wird über die Wahl eines Regularisierungsparameters ein Kompromiss zwischen Glätte der Abstandsverteilung und Anpassung an die (verrauschten) experimentellen Daten optimiert. Wenn die Ligandenmoleküle sich frei in der Lösung bewegen, dann sind sie flexibel und eine Mischung langer und kurzer Abstände zwischen den Spinmarkern wird detektiert. Bindet der Ligand hingegen in einer brückenartig gestreckten Bindung doppelt an ein Protein an, wird seine Flexibilität reduziert, und aus der ehemals breiten Abstandsverteilung wird eine relativ schmale. Über diese Abstandsinformationen können direkte Strukturinformationen über den Liganden gewonnen werden, sodass bestimmt werden kann, wie er an das Protein bindet. So ergaben DEER-Experimente der divalenten, doppelt spinmarkierten Liganden 1S und 2S (s. Abb. 1) ohne Zugabe von Lektinen eine breite Abstandsverteilung zwischen den Spinmarkern (s. Abb. 4). Dies zeigt die Flexibilität des Linkers zwischen den beiden spinmarkierten GlcNAc-Resten, die viele Konformationen mit unterschiedlichsten Spinlabel-Abständen ermöglicht (s. Abb. 5a).
Bei achtfachem molarem Überschuss des WGA-Dimers erwartet man nahezu quantitatives Binden des divalenten Liganden 1 an das Lektin. Unter solchen Bedingungen ändert sich die Abstandsverteilung zwischen den beiden Spinmarkern von 1S deutlich; ihre Breite wird geringer und ihr Maximum verschiebt sich zu 2,3 nm (s. Abb. 4, oben). Diese Daten zeigen, dass der divalente Ligand gestreckt ist und gleichzeitig mit beiden Zuckern an das Protein bindet (s. Abb. 5b). Im Gegensatz dazu bleibt die intramolekulare Abstandsverteilung für den divalenten Liganden 2S bei Zugabe von Lektin unverändert, da er aufgrund seines kürzeren Linkers nur monovalent an das Lektin bindet (s. Abb. 5c).
Durch die Auswertung von Abstandsverteilungen zwischen Ligandenmolekülen, die an das gleiche multivalente Proteinmolekül gebunden waren, gelang es zusätzlich, die bevorzugten Bindungsstellen zu identifizieren. Die Methode ist dabei keineswegs auf das gewählte System beschränkt, vielmehr besitzt sie das Potenzial für die Untersuchung vielfältiger Protein-Ligand-Wechselwirkungen.
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* Prof. Dr. V. Wittmann und Dr. M. Drescher: Universität Konstanz, Fachbereich Chemie, 78457 Konstanz
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