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Evolution von Antibiotikaresistenzen Bakterien im inneren Widerstreit – Wie sich Resistenzgene vererben

Von Christian Urban*

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Antibiotikaresistenzen werden durch Antibiotikagabe gefördert – jedenfalls, wenn die Medikation nicht ordnungsgemäß bis zum Ende durchgeführt wird. Doch die Resistenzbildung ist ein innerer Widerstreit: Während sie für das Bakterium vorteilhaft ist, stellt sie für die Plasmiden – die Erbinformationsspeicher der Mikrobe – mitunter einen Nachteil dar. Dieses Phänomen haben nun Kieler Forscher beschrieben.

Dr. Tanita Wein hat die Resistenzbildung und -vererbung in Bakterien untersucht.
Dr. Tanita Wein hat die Resistenzbildung und -vererbung in Bakterien untersucht.
(Bild: Institut für Allgemeine Mikrobiologie, CAU)

Kiel – Organismen entwickeln sich durch Mutationen im Erbgut weiter. Dies ist ein langwieriger Prozess, der in der Regel über viele Generationen hinweg erfolgt. Bei Bakterien geht dies jedoch schneller. Nicht nur sind die Generationszeiten mit Tagen oder gar wenigen Stunden deutlich kürzer als bei anderen Lebewesen. Auch liegt ein Teil ihrer Erbinformation in einer besonderen Form vor: in so genannten Plasmiden. Das sind genetische Elemente, die aus nur einem einzelnen DNA-Ring bestehen, nicht auf den Chromosomen vorliegen und sich eigenständig vervielfältigen können.

Bakterien ist es dank solcher Plasmide möglich, Erbinformationen sehr schnell untereinander und auch über die Grenzen verschiedener Bakterienarten hinweg zu übertragen. Dieser als horizontaler Gentransfer bezeichnete Prozess ist zentral an der Evolution von Mikroorganismen beteiligt und hilft ihnen dabei, sich schnell und flexibel an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Insbesondere für bakterielle Krankheitserreger ist dies ein großer Vorteil, weil sie schneller Resistenzen gegen Medikamente aufbauen können.

Ein Reservoir für Resistenzen

Ein Forscherteam vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) wies im vergangenen Jahr nach, dass Plasmide als häufige Träger von Resistenzgenen dauerhaft und auch ohne Selektionsdruck stabil in Bakterienzellen überdauern können. So können sie ein Reservoir für die Entwicklung von Resistenzen bilden, das schon bei einmaliger Antibiotikagabe zur Behandlungsunempfindlichkeit der nachfolgenden Bakteriengenerationen führen kann.

In einer nun anschließenden Arbeit haben die Wissenschaftler aus der CAU-Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie um Professorin Tal Dagan untersucht, welche Wirkung die Antibiotikagabe wiederum auf die Stabilität der Plasmide in den Bakterienzellen und damit ihren evolutionären Erfolg ausübt. Sie stellten fest, dass der von den Antibiotika ausgehende Selektionsdruck nicht immer die stabile Plasmid-Vererbung fördert – obwohl die Plasmide für die Zelle vorteilhafte Resistenzgene tragen.

Egal in welchem Zustand: Hauptsache es ist ein Resistenz-Plasmid

Das allgegenwärtige Vorkommen von Plasmiden in der Natur lässt zunächst vermuten, dass Plasmide eine stabile Vererbung entwickeln und langfristig beispielsweise in einer Bakterienpopulation erhalten bleiben – solange sie keinen negativen Einfluss auf die Fitness des Wirtslebewesens haben, etwa durch ihren Energiebedarf. Das Kieler Forschungsteam untersuchte daher, warum sich entgegen dieser Annahme nicht in allen Fällen eine Plasmid-Stabilität einstellt, obwohl ihre Anwesenheit unter Selektionsdruck vorteilhaft ist.

Dazu kultivierten die Forscher in Evolutionsexperimenten das Bakterium Escherichia coli jeweils mit und ohne Antibiotikagabe. So überprüften sie, wie sich im Vergleich die Anwesenheit der Plasmide über die Bakteriengenerationen entwickelte. „In Anwesenheit von Antibiotika muss jede Bakterienzelle eine Resistenz entwickeln, sonst stirbt sie. Daher überleben unter diesen Bedingungen alle Zellen, die ein Plasmid als Träger des Resistenzgens haben“, erklärt Erstautorin Dr. Tanita Wein. „Dabei ist es für die Bakterienzelle egal, in welchem Zustand sich das Plasmid befindet, und es überleben sowohl stabile als auch instabile Plasmid-Varianten.“

Gegenläufige Interessen bei der evolutionären Selektion

Bei der Antibiotika-Behandlung haben Plasmide die Tendenz, so genannte Multimere zu bilden, sich also aus mehreren einzelnen Plasmiden zu einer großen zusammenhängenden Struktur zusammenzuschließen. Wenn sich die Bakterienzelle anschließend teilt, geht das große Multimer mit dann mehreren Resistenzgenen nur in eine Tochterzelle über, die zweite neue Zelle erhält aber keines. Das dadurch wahrscheinlich verstärkte Plasmid mit seinen Resistenzgenen ist zwar für die Bakterienzelle von Vorteil, doch das hat seinen Preis: Es wird dadurch instabil, denn ohne den Selektionsdruck eines Antibiotikums gehen die großen Multimere wieder verloren.

Zusammenfassend bedeutet dies, dass die positive Selektion hinsichtlich der Antibiotikaresistenz dazu führt, dass nicht-optimale Plasmid-Varianten aufrechterhalten bleiben. Diese können aber langfristig nicht stabil vererbt werden.

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Diese Vorgänge zeigen, dass die Bakterienzellen und die Plasmide im übertragenen Sinne kein gemeinsames Interesse haben. Die evolutionäre Selektion ihrer Eigenschaften findet auf unterschiedlichen Ebenen statt und dient nicht immer dem Vorteil beider Beteiligter, obwohl sie in einem gemeinsamen Organismus existieren. „Im konkreten Fall bedeutet es, dass der durchs Plasmid vermittelte Vorteil für die Wirtszelle mit einem verringerten Erfolg für die Evolution der Plasmide einhergeht und die Interessen von Plasmid und Zelle in diesem Fall gegenläufig sind. Die Betrachtung von Plasmiden als sich autonom von ihren Wirtszellen entwickelnde Einheiten hilft also dabei, den Verlauf ihrer gemeinsamen Evolution besser zu verstehen“, erklärt Wein.

Das LP-Dossier „Antibiotikaresistenz“ Sie möchten mehr zum Thema „Multiresistente Keime“ erfahren? Dann besuchen Sie unser Dossier „Antibiotikaresistenz“, in dem wir entsprechende Artikel zu wichtigen Fortschritten aus der Medizinforschung zusammengestellt haben.

Besseres Verständnis der Resistenzevolution

Insgesamt könnten die neuen Kieler Forschungsergebnisse zu einem besseren Verständnis der Vererbungsprozesse bei Plasmiden und den damit verbundenen Konsequenzen für den Wirtsorganismus führen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eher schnell veränderliche Bedingungen wie die abwechselnde An- und Abwesenheit von Antibiotika und nicht so sehr eine konstante Selektion der Schlüssel zur schnellen Anpassung der Plasmide sind“, betont Forschungsleiterin Dagan. „Unsere Erkenntnisse könnten daher auch auf die Prozesse anwendbar sein, die bei Krankheitserregern zur Entstehung von Multiresistenzen gegenüber verschiedenen Wirkstoffen führen.“

Tanita Wein, Yiqing Wang, Nils F. Hülter, Katrin Hammerschmidt, Tal Dagan (2020): Antibiotics interfere with the evolution of plasmid stability. Current Biology First published on 13 August 2020 DOI: 10.1016/j.cub.2020.07.019

Originalpublikation: Tanita Wein, Yiqing Wang, Nils F. Hülter, Katrin Hammerschmidt, Tal Dagan: Antibiotics interfere with the evolution of plasmid stability, Current Biology, First published on 13 August 2020, DOI: 10.1016/j.cub.2020.07.019

* C. Urban, Christian-Albrechts- Universität zu Kiel, 24118 Kiel

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