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Werkzeuggebrauch von Geradschnabelkrähen Das schafft kein Vierjähriger: Krähen bauen Verbundwerkzeuge

Autor / Redakteur: Dr. Sabine Spehn / Dr. Ilka Ottleben |

Anthropologen sehen im Verbinden mehrerer einzelner Komponenten zu einem neuen, funktionsfähigen Verbundwerkzeug einen wichtigen Schritt in der Evolution des menschlichen Gehirns, der möglicherweise mit der Entwicklung von komplexem Bewusstsein und Sprache einhergeht. Kinder fangen erst im Alter von etwa fünf Jahren an, neue Werkzeuge zu erfinden, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Sehen Sie hier, wie eine Krähe genau dies vormacht.

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Eine Geradschnabelkrähe benutzt einen Stab als Werkzeug.
Eine Geradschnabelkrähe benutzt einen Stab als Werkzeug.
(Bild: © Auguste von Bayern)

Seewiesen –Ein internationales Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen und der Universität Oxford haben herausgefunden, dass Geradschnabelkrähen mehrere, für sich alleine zu kurze Elemente kombinieren, um an einen Leckerbissen heran zu kommen – eine Fähigkeit, die bisher nur bei Menschen und Menschenaffen beobachtet wurde. Die Krähen können also neuartige Probleme schnell und flexibel lösen. Welche Vorgänge dabei im Gehirn ablaufen, ist jedoch noch unklar.

Bau von Verbundwerkzeugen bislang nur von Menschen und Affen bekannt

Das Verbinden mehrerer einzelner Komponenten zu einem neuen, funktionsfähigen Werkzeug wurde bisher nur bei Menschen und Affen beobachtet. Anthropologen sehen die Entstehung dieser Fähigkeit bei unseren Vorfahren als wichtigen Schritt in der Evolution des menschlichen Gehirns. Auch in der menschlichen Individualentwicklung treten ähnliche Fähigkeiten erst spät auf. Babys beginnen ungefähr im Alter von 18 Monaten, Werkzeuge zu benutzen. Jedoch fangen sie erst im Alter von ca. fünf Jahren an, neue Werkzeuge zu erfinden, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Das Gehirn muss sich die neuen Objekte dafür vermutlich zunächst in Gedanken vorstellen und dann die Ausführung planen. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Verbundwerkzeuge erst spät in der kulturellen Entwicklung des Menschen aufgetaucht sind und möglicherweise mit der Entwicklung von komplexem Bewusstsein und Sprache einhergehen.

Für geschickten Werkzeuggebrauch sind auch Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) bekannt. Wissenschaftler um Auguste von Bayern vom Max-Planck-Institut für Ornithologie Seewiesen und Alex Kacelnik von der Universität Oxford wollten nun wissen, ob die Krähen auch in der Lange sind, Verbundwerkzeuge herzustellen, um an Futter außer Reichweite zu gelangen.

Futter in der Kiste – was unternimmt die Krähe?

Nur wenn die Krähe die einzelnen Stäbchen aneinanderfügt, kann sie an das Futter in der Kiste herankommen.
Nur wenn die Krähe die einzelnen Stäbchen aneinanderfügt, kann sie an das Futter in der Kiste herankommen.
(Bild: © Alice Auersperg und Caitlin Hamilton)

Die Forscher haben acht Geradschnabelkrähen eine Kiste präsentiert, die diese zuvor noch nie gesehen hatten. Sie enthielt einen kleinen Behälter mit einem Leckerbissen, der hinter einer durchsichtigen Tür mit einem Spalt für die Schnäbel nicht zu erreichen war. Zu Beginn der Versuchsreihe stand den Tieren ein langer Stab zur Verfügung, den sie durch den Spalt in die Kiste stecken konnten, um damit das Futter durch eine seitliche Öffnung heraus zu schieben. Alle acht Vögel schafften das ohne Schwierigkeiten. Dann platzierten die Wissenschaftler das Futter nach hinten in die Box und stellten den Krähen verschiedene längliche und hohle Elemente zur Verfügung, die diese zusammenstecken konnten. Für sich alleine waren sie aber zu kurz, um bis zum Futter zu reichen.

Am Ende des Experiments mit fünf Schwierigkeitsstufen blieb immerhin noch ein Vogel übrig, der Werkzeuge aus drei und sogar vier Einzelteilen bastelte. „Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, denn die Geradschnabelkrähen bekamen keine Hilfe und auch kein Training, um diese Werkzeuge zu bauen, sie haben ganz alleine herausgefunden, wie sich das Problem lösen lässt“, sagt Auguste von Bayern, Erstautorin der Studie.

Sehen Sie hier: Geradschnabelkrähen setzen Verbundwerkzeuge ein, um an einen Leckerbissen in einer Box zu gelangen (© Alex Kacelnik/Auguste von Bayern):

Tiere als flexible Problemlöser

Die zugrundeliegende mentale Verarbeitung konnten die Forscher mit diesem Versuch jedoch nicht klären. Alex Kacelnik von der Universität Oxford sagt: „Die Ergebnisse zeigen, dass diese Tiere ausgeprägte flexible Fähigkeiten haben, mit denen sie in der Lage sind, neuartige Probleme schnell zu lösen. Eventuell simulieren sie das Problem, indem sie mögliche Abläufe im Gehirn wieder und wieder durchspielen. Haben sie eine funktionierende Möglichkeit entdeckt, führen sie diese dann aus.“

Die Tatsache, dass Geradschnabelkrähen Verbundwerkzeuge erstellen können, bedeutet aber nicht, dass die zugrunde liegenden Prozesse im Gehirn die gleichen sein müssen, wie bei Menschen oder Menschenaffen. Für die Wissenschaftler eröffnet sich aber damit eine Möglichkeit, die gedanklichen Prozesse, die für das Erfinden und den Bau von neuen Werkzeugen nötig sind, weiter zu erforschen.

Originalveröffentlichung: A.M.P. von Bayern, S. Danel, A.M.I. Auersperg, B. Mioduszewska, A. Kacelnik: Compound tool construction by New Caledonian crows; Scientific Reportsvolume 8, Article number: 15676 (2018)

* Dr. S. Spehn: Max-Planck-Institut für Ornithologie, 82319 Seewiesen

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