Protein beeinflusst Reizübertragung Dicke Nerven für schnellere Reaktion
Reize werden im Gehirn über biologische Kabel, so genannte Axone, weitergeleitet. Dickere Axone ermöglichen dabei eine schnellere Weiterleitung. Nun haben Forscher eine Möglichkeit gefunden, die Axondicke und damit die Geschwindigkeit der Reizweiterleitung bei Mäusen zu erhöhen. Dies könnte für die Behandlung mancher Nervenkrankheiten relevant sein.
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Göttingen – Langsam pirscht sich die Katze heran. Doch ein falscher Schritt – das Knacken eines Zweigs – und die Maus flieht in ihr sicheres Versteck. Damit Tiere und auch wir Menschen rasch auf Reize aus der Umwelt reagieren können, müssen Nervenimpulse entlang der Nervenfortsätze, so genannter Axone, schnell und präzise weitergeleitet werden. Die Axone sind sozusagen die Kabel im Gehirn, die unterschiedliche Nervenzellen miteinander verbinden und den Alarmreiz an die Muskeln weiterleiten.
Die Geschwindigkeit, mit der die Reizweiterleitung geschieht, wird unter anderem vom Durchmesser der Axone beeinflusst. Sind sie dicker, setzen sie dem elektrischen Reiz weniger Widerstand entgegen, wodurch er schneller weitergeleitet werden kann. Wirbellose Tiere wie der Tintenfisch besitzen teilweise sehr große Axone, um hohe Übertragungsgeschwindigkeiten erreichen zu können.
Warum Wirbeltiere trotz dünner Nerven schnell reagieren
Im Nervensystem von Wirbeltieren dagegen wurde im Laufe der Evolution die Reizweiterleitung auf andere Weise erhöht. Es bildete sich Myelin: eine Biomembran, die Nervenfasern mit einer mehrlagigen, fettreichen Schicht umgibt und elektrisch isoliert. Diese Isolationsschicht entstammt so genannten Schwannzellen, die dicht um die Axone gewickelt sind und selbige in das Myelin einhüllen. Durch Myelin ist die Erregungsleitung auch bei Axonen mit kleinem Durchmesser sehr schnell.
Das ist aus mehreren Gründen für die Wirbeltiere von Vorteil: Zum einen verbrauchen kleinere Axone weniger Energie und weniger Platz. Dadurch passen mehr Axone in eine Nervenbahn und erlauben so eine hohe Präzision bei der Übertragung von Reizen und die Entwicklung komplexer kognitiver Funktionen. Zum anderen ist durch die Isolierung der Axone eine schnelle Reizweiterleitung auch über lange Strecken möglich, wie sie bei großen Tieren wie z.B. der Giraffe nötig ist. Kleine, myelinumhüllte Axone haben der Evolution also völlig neue Möglichkeiten eröffnet.
Eine noch offene Frage war, ob die Myelin-bildenden Schwannzellen nur eine schnelle Reizweiterleitung ermöglichen, oder vielleicht sogar aktiv die Durchmesser der Axone begrenzen.
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Protein ausgeschaltet – Reizübertragung beschleunigt
Am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin erforschen Dr. Hauke Werner und seine Arbeitsgruppe den Zusammenhang zwischen Myelin und der Funktionalität von Axonen. Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universitäten Göttingen, Leipzig und Mainz sowie dem Max-Planck-Institut für medizinische Forschung haben sie nun ein im Nervensystem bisher unbekanntes Protein der Schwannzellen untersucht, das in direktem Kontakt mit den Axonen steht.
In ihrer Studie schalteten die Forscher dieses Protein mit der Bezeichnung CMTM6 in den Schwannzellen von Mäusen genetisch aus. Dadurch entwickelten die Mäuse deutlich dickere Axone als ihre Artgenossen. Elektrophysiologische Untersuchungen der Nervenzellen zeigten, dass die Nervenleitgeschwindigkeit in diesen Mäusen erhöht ist. Andere Komponenten des Nervensystems waren unverändert, weshalb die Forscher die schnellere Reizübertragung auf die dickeren Axone zurückführten.
Keine Supermäuse trotz Super-Reaktion
Auch im Verhalten der Mäuse beobachteten die Forscher diese schnelleren Reaktionen. „Setzten wir die Mäuse auf eine beheizte Platte, reagierten die Tiere mit den dickeren Axonen deutlich schneller auf den Hitzereiz“, sagt Maria Eichel, Erstautorin der Studie.
Die schnelle Reizweiterleitung stellte die Mäuse jedoch auch vor Probleme. Ließen die Wissenschaftler die Mäuse über ein Gitter laufen, rutschen die genetisch veränderten Mäuse öfter von den Stäben ab als ihre Artgenossen. „Die Tiere hatten wahrscheinlich Probleme, die sehr schnell weitergeleiteten Reize richtig zu koordinieren“, erklärt Eichel. Durch das Ausschalten des Proteins CMTM6 haben die Forscher also keine „Supermäuse“ erschaffen.
Therapieansatz für neuronale Krankheit
Die Versuche mit den genetisch veränderten Tieren liefern jedoch eine mögliche Grundlage für die Therapie neuronaler Erkrankungen. In vielen dieser Erkrankungen ist die Reizweiterleitung gestört. Bei Patienten mit der Charcot-Marie-Tooth-Krankheit etwa sind Axone mit reduziertem Durchmesser eine Krankheitsursache. „Das Protein CMTM6 könnte ein Ansatzpunkt für die Therapie solcher Krankheiten sein“, sagt Eichel.
Im nächsten Schritt wollen die Forscher daher in Mäusen, die durch genetische Veränderungen bestimmte neurologische Erkrankungen entwickeln, zusätzlich das Protein CMTM6 ausschalten und untersuchen, ob sich das Krankheitsbild dadurch verbessert.
Originalpublikation: Maria A. Eichel, Vasiliki-Ilya Gargareta, Elisa D’Este, Robert Fledrich, Theresa Kungl, Tobias J. Buscham, Katja A. Lüders, Cristina Miracle, Ramona B. Jung, Ute Distler, Kathrin Kusch, Wiebke Möbius, Swen Hülsmann, Stefan Tenzer, Klaus-Armin Nave & Hauke B. Werner: CMTM6 expressed on the adaxonal Schwann cell surface restricts axonal diameters in peripheral nerves, Nature Communications, Volume 11, Article number: 4514 (2020); DOI: 10.1038/s41467-020-18172-7
(ID:46864325)