WM-Ball hat Abschlusstest bestanden Die sieben Prüfungen für den WM-Fußball
Er wurde getreten, gequetscht, gegen eine Wand geschmettert und in Wasser gedrückt. Wie seine Vorgänger musste auch der diesjährige WM-Fußball „Telstar 18“ vor seinem Debüt in Russland einiges über sich ergehen lassen. Nach sieben bestandenen Tests hat er nun das Gütesiegel der Empa erhalten – und kann hoffentlich trotz manch „flatterhafter“ Kritik auf dem Platz überzeugen.
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St. Gallen/Schweiz – Fußball lebt von Emotionen. Wenn es um den diesjährigen WM-Ball geht, sind die Experten der Empa allerdings völlig emotionslos. Fragt man sie nach ihrem Eindruck zu den bereits des Öfteren bemängelten Flugeigenschaften des Adidas-Modells „Telstar 18“ wehren sie ab: „Eindrücke sind etwas Subjektives“, sagt Martin Camenzind vom Laboratory for Biomimetic Membranes and Textiles. „Wir verlassen uns auf objektive Parameter, die den Telstar 18 charakterisieren.“
Dass Kritiker, wie Spaniens Torhüter David De Gea und Pepe Reina oder der deutsche Nationaltorwart Goalie Marc-André ter Stegen dem Ball „Flatterhaftigkeit“ unterstellen, beeindruckt Camenzind daher kaum. Die eigens an der Empa in St. Gallen für offizielle Turnierfußbälle entwickelte Testreihe hat der Telstar 18 jedenfalls erfolgreich bestanden, und nur das zählt für den Empa-Forscher.
Schießen, Springen, Luft anhalten – was ein WM-Ball leisten muss
Seit 22 Jahren führt die Empa im Auftrag der FIFA die unbestechlichen Versuchsreihen mit Fußbällen durch, die das Gütesiegel des FIFA-Qualitätsprogramms anstreben (s. Bildergalerie). Längst nicht jeder Ball besteht die Probe. Hier werden nicht nur Umfang und Gewicht des Balls gemessen. Er darf außerdem trotz 250-maligem Quetschen in einem Wasserbehälter nur minimale Mengen an Flüssigkeit aufnehmen, muss seine Luft halten können und immer wieder gleich hoch abspringen, wenn er aus zwei Metern Höhe aufprallt. Um zu beweisen, dass es sich um eine perfekte Kugel handelt, wird der Ball zudem an 4000 Punkten vermessen. Und schließlich muss diese Kugel ihre Form auch behalten, wenn sie 2000 Mal mit 50 Stundenkilometern gegen eine Stahlwand geschossen wurde.
Derartige Standards entscheiden mit über die Qualität und Konsistenz der Sportart. Als die Testreihen eingeführt wurden, gelang es noch nicht allen Herstellern, die verlangten Eigenschaften zu erzielen: „Es fielen immer wieder Exemplare durch“, erinnert sich Camenzind. Mancher Lederball hätte etwa deutlich an Größe zugenommen nach der Prozedur oder zu viel Wasser aufgesogen. Die heutigen Bälle seien denn auch geklebt oder geschweißt, da Nähte mit der Zeit nachgeben könnten. Ebenso ist das traditionelle Leder mehrheitlich Kunststoffen gewichen, deren Oberfläche gezielt strukturiert wird, was besonders bei Nässe auf dem Feld eine griffigere Führung des Balls ermöglichen soll.
Flatterndes Flugverhalten?
Die Oberfläche des Balls ist es auch, die Kritikern zufolge für dessen unberechenbaren Flug sorgt. Telstar 18 sei ein merkwürdiges, flatterndes Exemplar, behaupten Torhüter verschiedener WM-Teams, die den Ball bereits testen durften. Doch Camenzind kontert: „Hier kommt auch die Optik mit ins Spiel“, erklärt der Ingenieur. Telstar 18 ist nicht aus den traditionellen Sechs- und Fünfecken aufgebaut, sondern aus unregelmässigen Elementen, die unsymmetrisch bedruckt sind. So könne der fliegende Ball bei entsprechenden Lichtverhältnissen durchaus ein ungewohnter Anblick sein. „Wir konnten in einer Studie mit einem computergesteuerten Fuß zeigen, dass Bälle, bei denen ein flatterndes Flugverhalten bemängelt wurde, sich im Experiment bei definierten Verhältnissen keineswegs so verhielten.“
Trifft Fuß auf Ball: Physik in Millisekunden
Dass die Flugbahn eines Fußballs ohnehin eine komplexe und mitunter – gemäß Theorie der Aerodynamik – auch chaotische Angelegenheit ist, machen sich die wahren Könner zunutze. Denn anders als ein stromlinienförmiges Geschoss, das eine perfekte Parabel beschreibt, verformt sich der Ball, beispielsweise wenn ihn der Spieler tritt. „Die Deformation durch den auftreffenden Fuß gibt dem Ball zunächst eine etwas wabbelige Bewegung“, erklärt Camenzind.
Gute Spieler machten sich diesen Effekt zu Nutze, nach dem Motto „bend it like Beckham“. Hierbei handele es sich jedoch eigentlich nicht um Zauberkunst, sondern um akkurat angewandte Physik. Und die muss gut einstudiert sein, denn sobald der Fuß wenige Millisekunden am Ball ist, kann der Spieler seine Bewegung nicht mehr willentlich beeinflussen. Die Zeit reicht einfach nicht aus, um Nervenimpulse vom Fuß bis ins Gehirn zu leiten und ein taktisch ausgefeiltes Feedback an die Muskulatur des Spielers zu senden. Und so muss in der Kürze des Schusses die Physik von Fuß und Ball perfekt sitzen. Bälle von gleichbleibender Qualität tragen dazu bei, dass dies gelingt.
Das Video zeigt, wie der Telstar 18 am Empa auf Herz und Nieren geprüft wird.
* Dr. A. Six, Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), 9014 Dübendorf/Schweiz
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