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Kristallstrukturanalyse Direkte Kristallstrukturanalysen an Nanopartikeln möglich

Autor / Redakteur: Ute Kolb*, Tatiana E. Gorelik* und Enrico Mugnaioli / Dipl.-Chem. Marc Platthaus |

Durch die Entwicklung der Elektronenbeugung als tomographische Methode können jetzt von einem einzigen Nanopartikel dreidimensionale Beugungsdaten erhalten werden, die eine direkte Strukturanalyse auch strahlempfindlicher Materialien erlaubt.

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Abb. 1: Beugungsbild eines orientierten Kristalls (links), Beugungsbild eines unorientierten Kristalls (Mitte) und aus 121 Einzelbildern rekonstruierte dreidimensionale Intensitätsverteilung. (Bild: Kolb et al., Universität Mainz)
Abb. 1: Beugungsbild eines orientierten Kristalls (links), Beugungsbild eines unorientierten Kristalls (Mitte) und aus 121 Einzelbildern rekonstruierte dreidimensionale Intensitätsverteilung. (Bild: Kolb et al., Universität Mainz)

Die physikalischen Eigenschaften eines Festkörpers werden besonders von dessen Struktur, also von der Anordnung der Atome zueinander bestimmt. Die Analyse dieser Strukturen ermöglicht es, diese Zusammenhänge zu verstehen und Materialeigenschaften gezielt einzustellen oder zu modifizieren. Mit der Entdeckung der Röntgenstrahlung 1895 und der ersten Strukturanalyse eines Kochsalzkristalls von Vater und Sohn Bragg 1912 wurde die Methode der Röntgen-Einkristall-Strukturanalyse begründet und entwickelte sich schnell zu einer Standardmethode. Um verwendbare Röntgenbeugungsdaten aufnehmen zu können, benötigt man allerdings einen Kristall, der Abmessungen im µm-Bereich aufweist. Durch die Röntgenbeugung an einem Ensemble statistisch verteilter Kristallite, der Röntgen-Pulver-Beugung, kann diese Größenlimitierung umgangen werden. Während die Beugung an einem einzelnen Kristall eine dreidimensionale Intensitätsverteilung liefert, überlappen sich, bei der simultanen Messung vieler Kristallite, die Intensitäten zu einer eindimensionalen Verteilung. Eine Bestimmung von Zellparametern sowie die Strukturanalyse aus Röntgen-Pulver-Beugungsdaten werden damit oft erschwert oder gar unmöglich. Insbesondere treten Probleme auf, wenn es sich um ein Material mit großer Einheitszelle und niedriger Symmetrie, ein Gemisch aus mehreren Phasen oder um Nanopartikel handelt.

Elektronenmikroskopie zur Charakterisierung von Nanopartikeln

Für die Charakterisierung von Nanopartikeln ist besonders die Elektronenmikroskopie geeignet, da die, im Vergleich zu Röntgenstrahlung, weitaus stärkeren Wechselwirkungen der Elektronen mit Materie eine Vermessung kleinster Volumina erlaubt. Außerdem können Abbildung und Beugung einer Probenstelle miteinander korreliert werden. Während für die hochauflösende Abbildung eines Partikels in der Regel eine relativ hohe Elektronendosis benötigt wird, benötigen Beugungsaufnahmen, die Schnitte durch die Intensitätsverteilung im reziproken Raum (Zonen) wiedergeben, nur wenig Strahlintensität. Traditionell werden die zu untersuchenden Kristalle so zum Elektronenstrahl ausgerichtet, dass möglichst viele Reflexe in symmetrischer Anordnung in einer Zone zu finden sind. Die in dieser Stellung verstärkten dynamischen Beugungseffekte erschweren eine Strukturanalyse stark und können nur durch eine starke Präzession des Elektronenstrahls reduziert werden.

Beugungstomographie – weniger dynamische Effekte

Die neu entwickelte automatische Beugungstomographie (= Automated Diffraction Tomography, ADT) verwendet einen nicht orientierten Kristall und weist somit wesentlich weniger dynamische Effekte auf. Die Abtastung des dreidimensionalen Intensitätsraums durch sukzessives Kippen des Kristalls liefert eine, im Vergleich zu traditionellen Methoden, stark verbesserte Abdeckung des reziproken Raums und nahezu vollständige Beugungsdaten. Zur besseren Integration kann der Elektronenstrahl zusätzlich in kleinem Winkel präzediert werden. Abbildung 1 zeigt ein orientiertes und ein tomographisches Beugungsbild im Vergleich. Im Gegensatz zu traditionellen Beugungsbildern können tomographische Beugungsbilder nicht mehr manuell ausgewertet werden; sie müssen zu einem dreidimensionalen Volumen (s. Abb. 1) rekonstruiert werden. Die Verarbeitung und Analyse der tomographischen Daten wird mithilfe einer selbst entwickelten Software (ADT3D) durchgeführt.

Schon die visuelle Analyse des rekonstruierten reziproken Raums liefert wertvolle Aussagen über strukturelle Besonderheiten des untersuchten Kristalls. So können Überstrukturen, Verzwilligungen, zusätzliche Kristallite und Unordnungseffekte erkannt werden. Die Bestimmung der Zellparameter wird über eine Clusteranalyse der Reflexlagendifferenzen durchgeführt. Die zur Bestimmung der Raumgruppe wichtigen Auslöschungen können direkt im rekonstruierten Volumen beobachtet werden. Die nach der Indizierung extrahierten Intensitäten können wiederum direkt in gängigen Strukturanalyseprogrammen verwendet werden [1-3].

Die Methode der automatischen Beugungstomographie ADT wurde bereits an über 40 Materialien der unterschiedlichsten Verbindungsklassen (Minerale, Zeolite, Hochdruckphasen, Thermoelektrika, Phosphate, oxidische Schichtstrukturen, organisch-anorganische Hybridmaterialien, metallorganische Netzwerke, Pharmaka, Pigmente, Amide) erfolgreich angewandt. Verwendet wurden dazu Kristalle von 1 µm bis zu einer Größe von 30 nm. Das größte analysierte Zellvolumen lag bei 33000 Å3 [4]. Einige ausgewählte Beispiele sind in den Abbildungen 2 und 3 dargestellt [5]. n

Literatur

[1] Towards automated diffraction tomography. Part I - Data Acquisition, U. Kolb, T. Gorelik, C. Kübel, M.T. Otten and D. Hubert, Ultramicroscopy, 107, 507-513 (2007).

[2] Towards automated diffraction tomography. Part II - cell parameter determination, U. Kolb, T. Gorelik, M.T. Otten, Ultramicroscopy, 108, 763 (2008)

[3] “Ab initio” structure analysis from electron diffraction data obtained by a combination of automated diffraction tomography and precession technique, E. Mugnaioli, T. Gorelik, U. Kolb, Ultramicroscopy 109, 758 (2009).

[4] Solution Synthesis of a new thermoelectric Zn1+xSb nanophase and its structure determination using automated electron diffraction tomography, C. Birkel, E. Mugnaioli, T. Gorelik, M. Panthöfer, U. Kolb and W. Tremel, J.A.C.S. 132(28) 9881-9889 (2010)

[5] Elucidating Gating Effects for Hydrogen Sorption in MFU-4 Type Triazolate-based MOFs Featuring Different Pore Sizes, D. Denysenko, M. Grzywa, M. Tonigold, B. Schmitz, I. Krkljus, M. Hirscher, E. Mugnaioli, U. Kolb, J. Hanns and D. Volkmer, Chem. Eur. J. 17, 1837 – 1848 (2011)

[6] The structure of charoite, (K,Sr,Ba,Mn)15-16(Ca,Na)32[(Si70(O,OH)180)](OH,F)4.0* nH2O, solved by conventional and automated electron diffraction, I. Rozhdestvenskaya, E. Mugnaioli, M. Czank, W. Depmeier, U. Kolb, A. Reinholdt, T. Weirich, Mineralogical Magazin,74(1), 159-177 (2010)

[7] Essential features of the polytypic charoite-96 structure compared to charoite-90, Rozhdestvenskaya I., Mugnaioli E., Czank M., Depmeier W., Kolb U., Merlino S., Mineral. Magazine, in print (2011)

[8] Structure Analysis of Titanate Nanorods by Automated Electron Diffraction Tomography, Andrusenko, E. Mugnaioli, T. E. Gorelik, D. Koll, M. Panthöfer, W. Tremel, U. Kolb, Acta Cryst. B67, 218-225 (2011).

[9] Synthesis and Structure Determination of the Hierarchical MESO-Microporous Zeolite ITQ-43, Jiang J., Jorda J.L., Yu J., Baumes L.A., Mugnaioli E., Diaz-Cabanas M.J., Kolb U., Corma A., Science 333(6046), 1131–1134 (2011)

* U. Kolb, T. E. Gorelik und E. Mugnaioli: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Physikalische Chemie, 55128 Mainz

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