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Wie Ameisen auf Sklavenhalter reagieren Evolutionäres Wettrüsten im Ameisenstaat

Redakteur: Christian Lüttmann

Sie unterwerfen ganze Kolonien und lassen diese für sich arbeiten. Sklavenhalterameisen sind Brutparasiten, die andere Ameisen ausnutzen. Eine Studie von Forschern der Universität Mainz zu Verhalten und Genaktivität der überfallenen Insekten zeigt nun, warum die Opfer manchmal widerstandslos in die Sklaverei gehen.

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Eine sklavenhaltende Ameise der Art Temnothorax americanus (l.) interagiert mit einer Wirtsameise (Temnothorax longispinosus) bei einer Nestinvasion.
Eine sklavenhaltende Ameise der Art Temnothorax americanus (l.) interagiert mit einer Wirtsameise (Temnothorax longispinosus) bei einer Nestinvasion.
(Bild: Romain Libbrecht)

Mainz – Ameisen gehören zu den staatenbildenden Insekten. Doch nicht jede Art lebt in Kolonien von Tausenden oder gar Millionen Individuen. Temnothorax americanus beispielsweise haben lediglich eine Königin und zwei bis fünf Arbeiterinnen in ihrem Mini-Staat – bis sie auf die Suche nach Opfern gehen.

Die im Nordosten Amerikas lebende Art trägt zu Recht den Namen Sklavenhalterameise. Denn die kleinen Tiere kümmern sich selbst weder um die Aufzucht ihrer Brut noch um die Futtersuche. Stattdessen überfallen sie Nester einer anderen Ameisenart, Temnothorax longispinosus, entführen die Larven und Puppen und bringen sie zurück in ihr eigenes Nest. Sobald die geraubten Tiere erwachsen sind, müssen sie die fremde Brut versorgen, Futter suchen, die Sklavenhalter füttern und sogar deren Nest verteidigen. Die Sklavenhalter können in ihrer Kolonie so 30 bis 60 Sklaven beschäftigen.

T. americanus gehört, wie bei den Vögeln der Kuckuck, zu den Brutparasiten, die nicht den Körper ihres Wirts, sondern deren Sozial- oder Brutpflegeverhalten ausnutzen. Mit ihren Wirten liefern sich die Sozialparasiten ein „koevolutionäres Wettrüsten“: Die Parasiten perfektionieren die Ausbeutung ihres Wirts, während der Wirt immer noch bessere Verteidigungsstrategien entwickelt. Bei geringem Parasitendruck reagiert T. longispinosus auf einen Angriff mit koordinierten Kämpfen, wechselt aber von der Kampf- zur Fluchtstrategie in einer stärker parasitären Umgebung. Wie sich dieser Zusammenhang und die jeweiligen Reaktionen genau verhalten, hat die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Susanne Foitzik am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie der Johannes-Gutenberg Universität.

Versklavung unter dem Auge der Wissenschaft

Für ihre Experimente haben die Forscher Kolonien von Wirtsameisen in Eicheln, Stöcken und Gesteinsspalten aus acht verschiedenen Gebieten im Osten Nordamerikas gesammelt. Sklavenhalterameisen fanden sich in fünf dieser acht Regionen. Dann haben die Biologen untersucht, wie sich die Ameisen verhalten, wenn sie aufeinandertreffen, wobei die Ameisen aller Regionen gegeneinander getestet wurden. Dabei fanden die Forscher heraus, dass es auf die Eindringlinge ankommt, wie der Überfall abläuft. „Das Verhalten der Wirte erklärt sich allein damit, wo die Sklavenhalter herkommen“, fasst Foitzik zusammen.

Wird also ein Nest der Wirtsameisen T. longispinosus überfallen, dann ist es für die Verteidigerinnen wichtiger, aus welcher Umgebung der Angreifer kommt, als aus welcher geografischen Umgebung sie selbst stammen. Genauer gesagt spielt es für die Verteidigung der Wirtsameisen eine entscheidende Rolle, ob die angreifenden Sklavenhalter aus einem Gebiet mit einer erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Population stammen. Kommen die Sklavenhalter aus einem Gebiet, in dem Sklavenhalter selten sind, reagieren die Wirtsameisen auf die Eindringlinge aggressiv. Kommen die Invasoren jedoch aus einer Gegend, in der Sklavenhalter häufig sind, erkennen die Wirte sie nicht und reagieren deshalb nicht mit Aggression. Dieser Verhaltensunterschied in der Reaktion, so ergab die Studie weiter, zeigt sich auch an der Aktivität von Aggressionsgenen im Gehirn der Ameisen.

Ameisen im Tarnkappenmodus

Wie sich in der Studie zeigte, können die Sklavenhalterameisen je nach Herkunft unterschiedlich gut ihre Anwesenheit mit einem „Tarnkappenmodus“ verschleiern. Normalerweise erkennen sich Ameisen über Duftstoffe, die von der Körperoberfläche, der Kutikula, ausgehen. So unterscheiden sie befreundete Koloniemitglieder von unwillkommenen Eindringlingen. Sklavenhalterameisen tragen allerdings möglichst wenige dieser kutikulären Kohlenwasserstoffe auf der Haut. Erfolgreiche Parasitenpopulationen verströmen besonders wenig solcher Signalstoffe, die anderen zur Erkennung dienen könnten. „Die Sklavenhalter setzen sich eine Tarnkappe auf und bleiben damit unter dem Radar“, beschreibt Foitzik das Verhalten der Angreifer. „Wenn ihnen dies gelingt, dann sehen wir auch weniger Veränderung in der Aktivität der Gene der Wirtsameisen.“ Die Bruträuber können dann unbemerkt und ungehindert in ein Wirtsnest eindringen.

Invasoren aus erfolgreichen Populationen schaffen es also, in der fremden Kolonie unerkannt zu bleiben und stoßen dann auf eine schwächere Verteidigung. Dies spiegelt sich in der Genaktivität der Wirtsameisen wider: „Für die Genexpression der verteidigenden Wirtsameisen spielt es keine Rolle, wo sie selbst herkommen, sondern der ökologische Erfolg des angreifenden Parasiten in seiner ursprünglichen Umgebung ist entscheidend“, betont Foitzik. „Man könnte sagen, was im Gehirn der Ameisen passiert, hängt davon ab, auf wen ich treffe und nicht wer ich bin.“

Originalpublikation: R. Kaur et al.: Ant behaviour and brain gene expression of defending hosts depend on the ecological success of the intruding social parasite. Philosophical Transactions of the Royal Society B 374:20180192, 11. Februar 2019; DOI: 10.1098/rstb.2018.0192

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