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Evolution in Echtzeit Gemeinsam stark – vom Einzeller zu mehrzelligem Leben

Von Dr. Maria Schorpp*

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Allein sind sie schutzlos, doch wenn einzellige Algen zu kleinen Kolonien zusammenkleben, bringt ihnen das einen Überlebensbonus. Den Weg vom Einzeller zu mehrzeiligem Leben haben Forscher der Universität Konstanz nun live nachverfolgt. Dabei zeigte sich, dass die Evolution wieder und wieder den gleichen Weg geht.

Rädertierchen fressen einzellige Algen, die hier im Bild grün hervorgehoben sind.
Rädertierchen fressen einzellige Algen, die hier im Bild grün hervorgehoben sind.
(Bild: AG Becks/Uni Konstanz)

Konstanz – Wie werden aus einzelnen Zellen mehrzelliges Leben? Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Lutz Becks am Limnologischen Institut der Universität Konstanz ist bei der Erklärung dieses komplexen Prozesses einen Schritt weitergekommen. Die Forscher haben im Laborversuch nachgewiesen, dass die einzellige Grünalge Chlamydomonas reinhardtii in nur 500 Generationen Mutationen aufzeigt, die den ersten Schritt hin zu mehrzelligem Leben erlauben.

Damit haben die Wissenschaftler eine gängige Theorie zur Entstehung von mehrzelligem Leben experimentell bestätigt. Gemäß der Theorie ist die Evolution von Zellgruppen und die nachfolgenden Schritte zur Mehrzelligkeit daran geknüpft, dass Zellgruppen besser sind als einzelne Zellen – und zwar sowohl in ihrer Fortpflanzung als auch in der Überlebenswahrscheinlichkeit

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Zu groß für den Fraßfeind

Als Bedingung für die Entwicklung von Kolonien mit hoher Überlebenswahrscheinlichkeit und gleichzeitiger hoher Reproduktion erzeugten die Forscher in ihrem Experiment mit den Einzellern einen Selektionsdruck. Dazu setzten sie einigen der Proben mit den Algenzellen einen Fraßfeind zu: in diesem Fall ein mehrzelliges Rädertier. Die einzelne Algenzelle ist diesem Räuber schutzlos ausgeliefert. Durch zufällige Mutationen kommt es aber vereinzelt dazu, dass Zellen zu Kolonien zusammenwachsen, die nach der Zellteilung aneinander kleben bleiben. Diese zusammengeklebten Zellen machen es für das Rädertierchen schwieriger oder sogar unmöglich, die Algen zu verspeisen – das Maul des Rädertierchens ist schlicht zu klein für so einen großen Brocken (s. Video). Somit steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit der Algenzellen.

Das Rädertier Brachinous calyciflorus versucht eine Kolonie der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii zu fressen, die aber zu groß für die Mundöffnung ist (Quelle: Universität Konstanz).

Die Evolution wiederholt sich

Bei der näheren Betrachtung der evolvierten Zelleigenschaften nach 500 Generationen fiel auf, dass es in den Medien mit Räubern deutlich öfter Kolonien gab als in Vergleichsproben ohne die algenfressenden Rädertierchen. Zudem hatten die Kolonien in den Ansätzen mit Räuber eine deutlich höhere Reproduktionsrate als Kolonien, die in den Ansätzen ohne Räuber wuchsen. „Die Verteilung der Kolonietypen, die überleben, und diejenigen, die sich schnell reproduzieren, passt genau zu der Theorie, die wir getestet haben“, sagt Becks. „Wir haben nicht nur gezeigt, dass es die Kolonien gibt, sondern auch, dass sie unter bestimmten Bedingungen wiederholt evolvieren.“

Damit bestätigten die Wissenschaftler die zugrundeliegende Theorie und haben darüberhinaus nachgewiesen, dass sich der evolutionäre Schritt von vereinzelten Zellen zu Zellgruppen sehr schnell vollzogen hat. Die 500 Generationen, die dazu nötig waren, brauchen ungefähr ein halbes Jahr. Überraschend war für die Forschern, dass die evolvierten Anpassungen der Zellen auch auf der Genomebene wiederholbar war. „Wir hatten eigentlich erwartet, dass die Bildung von Kolonien durch verschiedene Mechanismen in den Algenzellen erreicht werden kann und wir daher auch verschiedene Mutationen finden. Tatsächlich haben wir ein sehr hohes Maß der Wiederholbarkeit gesehen. Das spricht dafür, dass der Selektionsdruck sehr gezielt gewirkt hat“, fasst Becks zusammen.

Originalpunlikation: Joana P. Bernardes, Uwe John, Noemi Woltermann, Martha Valiadi, Ruben J. Hermann & Lutz Becks: The evolution of convex trade-offs enables the transition towards multicellularity, Nature Communications volume 12, Article number: 4222 (2021); DOI: 10.1038/s41467-021-24503-z

* Dr. M. Schorpp, Universität Konstanz , 78464 Konstanz

(ID:47506579)

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