Neutrino-Osszilation Letztes Rätsel der Neutrinomassen bald gelöst?
Dass sie eine Masse haben, ist seit 2015 bewiesen. Doch Neutrinos haben je nach ihrer Art eine unterschiedliche Masse. Welche Neutrinosorte die schwerste ist, bleibt bisher unbekannt, sind die „Geisterteilchen“ doch extrem schwer zu analysieren. Nun sollen die kombinierten Ergebnisse zweier Experimente die Antwort liefern.
Anbieter zum Thema

Mainz – Lange Zeit glaubte man, dass Neutrinos überhaupt keine Masse haben. Es dauerte fast 60 Jahre, bis Forscher über den Effekt der Neutrino-Oszillation die Masse dieser Teilchen nachwiesen. Dies brachte den beiden Physikern Takaaki Kajita und Arthur McDonald 2015 den Nobelpreis. Doch damit waren längst nicht alle Fragen beantwortet.
Neutrinos kommen in drei unterschiedlichen Arten vor: Als Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos. Sie können sich aber bei der Neutrino-Osszilation ineinander umwandeln. Darüber wurde nicht nur nachgewiesen, dass die Neutrinos überhaupt eine Masse haben, sondern auch, dass die drei Arten unterschiedliche Massen besitzen. Unklar ist noch, welche Neutrinosorte die leichteste ist und welche die schwerste. Die Ordnung oder Hierarchie der Neutrinomassen ist daher bis heute eine der spannendsten Herausforderungen der modernen Physik.
Zwei Detektoren arbeiten gemeinsam
Eine aktuelle Studie unter Beteiligung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigt nun: Das Rätsel der Neutrino-Massenordnung könnte bereits in den nächsten Jahren gelöst sein. Denn mit der kombinierten Leistungsfähigkeit zweier neuer Neutrino-Experimente – dem Upgrade des Ice-Cube-Experiments am Südpol und dem Jiangmen Underground Neutrino Observatory (JUNO) in China – werden Physiker bald Zugang zu sehr viel empfindlicheren und sich ergänzenden Messungen der Neutrino-Massenordnung haben.
„In der Beantwortung dieser Frage sehen wir einen wichtigen Schritt, um langfristig Informationen über die Verletzung der Materie-Antimaterie-Symmetrie im Neutrinosektor gewinnen zu können“, sagt Prof. Dr. Michael Wurm, Physiker am Institut für Physik der JGU, der maßgeblich am Aufbau des JUNO-Experiments in China beteiligt ist. „Deshalb versprechen wir uns davon schlussendlich Antworten auf die Frage, weshalb sich Materie und Antimaterie nach dem Urknall nicht vollständig gegenseitig vernichtet haben.“
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1591800/1591811/original.jpg)
Ausbau des Neutrino-Observatoriums
Geisterteilchen-Suche am Südpol wird ausgeweitet
Neutrinos – die Chamäleons unter den Elementarteilchen
Neutrinos werden von natürlichen Quellen, etwa im Sonneninneren und anderen astronomischen Objekten, aber auch in Kernkraftwerken in riesigen Mengen erzeugt. Normale Materie – einschließlich unseren Körper – durchdringen sie völlig ungehindert. Das macht den Nachweis dieser „Geisterteilchen“ extrem aufwändig und erfordert gewaltige Detektoren, um wenigstens ein paar der seltenen Reaktionen nachzuweisen.
Die beiden Großexperimente Ice-Cube und JUNO nutzen sehr unterschiedliche und komplementäre Wege, um das Rätsel der Neutrino-Massenordnung zu lösen. „Da liegt es nahe, die erwarteten Ergebnisse beider Experimente zu kombinieren“, sagt Prof. Dr. Sebastian Böser, der am Institut für Physik der JGU an Neutrinos forscht und maßgeblich am Ice-Cube-Experiment beteiligt ist.
In drei bis sieben Jahren soll das Rätsel gelöst sein
Welche Fortschritte die Kollaboration der beiden Großexperimente, haben Forscher nun in einer Studie abgeschätzt. Dazu gingen sie zunächst davon aus, dass jedes Experiment eine bestimmte Zeit gelaufen war und simulierten dann die vorhergesagten experimentellen Ergebnisse. Diese Ergebnisse variieren je nachdem, ob die Neutrino-Massen einer normalen oder umgekehrten (invertierten) Massenordnung folgen.
Als nächstes führten die Physiker einen statistischen Test durch, in dem sie die simulierten Ergebnisse beider Experimente einer gemeinsamen Analyse unterzogen. Diese verriet ihnen die Empfindlichkeit dafür, dass beide Experimente kombiniert die korrekte Ordnung vorhersagen beziehungsweise die falsche Ordnung ausschließen können. Da die Ergebnisse von JUNO und Ice-Cube sehr spezifisch von der tatsächlichen Neutrino-Massenordnung abhängen, hatte ihr kombinierter Test eine sehr viel stärkere Unterscheidungskraft als jedes der Einzelexperimente: In Kombination sollen die Experimente so die falsche Neutrino-Massenordnung innerhalb von drei bis sieben Jahren Messzeit definitiv ausschließen.
„Das Ganze ist in diesem Fall mehr als die Summe seiner Teile“, lautet das Fazit von Böser. „Es unterstreicht eindrucksvoll die Bedeutung komplementärer experimenteller Ansätze zur Lösung der verbleibenden Rätsel der Neutrinos.“
Originalpublikation: M. G. Aartsen et al. (Ice-Cube-Gen2 Collaboration, JUNO Collaboration Members): Combined sensitivity to the neutrino mass ordering with JUNO, the Ice-Cube Upgrade, and PINGU, Physical Review D 101:032006, 21. Februar 2020; DOI:10.1103/PhysRevD.101.032006
(ID:46386003)