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Duftstoff-Wahrnehmung „Pferdestall-Geruch“ hat einen eigenen Rezeptor in unserer Nase

Quelle: Pressemitteilung Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München Lesedauer: 3 min

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Der menschliche Geruchssinn ist erstaunlich spezialisiert. So haben Forscher vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie aufgedeckt, dass wir einen hochselektiven Rezeptor besitzen, der fast ausschließlich auf einen Duftstoff reagiert, welcher vor allem für den typischen Geruch in Pferdeställen sorgt.

Der typische Pferdestallgeruch ist vor allem auf die chemische Verbindung para-Kresol zurückzuführen. Diese hat einen eigenen Geruchsrezeptor beim Menschen, wie eine Studie vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München zeigt.
Der typische Pferdestallgeruch ist vor allem auf die chemische Verbindung para-Kresol zurückzuführen. Diese hat einen eigenen Geruchsrezeptor beim Menschen, wie eine Studie vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München zeigt.
(Bild: frei lizenziert, engin akyurt / Unsplash)

Man muss nur einmal in einem Pferdestall gewesen sein, und wird sofort diesen typischen Geruch wiedererkennen. Wesentlich trägt die aromatische Verbindung para-Kresol zu diesem Duft bei. Ein Forschungsteam unter Führung des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM) hat nun herausgefunden, mit welchem Geruchsrezeptor Menschen para-Kresol wahrnehmen.

Duftstoff in Reinform untersucht

Der Duftstoff Para-Kresol (4-Methylphenol) entsteht beim mikrobiellen Abbau bestimmter Aminosäuren, aber auch bei thermischen Abbauprozessen. Infolgedessen ist es in verschiedenen Nahrungsmitteln enthalten und kann unter anderem zu Fehlnoten im Aroma von weißem Pfeffer, Kakao, Raps- oder Olivenöl beitragen. Es ist aber auch als charakteristischer Duftstoff in Whiskysorten und Tabak sowie im Urin verschiedener Säugetiere nachweisbar. Darüber hinaus ist para-Kresol seit langem sowohl als Lockstoff für Pferde und Rinder als auch für Insekten wie Stechmücken, Tsetsefliegen und Pferdebremsen bekannt.

Unter Leitung von Dr. Dietmar Krautwurst ist es einem Team vom LSB nun erstmals mithilfe eines zellulären Testsystems gelungen, den menschlichen Geruchsrezeptor für para-Kresol zu identifizieren. „Hierfür war entscheidend, dass wir dank der exzellenten präparativen und analytischen Arbeiten an unserem Institut die Reinsubstanz zur Verfügung hatten“, berichtet Erstautorin Franziska Haag. „Denn wie wir feststellten, ist handelsübliches para-Kresol durch ein Isomer verunreinigt, das die Untersuchungsergebnisse verfälscht hätte“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Zelluläres Testsystem für die Geruchsforschung

Der Mensch besitzt insgesamt etwa 400 verschiedene Geruchsrezeptorgene, die wiederum über 600 verschiedene Rezeptorvarianten in der Nasenschleimhaut kodieren. Letztere sind für die Wahrnehmung und Unterscheidung verschiedener Gerüche verantwortlich. Es besteht jedoch noch Forschungsbedarf, um die genaue Anzahl und Funktion aller Rezeptorvarianten zu ermitteln. Gegenwärtig ist lediglich für etwa 20 Prozent der menschlichen Geruchsrezeptoren bekannt, welche Geruchsstoffe sie erkennen.

Hochdurchsatz-Pipettier- und Messroboter (Tecan Fluent). Mit dem Gerät untersuchen Forschende des Leibniz-Instituts, auf welche Geruchsstoffe menschliche Geruchsrezeptoren reagieren.
Hochdurchsatz-Pipettier- und Messroboter (Tecan Fluent). Mit dem Gerät untersuchen Forschende des Leibniz-Instituts, auf welche Geruchsstoffe menschliche Geruchsrezeptoren reagieren.
(Bild: Leibniz-LSB@TUM, Fotograf: J. Krpelan)

Das von den Leibniz-Forschenden entwickelte zelluläre Testsystem ist laut Dr. Dietmar Krautwurst weltweit einzigartig. Er und sein Team haben die Testzellen genetisch so verändert, dass sie wie kleine Biosensoren für Geruchsstoffe fungieren. Dabei legen die Forschenden genau fest, welche Geruchsrezeptorvariante die Testzellen auf ihrer Oberfläche präsentieren. Auf diese Weise können die Forschenden gezielt untersuchen, welcher Rezeptor wie stark auf welchen Geruchsstoff reagiert. Das Leibniz-Institut verfügt über umfangreiche Geruchsstoff- und Rezeptorsammlungen, die es für seine Forschungsarbeit nutzt.

Ein nahezu exklusiver Rezeptor für den Pferdestall-Geruch

Die mittels Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie (HPLC) gewonnen Mengen an reinem para-Kresol reichten aus, um ein umfangreiches bidirektionales Rezeptor-Screening durchzuführen. In diesem prüften die Forschenden, welche der über 600 menschlichen Geruchsrezeptorvarianten auf para-Kresol reagieren. Wie das Screening ergab, sprach der Geruchsrezeptor OR9Q2 als einziger auf physiologisch relevante Konzentrationen von para-Kresol an.

Anschließend untersuchte das Team, ob der Rezeptor auch noch auf weitere Geruchsstoffe reagierte. Hierzu überprüfte es 176 Substanzen, die als so genannte Schlüsselgeruchsstoffe maßgeblich das Aroma von Lebensmitteln prägen. Von diesen Stoffen war nur ein weiterer Geruchsstoff, das strukturähnliche 4-Ethylphenol, in der Lage, den Rezeptor signifikant zu aktivieren.

Pferdestall-Duft wirkt als Kuh-Pheromon

Das Forschungsteam untersuchte daraufhin die Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen para-Kresol und tierischen Geruchsrezeptoren, die eng mit dem menschlichen Rezeptor verwandt sind. Wie die Testergebnisse belegen, reagierte der untersuchte Mausrezeptor ähnlich wie der menschliche Rezeptor auf para-Kresol. Der getestete Kuhrezeptor zeigte sogar eine deutlich höhere Empfindlichkeit für die Substanz. Laut Team deckt sich das Ergebnis mit früheren Erkenntnissen, wonach para-Kresol bei Kühen als Pheromon wirkt und bereits in sehr geringen Konzentrationen eine sexuelle Anziehungskraft auf die Tiere ausübt.

Zwei Funktionen des Geruchsstoffs sind plausibel

„Die hohe Selektivität des Geruchsrezeptors OR9Q2 für para-Kresol scheint somit evolutionär konserviert zu sein, was seine doppelte Bedeutung betont: Einerseits als Sensor für den Geruch von Lebens- und Genussmitteln sowie andererseits als Rezeptor für einen Signalstoff, der in der innerartlichen Kommunikation von Tieren eine Rolle spielt“, sagt Studienleiter Krautwurst. Zudem schließe der Rezeptor eine Lücke im Erkennungsspektrum des stammesgeschichtlich älteren menschlichen Geruchsrezeptors OR2W1, der eine breite Palette strukturell unterschiedlicher Geruchsstoffe detektiert, aber kein para-Kresol, führt der Forscher aus.

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„Abgesehen von diesen spannenden Erkenntnissen, ließe sich das neue Wissen künftig nutzen, um Biotechnologien zu entwickeln, mit denen sich die sensorische Qualität von Lebensmitteln entlang der gesamten Wertschöpfungskette schnell und einfach überprüfen lässt“, gibt Krautwurst einen Ausblick.

Originalpublikation: Haag, F., Frey, T., Hoffmann, S., Kreissl, J., Stein, J., Kobal, G., Hauner, H., and Krautwurst, D.: The Multi-Faceted Food Odorant 4-Methylphenol Selectively Activates Evolutionary Conserved Receptor OR9Q2, Food Chem 426. 2023; DOI: 10.1016/j.foodchem.2023.136492

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