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Konsortialstudie benennt Hauptemittenten Mikroplastik: Pro Bundesbürger gelangen jedes Jahr vier Kilo in die Umwelt

Autor / Redakteur: Sebastian Hagedorn* / Dr. Ilka Ottleben |

Das Thema Plastikmüll und Mikroplastik ist derzeit in Politik, Medien und Öffentlichkeit sehr präsent. Zu Recht. Wie immer helfen für eine sachliche, lösungsorientierte Diskussion Fakten weiter. Die liefert nun eine neue „Konsortialstudie Mikroplastik“, in der Fraunhofer-Forscher den Wissensstand zu Mikro- und Makroplastik zusammengetragen haben. Woher stammen die kleinen Kunststoffpartikel? Welche Mengen werden jährlich in Deutschland emittiert? Die Studie liefert nun Antworten.

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Mikroplastik an Frankreichs Atlantikküste.
Mikroplastik an Frankreichs Atlantikküste.
(Bild: © Fraunhofer UMSICHT/Leandra Hamann)

Oberhausen – Gerade in den Sommerferien geht es für Millionen von Urlaubern wieder an die schönsten Strände. Dorthin, wo trotz aller Idylle leider auch die Vermüllung durch Plastikabfälle besonders präsent ist. Bei genauerem Hinschauen lässt sich Mikroplastik zwischen Sand und Muscheln entdecken. Doch woher stammen die kleinen Kunststoffpartikel? Welche Mengen werden jährlich in Deutschland emittiert? Diese Fragen standen u.a. im Fokus der „Konsortialstudie Mikroplastik“. Im Auftrag von Partnern aus der Kunststoffindustrie, Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Forschung hat Fraunhofer UMSICHT die letzten zwei Jahre den Wissensstand zu Mikro- und Makroplastik zusammengetragen.

Mikroplastik – überall und in großen Mengen

Mikroplastik ist nicht immer direkt zu erkennen, man muss den Blick schon etwas schärfen. Doch dann kommen sie nahezu überall zum Vorschein: Kunststoffpartikel, kleiner als 5 mm. So zumindest die weit verbreitete Definition. Allgemeingültig ist sie jedoch nicht zwangsläufig: „Es ist schwierig, den regulatorischen, wissenschaftlichen und kommunikativen Ansprüchen gemeinsam gerecht zu werden. Durch die Abgrenzung der Größe und Einschränkung auf spezielle Kunststoffe oder Einsatzgebiete wird eine Grenze gezogen, die unter Umständen Problembereiche ungerechtfertigt ein- oder ausschließt. Eine Definition sollte vielmehr anhand der Umweltwirkung festgemacht werden. Doch dazu reicht der heutige Wissensstand nicht aus“, erklärt Jürgen Bertling aus der Abteilung Nachhaltigkeits- und Ressourcenmanagement beim Fraunhofer Umsicht, Initiator und Haupt-Autor der „Konsortialstudie Mikroplastik“.

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Kategorisierung von Mikroplastik

Im Rahmen der Studie erfolgte zunächst eine neue Kategorisierung von Mikroplastik: Primäres Mikroplastik Typ-A sind industriell hergestellte Kunststoffpartikel, deren Verlust bewusst in Kauf genommen oder durch Unachtsamkeit verursacht wird. Hierzu zählen z.B. Microbeads in Kosmetika oder Kunststoffpellets. Dagegen entsteht primäres Mikroplastik Typ-B erst in der Nutzungsphase durch Abrieb oder Verwitterung. Das ist etwa bei Autoreifen, Schuhsohlen, Textilien oder Farben der Fall. Gelangen Kunststoffabfälle, hauptsächlich Verpackungen, Plastiktüten oder Flaschen – sogenanntes Makroplastik –, in die Umwelt und fragmentieren dort, werden sie dem sekundären Mikroplastik zugeordnet. Diese Einteilung ist insbesondere bei der Zuweisung von Verantwortung wichtig. Je nach Quelle liegt sie mehr beim Produzenten oder beim Konsumenten.

Kunststoffemissionen bestehen in Deutschland zu 74 Prozent aus Mikroplastik

Die Autoren der Konsortialstudie ermittelten insgesamt 51 Mikroplastikquellen und berechneten die Emissionen. Reifenabrieb, Freisetzung bei der Abfallentsorgung, Abrieb von Bitumen in Asphalt, Pelletverluste, Verwehungen von Sport- und Spielplätzen liegen ganz vorne. Die Freisetzung von Mikroplastik aus Kosmetik etwa gelangt auf Platz 17. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Reduzierung von Emissionen aus jeder Quelle wichtig ist. Weitere Faktoren wie Abbaubarkeit oder Kunststoffadditive spielen bei der Wirkung auf die Umwelt ebenfalls eine große Rolle und sollten daher bei der Priorisierung der Quellen berücksichtigt werden.

Geht man davon aus, dass es noch weitere Quellen gibt, so ergibt sich für Deutschland eine Gesamtmenge von gut 4 kg pro Kopf [für Deutschland insgesamt ca. 116 000 t/a], die jährlich an Mikroplastik in die Umwelt freigesetzt wird. Dagegen betragen die Emissionen an Makroplastik nur etwa 1,4 kg pro Kopf und Jahr [für Deutschland insgesamt ca. 116 000 t/a]. Das, was wir an Plastikmüll an Raststätten, in Parks und am Strand finden, ist also der sichtbare, aber weitaus kleinere Teil von Kunststoffen in der Umwelt.

LP-Dossier Mikroplastik In unserem Dossier „Mikroplastik“ haben wir für Sie weitere Forschungsvorhaben und -erkenntnisse zum Thema Mikroplastik zusammengefasst u.a. ein Interview mit Prof. Christian Laforsch von der Universität Bayreuth zum Thema Mikroplastik in Binnengewässern.

Auf Kosten des Klärschlamms

Die Siedlungswasserwirtschaft spielt bei der Emission von Kunststoffen in die Umwelt eine wichtige Rolle, sowohl als Eintragspfad als auch für den Rückhalt. Etwa 78 Prozent des Abwassers werden innerhalb der Siedlungswasserwirtschaft durch Kläranlagen gereinigt. Die restlichen 22 Prozent, überwiegend Niederschlagswasser, werden nur teilweise gereinigt, sodass mit den Niederschlägen Makro- und Mikroplastik in die Ökosysteme gespült werden. Kläranlagen halten je nach technischer Ausstattung über 95 Prozent des zuströmenden Mikroplastiks zurück. „Der hohe Rückhalt der Kläranlagen geht jedoch auf Kosten des Klärschlamms, in dem sich die kleinteiligen Kunststoffe anreichern. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine vollständige Verbrennung des Klärschlamms der landwirtschaftlichen und landschaftsbaulichen Nutzung vorzuziehen ist, um eine Weiterverbreitung von Mikroplastik in der Umwelt und somit eine Problemverlagerung zu verhindern“, sagt Ralf Bertling, Abteilung Photonik und Umwelt beim Fraunhofer Umsicht, der sich im Rahmen der Studie der Siedlungswasserwirtschaft gewidmet hat.

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