English China

Forschungsneubau für Biotechnologie in Berlin Modellsysteme statt Tierversuche

Autor / Redakteur: Katharina Jung* / Christian Lüttmann

Wie testet man ein Medikament? Am besten direkt am Menschen, doch das ist gefährlich und daher verboten. Auch Tierversuche sind ethisch fragwürdig – und die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen nicht optimal. Um gesicherte Ergebnisse für neue Präparate zu erhalten, stehen heute zahlreiche Modellsysteme zur Verfügung. Deren Erforschung und Weiterentwicklung soll im Zentrum eines geplanten Forschungsneubaus in Berlin stehen.

Anbieter zum Thema

Der Mensch als experimentelles Modell (Symbolbild)
Der Mensch als experimentelles Modell (Symbolbild)
(Bild: Pixabay/OpenClipart-Vectors (gemeinfrei) / CC0 )

Berlin – Vor rund 100 Jahren wurde das Prinzip der Tierversuche in der modernen Medizin etabliert – ein enormer Fortschritt für die Forschung, an dem Berliner Wissenschaftler wie Robert Koch, Paul Ehrlich, Emil von Behring und Otto Warburg einen großen Anteil hatten. Die Hoffnung der Menschheit, Krankheiten wie Krebs oder Infektionen zu besiegen, konnte damit aber nur zum Teil erfüllt werden. Jetzt haben sich Wissenschaftler aus Berlin zum Ziel gesetzt, neue Technologien zu entwickeln, die es in vielen Bereichen ermöglichen sollen, Tierversuche durch humane Modellsysteme zu ersetzen.

Ein Dilemma in der Medizin

„Die Medizin steht vor der großen Herausforderung, eine Lösung für die Zeit nach den Antibiotika zu finden. Das Ende dieser Ära ist aufgrund der ständig steigenden Resistenzen schon jetzt absehbar. Daneben steht Krebs immer noch im Mittelpunkt der medizinischen Forschung. Dreh- und Angelpunkt dieser Erkrankungen ist das menschliche Immunsystem. Daher richten immer mehr Forscherinnen und Forscher ihr Augenmerk auf Immuntherapien“, weiß Prof. Dr. Andreas Thiel vom Berlin-Brandenburg Center für Regenerative Therapien an der Charité.

„Das Dilemma ist, dass viele dieser neuen Strategien nur im Menschen getestet werden können, und genau das ist natürlich nicht möglich“, ergänzt Prof. Dr. Roland Lauster, Fachgebietsleiter der Medizinischen Biotechnologie an der TU Berlin.

Das Organ auf dem Chip

„Jetzt verfügen wir in der medizinischen Biotechnologie über Methoden, menschliche Zellen und menschliches Gewebe so zu kultivieren und zu testen, dass es den Bedingungen im menschlichen Körper entspricht. Die Zeit ist reif, den simulierten Menschen als experimentelles Modell in den Fokus zu rücken“, so Lauster. Derzeit konzentrieren sich die Wissenschaftler dabei auf Methoden wie die „Organ-on-a-chip“-Technologien, das 3D-Bioprinting oder auch modernste Technologien der Einzelzellanalyse.

Bei der „Organ-on-a-chip“-Technologie werden die Physiologie und Mechanik von Organen, Organsystemen oder Geweben im Mikromaßstab auf Chips von der Größe einer Spielkarte simuliert. Diese Organsysteme können in verschiedenen Kompartimenten auf dem Chip ‚platziert‘ werden. Über integrierte Mikropumpen werden sie von einer Nährlösung versorgt oder auch so miteinander verbunden, dass ein Austausch von Zellen stattfinden kann.

Bioprinting und Einzelzellanalyse

Beim 3D-Bioprinting wiederum werden druckbare Biomaterialien, so genannte Bioinks, und 3D-Drucker entwickelt, mit denen unter anderem funktionale 3D-Modelle von Organen im Miniformat produziert werden können.

Bei der dritten Methode, die aktuell im Fokus der Berliner Wissenschaftler steht, handelt es sich um die neuesten Verfahren der Einzelzellanalyse. Die Technologie nutzt die Erkenntnis, dass genomische oder proteomische Merkmale einzelner Zellen, zum Beispiel in einer Blutprobe, frühzeitig Aufschluss über bestimmte Erkrankungen geben könnten. Diese Frühwarnhinweise gehen aber in der Analyse der gesamten Probe oft unter.

Der Trick bei der Einzelzellanalyse ist, innerhalb einer Blutprobe anhand verschiedener Merkmale, die wenigen Zellen zu identifizieren, die verändert sind. Außerdem ermöglichen es moderne Verfahren, einzelne Zellen anhand multipler Merkmale in verschiedenen Gewebeproben genauestens zu identifizieren. So lassen sich krankhaft veränderte Zellen sehr viel früher erkennen als bislang.

Ergänzendes zum Thema
Zum neuen Forschungsbau „Der simulierte Mensch“

Die Technische Universität Berlin und die Charité – Universitätsmedizin Berlin planen ein gemeinsames Forschungsgebäude für die Entwicklung humaner Modellsysteme. Der Neubau soll bis 2023 an der Seestraße in Berlin-Wedding fertiggestellt werden, anteilig finanziert durch den Bund und das Land Berlin im Rahmen des Programms für Forschungsbauten an Hochschulen. Das Haus wird gemeinsam von der Charité und TU Berlin betrieben.

Die beiden Berliner Professoren Roland Lauster und Andreas Thiel entwickelten die Idee einer gemeinsamen Forschung an der Schnittstelle der Ingenieurwissenschaften der TU Berlin und der Medizin der Charité. Einige der neuen Techniken, wie zum Beispiel die Chip-Technologie oder das 3D-Bioprinting, wurden wesentlich an der TU Berlin entwickelt oder weiterentwickelt.

Die Charité wendet diese Technologien in Ansätzen bereits an und nutzt für weitere Untersuchungen unter anderem die neuesten Methoden der Einzelzellanalyse. In dem gemeinsamen Wissenschaftshaus „Der simulierte Mensch“ sollen beide Institutionen nicht nur kooperieren, sondern Seite an Seite unter einem Dach arbeiten und damit völlig neue Möglichkeiten in der Forschung an humanen Modellen eröffnen.

Anwendungsbeispiel Sonnenbrand

Wofür das frühzeitige Erkennen veränderter Zellen gut sein kann, zeigt das simple Beispiel eines Sonnenbrands: Was passiert dabei im Körper, welche Entzündungsprozesse finden statt, welche Zellen, welche Reaktionsmechanismen sind beteiligt? Da jeder Sonnenbrand irreversible Schäden hervorruft, kann das am Menschen nicht getestet werden. Aber auch nicht am Tier, unter anderem deshalb nicht, weil die Hautstruktur zu unterschiedlich ist.

Moderne Verfahren erlauben es heutzutage aber, das Organ Haut inklusive seiner physiologischen Umgebung zu kultivieren, zu testen und zu analysieren. Für solche Untersuchungen soll in Berlin ein neuer Forschungsbau realisiert werden (s. Ergänzendes zum Thema).

Fast 50 Projekte in den Startlöchern

An potenziellen gemeinsamen Projekten mangelt es den beiden beteiligten Institutionen TU und Charité Berlin nicht: Fast 50 geplante, hochaktuelle Kooperationsprojekte listet der Antrag für das neue Forschungsgebäude auf. „Jetzt kommt es darauf an, mit der Forschung sobald wie möglich zu beginnen – damit die neuen Forschungsansätze auch in neuen diagnostischen und therapeutischen Verfahren münden. Die Translation der Ergebnisse in reale medizinische Anwendungen kann sehr viel schneller erfolgen als früher“, so Thiel.

Ein gutes Beispiel für mögliche Projekte sind alle Therapien, die so genannte Checkpoint-Blockade-Inhibitoren verwenden. Diese werden in der Immuntherapie bei bestimmten Krebsarten verwendet. Dabei wird dem Patienten ein spezieller Antikörper (ein Protein) gegeben, dessen Wirkung es dem körpereigenen Immunsystem ermöglicht, Metastasen und Tumore regelrecht aufzulösen. Mit solchen Therapien sind bei manchen Krebsarten langfristige Heilungsraten von 30 bis 40 Prozent erzielt worden. Problematisch ist: Diese Antikörper greifen in das gesamte Immunsystem ein, zum Teil mit erheblichen Nebenwirkungen, und sie sind extrem kostspielig.

„Kombiniert man die ‚Organ-on-a-Chip‘-Technologie der Biotechnologie an der TU Berlin mit der medizinischen Expertise der Charité könnten individuelle Krebszellen aus einer Biopsie genommen werden, um daraus unter physiologischen Bedingungen Tumore auf dem Chip zu kultivieren. An solchen Tumoren könnte getestet werden, welche der verschiedenen neuen Therapien am besten wirkt, um die für die Patienten wirkungsvollste Behandlung zu ermitteln. Damit könnte die Effizienz der neuen Therapien vermutlich drastisch erhöht, die Nebenwirkungen für die Patienten verringert und zusätzlich auch die Kosten reduziert werden“, so Thiel.

* K. Jung, Technische Universität Berlin, 10623 Berlin

(ID:45323793)