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Neue Hypothese zur Ursache von Umwelterkrankungen

Morbus Chron & Co. durch Übersättigung?

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Umwelterkrankungen: Wie entstehen chronisch entzündliche Darmerkrankungen?

Neben direkten Gesundheitsbeeinträchtigungen bewirkt eine dauerhaft hohe, zugleich einfach zu verwertende Zufuhr an Nährstoffen, dass nicht nur der menschliche Stoffwechsel sie nutzt, sondern auch die Bakterienbesiedlung des Darms gewissermaßen „mitgefüttert“ wird. Die Mikroben wechseln von den Metaboliten des Wirtes als Nahrungsgrundlage hin zu überreich verfügbaren Nährstoffen aus der menschlichen Nahrung und entkoppeln sich so von den Wechselwirkungen mit dem Wirtsorganismus.

„Diese Überfütterung der Bakterien fördert ihr Wachstum insgesamt, dazu vermehren sich bestimmte Bakterienarten zu Ungunsten anderer Mitglieder des Mikrobioms verstärkt und unkontrolliert“, betont Professor Thomas Bosch, Sprecher des SFB 1182. „So verändern sich mit der Zusammensetzung der Bakterienbesiedlung auch die Interaktionen zwischen Bakterien und Wirtsorganismus und eine schwerwiegende Störung, die Dysbiose, tritt ein“, erklärt Dr. Peter Deines, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kieler Metaorganismus-Sonderforschungsbereich.

Weitere zivilisationsbedingte Faktoren verstärken diese fehlende Balance des Mikrobioms. Der Wegfall periodischen Fastens als Folge nicht immer verfügbarer Nahrungsquellen, das nur noch sehr seltene Auftreten von Durchfallerkrankungen und der daran geknüpfte episodische Verlust der Bakterienbesiedlung des Darms oder eine ernährungsbedingte Verarmung der mikrobiellen Vielfalt im Darm sind nur einige Beispiele. Die beiden ersten stellen sehr ursprüngliche Mechanismen dar, die dem Mikrobiom früh in der Menschheitsentwicklung und bis hinein in die vorindustrielle Zeit Gelegenheit gaben, sich in gewissen Abständen auf einem Normalzustand einzupendeln und damit eine gesunde und natürliche Zusammensetzung wiederzugewinnen.

Heilt sich das Mikrobiom möglicherweise selbst?

Die von den Forschenden des Kieler SFB 1182 in enger Zusammenarbeit mit dem CAU-Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ vorgeschlagene „Überfütterungs-Hypothese“ bietet wertvolle Ansätze für weiterführende Forschungsarbeiten bis hin zur potenziellen Übertragung in künftige Therapien: Bislang suchten WissenschaftlerInnen insbesondere nach Möglichkeiten, ein gestörtes Mikrobiom durch äußere Eingriffe wie zum Beispiel Probiotika, also die Gabe bestimmter hilfreicher Bakterienarten, oder auch Stuhltransplantationen zu behandeln und wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Die ökologisch-evolutionäre Perspektive fügt nun eine weitere Dimension hinzu. Stärker als bisher bezieht sie die natürliche Fähigkeit des Mikrobioms ein, sich selbst neu zu justieren und eine gesunde Zusammensetzung wiederherzustellen. Künftige Forschungsansätze liegen daher in den konkreten Mechanismen, die das Mikrobiom ausbalancieren, und in der Frage, ob sich das „Überfüttern“ der Bakterien eventuell über geänderte Ernährungsgewohnheiten reduzieren lässt. „Eine interessante Frage wird sein, ob die evolutionär ursprünglichen Abläufe, die für die Balance des Mikrobioms sorgen, auch ein therapeutisches Potenzial besitzen“, so Lachnit. „Künftig werden wir uns zum Beispiel neben den bekannten gesundheitsfördernden Effekten des Fastens auch mit seinen Auswirkungen auf Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms und damit den Verlauf von Entzündungskrankheiten beschäftigen“, so Lachnit weiter.

Originalpublikation: Tim Lachnit, Thomas CG Bosch & Peter Deines (2019): Exposure of the host-associated microbiome to nutrient-rich conditions may lead to dysbiosis and disease development – an evolutionary perspective. mBio Published on May 14, 2019, https://doi.org/10.1128/mBio.00355-19

* Dr. B. Pawlowski: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 24098 Kiel

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