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Von Parabelflug bis ISS Schwerelos Forschen – Wie wirkt die Schwerelosigkeit auf unsere Nervenzellen?

Autor / Redakteur: Dr. Florian Kohn und PD Dr. Claudia Koch* / Dr. Ilka Ottleben |

Forschen unter veränderten Schwerkraftbedingungen setzt bei Forschern und Ingenieuren Umdenken voraus. Wenn es plötzlich kein Oben und Unten mehr gibt, ist das nicht nur für die Forscher spannend – auch an die Analysentechnik stellen sich dabei besondere Anforderungen.

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Abb. 1: Claudia Koch und Florian Kohn im Parabelflugzeug.
Abb. 1: Claudia Koch und Florian Kohn im Parabelflugzeug.
(Bild: Universität Hohenheim)

Das Leben auf der Erde hat sich unter relativ konstanter Erdbeschleunigung (9,81 m/s2 oder 1 g) entwickelt und hat sich im Laufe der Evolution hervorragend an diese Bedingungen angepasst. Pflanzen z.B. erkennen, wo oben und unten ist, und wir Menschen können uns dank des Gleichgewichtssinns (meist) hervorragend im dreidimensionalen Raum orientieren. Aber was passiert, wenn sich die Schwerkraftbedingung verändert?

Seit der Mensch beschlossen hat, das All zu erkunden, beschäftigen sich Wissenschaftler mit dieser Frage. Bei Astronauten, die von Weltraummissionen zurückgekehrt sind, wurden die verschiedensten gesundheitlichen Probleme festgestellt. So kommt es zu einer Reduktion der Muskel- und Knochenmasse, das Herz-Kreislauf-System ist beeinträchtigt, das Sehvermögen verschlechtert sich und es kommt durch die Beeinträchtigung des Immunsystems zu einer Aktivierung von ruhenden Viren. Was diese Reaktionen im Körper auslöst, ist Gegenstand aktueller Forschung unterschiedlichster Forschergruppen weltweit.

Wie wirkt die Schwerelosigkeit? – Nervenzellen im Fokus

In Hohenheim gilt die Aufmerksamkeit den Nervenzellen, im speziellen der Zelllinie SH-SY5Y. Vom Nervensystem ist bekannt, dass es unter Schwerelosigkeit zu einer verlangsamten Reizweiterleitung kommt. Anders ausgedrückt, das Reaktionsvermögen nimmt ab. Doch woran liegt das? Um diese Frage beantworten zu können, ist das Verständnis der molekularen Mechanismen in einer Zelle wichtig: Die Offenwahrscheinlichkeit von Ionenkanälen in der Zellmembran nimmt ab, es kommt zu einer leichteren Erregbarkeit der Zelle, jedoch nimmt die Weiterleitungsgeschwindigkeit ab. Diese Erkenntnisse wurden in Experimenten im Parabelflugzeug gewonnen.

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Während dieser Experimente ist es Forschern möglich, ihre eigenen Projekte im Flugzeug durchzuführen, pro Mission an drei bis vier Kampagnentagen und für jeweils 31 Parabeln am Tag. Der umgebaute Airbus A 310 bietet ausreichend Platz für etwa 44 Wissenschaftler. Nach dem Start können diese innerhalb kürzester Zeit an ihre Experimentaufbauten zurückkehren, die Experimente vorbereiten und sie dann während der Hyper- und Hypo-g-Phasen überprüfen. Während das Flugzeug eine Parabel fliegt erfährt alles an Bord zunächst für 25 Sekunden die nahezu doppelte Schwerkraft mit 1,8 g, gefolgt von einer Phase mit 0 g (22 sec) und einer erneuten 25 Sekunden-Phase mit 1,8 g. Der Vorteil der Parabelflugkampagnen liegt auf der Hand – fast wie im eigenen Labor können Wissenschaftler ihre Experimente überwachen, steuern, und – soweit nötig – modifizieren. Dennoch ist die Dauer der Schwerelosigkeit nur kurz und man muss genau überlegen und abwägen, was man in 22 Sekunden an Erkenntnis gewinnen kann.

Ein Mikroskop für den Weltraum

Im Parabelflieger werden von den Wissenschaftlern der Uni Hohenheim derzeit zwei unterschiedliche Ansätze verfolgt. Zum einen wird das Verhalten des Zytoskeletts, also der inneren Struktur der Zelle, beobachtet, zum anderen die verschiedenen Eigenschaften der Zellmembran. Zur Untersuchung des Zytoskeletts wurde ein spezielles konfokales Laser-Scanning-Fluoreszenzmikroskop für biologische und biomedizinische Weltraumanwendungen in Kooperation mit dem DLR und Airbus Defence & Space entwickelt und 2014 zum ersten Mal im Parabelflugzeug getestet.

Dieses System, genannt FLUMIAS (Fluorescence-Microscopic Analysis Systems for Space Application), ermöglicht es erstmalig, in Echtzeit die Veränderungen an lebenden Zellen hoch aufgelöst zu betrachten, deren für die Forscher interessanten Strukturen zuvor mittels eines Fluoreszenzfarbstoffes markiert wurden. Die zentrale Komponente des Flumias ist eine Spinning Disc, welche es ermöglicht, den parallelen Scan von mehreren tausend Beobachtungspunkten zu gewährleisten. Das System bietet eine gute axiale (∆z ~ 1,5 µm) und laterale (∆x, ∆y ~ 0,4 µm) Auflösung, ein geringes Photobleaching verglichen mit einem Punktscanner, und in Kombination mit einer modernen sCMOS-Kamera eine schnelle Bildanalyse. Die derzeit möglichen Wellenlängen sind 405/488/ 561/642 nm. Flumias ermöglicht es, zeitliche Experimente und 3D-mikroskopische Analysen schneller zellulärer und intrazellulärer Prozesse wie Ionenfluss, Bewegung der Organellen und Dynamik des Zytoskeletts sowie Protein-Relokalisation sichtbar zu machen.

Nach dem ersten Parabelflug wurde das System des Weiteren 2015 in einer so genannten Sounding Rocket verwendet, welche, im Unterschied zum Parabelflug, etwa sechs Minuten Schwerelosigkeit zur Verfügung stellt. Die Planung für die Nutzung auf der ISS läuft.

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