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Toxischer Cocktail Spinnengifte punkten mit Komplexität

Redakteur: Christian Lüttmann

Wenn die Spinne ihre Beute mit einem Biss lähmt, ist dort nicht nur ein Toxin im Spiel. Es sind oft tausende Einzelkomponenten, die dem Spinnengift die Wirkung verleihen. Ein Forscherteam aus Gießen und Australien hat die komplexe Biologie des Spinnengifts in einem Übersichtsartikel nun näher untersucht.

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Spinnen wie dieser Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium), produzieren komplexe Gifte.
Spinnen wie dieser Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium), produzieren komplexe Gifte.
(Bild: Wolfgang Dibiasi)

Gießen – Spinnen produzieren Gifte, um ihre Beute zu erlegen und um sich zu verteidigen. Das Gift einer einzigen Spinne kann Tausende Komponenten enthalten, was sie zu den chemisch komplexesten Giften des Tierreichs und somit zu bedeutsamen Quellen neuer Naturstoffe macht. Man schätzt, dass von den etwa 50.000 bekannten Spinnenarten über 10 Millionen neue Naturstoffe isoliert werden können. Da bislang nur ein Bruchteil davon entdeckt wurde, besteht weltweit großes Interesse an der Erforschung von Spinnengift, um daraus neue Medikamente und andere Anwendungen ableiten zu können.

Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME hat sich in einem Überblicksartikel jetzt mit der Biologie von Spinnengiften beschäftigt.

Ein Gift – tausend Teile

Gemeinsam mit Kollegen aus Australien haben die Wissenschaftler erstmalig die gewonnenen Einsichten zur Biologie und Evolution von Spinnengiften in einem „Review“ zusammengefasst und interpretiert. Darin kommen sie zu neuen Perspektiven auf die komplexe Natur des Spinnengifts. „In der Vergangenheit betrachtete man Giftgemische oftmals als ein klar definiertes System, in dem bestimmte Einzelkomponenten für die Wirkung verantwortlich sind. Mit unserer Arbeit können wir aber zeigen, dass Spinnengifte sehr dynamisch sind und dass ihre Zusammensetzung und Funktionsweise von vielen Einflüssen abhängt,“ sagt Dr. Tim Lüddecke, Gruppenleiter der Arbeitsgruppe Tiergifte am Fraunhofer IME und Erstautor der Arbeit.

Zu den Einflussfaktoren auf Spinnengift gehören neben Lebensabschnitt und Lebensraum v. a. das Geschlecht der Tiere, wie Lüddecke darlegt. „Es ist außerdem eher das Zusammenwirken der vielen Bestandteile als die Wirkung eines einzelnen Toxins, das Spinnengift so wirksam macht. Durch ihre Wechselwirkungen steigern die Komponenten ihre Wirksamkeit und ergänzen sich so sprichwörtlich zu mehr als die Summe ihrer Teile“, führt Molekularbiologie aus.

Gifte entschlüsseln, um neue Wirkstoffe zu finden

Der Übersichtsartikel diskutiert weiterhin die möglichen Prozesse zur Evolution von Spinnengift und zeigt wichtige Zukunftsperspektiven in der Spinnengift-Forschung auf. Insbesondere das Sequenzieren und Analysieren von Genomen verschiedener Spinnen wird wichtig sein, um in Zukunft verstehen zu können, woher die Toxine und auch der Giftapparat der Spinnen stammen. „Die Genomforschung ist eine Zukunftstechnologie und wird auch in der Erforschung von Tiergiften eine Schlüsselrolle spielen. Insbesondere für Spinnen fehlt es zurzeit aber noch an brauchbaren Genomen, und das bestehende Repertoire muss hier dringend ergänzt werden. Dies wird uns helfen, die Evolution von Gift-Genen in Spinnen zu beleuchten“, sagt der JLU-Insektenbiotechnologe Prof. Dr. Andreas Vilcinskas.

In der Natur steckt ein enormes Potenzial für neue, nützliche Entwicklungen, sind die Forscher überzeugt. „Die Evolution ist ein hervorragender Lehrmeister und das Verständnis darüber, wie Spinnengifte ihre erstaunliche Wirksamkeit erlangen konnten, wird uns helfen, auch die Suche nach neuen Wirkstoffen zu optimieren. Hier können Angewandte und Grundlagenforschung miteinander Hand in Hand gehen“, fasst Lüddecke zusammen.

Originalpublikation: Lüddecke T, Herzig V, von Reumont BM, Vilcinskas A: The biology and evolution of spider venoms, Biol Rev Camb Philos Soc (2021); DOI: 10.1111/brv.12793

(ID:47636030)