Symbiose von Korallen und Mikroalgen „Spuckreflex“ hilft Korallen bei der Symbiose
Korallen nehmen wahllos Teilchen du Mikroorganismen aus der Umwelt auf. Doch alles Unnütze oder gar Schädliche spucken sie sozusagen aus. Wie Symbionten diesem „Spuckreflex“ entgehen, haben nun Forscher der Universität Heidelberg erstmals im Experiment gezeigt.
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Heidelberg – Symbiosen sind ein Erfolgsgeheimnis der Natur: Zwei Organismen helfen sich dabei gegenseitig und gewinnen so einen evolutionären Vorteil. Manchmal ist diese Zusammenarbeit so eng, dass die beiden Parteien wortwörtlich zu einem gemeinsamen Organismus verschmelzen – etwa als vor über einer Milliarde Jahren frühe Einzeller kleinere Bakterien in sich aufnahmen, die heute als Mitochondrien in eukaryotischen Zellen zu finden sind und dort die Energieversorgung sichern.
Solche Vereinigungen finden in erster Linie mit sehr einfachen Organismen statt, zu denen auch Mikroalgen aus der Gruppe der Dinoflagellaten gehören. Sie haben die Fähigkeit, in anderen tierischen Zellen zu überleben, und gehen beispielsweise mit Korallen seit Urzeiten wechselseitig vorteilhafte Beziehungen ein. Indem die winzigen Einzeller lebenswichtige Nährstoffe an ihre Wirte weitergeben, ermöglichen sie es den Korallen, auch in kargen Regionen zu gedeihen. Doch welche Voraussetzungen müssen herrschen, damit die symbiontischen Untermieter eine dauerhafte Bleibe in den Korallen finden? Dies haben Forscher vom Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg untersucht.
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Zellkraftwerk ohne DNA
Alge spart am Erbgut
Korallen spucken ungebetene Eindringlinge aus
Wenn die Koralle Mikroalgen aufnimmt, die sich nicht als Symbionten eignen, macht sie kurzen Prozess: Sie spuckt die Eindringlinge sozusagen wieder aus. Immerhin stellt dieser als Vomozytose bekannte Abwehrmechanismus eine mildere Form der Abwehr dar als die lange geltende Annahme, dass ungeeignete Mikroalgen von der Wirtszelle verdaut werden. Spezielle Dinoflagellaten sind aber in der Lage, diese Immunantwort ihrer Wirtszelle und damit den „Spuckreflex“ gezielt zu unterdrücken, um so in der Zelle zu verbleiben. „Die Algen müssen die Immunantwort der Wirtszelle umgehen, eine intrazelluläre Nische etablieren, in der sie überleben können, und die eigenen Zellfunktionen so auf die ihres Wirtes abstimmen, dass Nährstoffe effizient ausgetauscht werden können“, erklärt die Zellbiologin Prof. Dr. Annika Guse vom COS.
Das Team um Guse hat nun am Beispiel einer Seeanemonenart erstmals im Experiment nachvollzogen, wie die Immununterdrückung durch den Symbionten dazu beiträgt, dass die Wirtszelle geeignete Mikroalgen erkennt und langfristig aufnimmt. Die Larven der Seeanemone Aiptasia nehmen die Symbionten aus der Umwelt in gleicher Weise auf wie Korallenlarven. Außerdem eignen sich die Larven der auch als Glasrosen bekannten Seeanemonen aufgrund ihrer Größe und Transparenz hervorragend für hochauflösende Bildgebung und zellbiologische Untersuchungen.
Zeitrafferaufnahme einer Wirtszelle mit mehreren potenziellen Symbionten. Davon wird einer durch Vomozytose von der Wirtszelle wieder „ausgespuckt“, da er sich nicht als Teil einer symbiotischen Beziehung eignet. Video: Sebastian Rupp:
Wie Symbionten den Spuckreflex des Wirts unterdrücken
Aus der Umwelt nimmt die Seeanemone Aiptasia kontinuierlich unterschiedliche Partikel auf, ohne dabei zwischen geeigneten und ungeeigneten Teilchen oder Lebewesen zu unterscheiden. Nicht kompatible Partikel werden anschließend innerhalb eines bestimmten Zeitraums wieder „ausgespuckt“. Symbionten vermeiden diesen Vorgang der Vomozytose, vermutlich indem sie die Signalwege der Toll-like-Rezeptoren (TLR) der Wirtszelle unterbrechen. Diese Rezeptoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Aktivierung des zelleigenen Abwehrsystems und sorgen dafür, dass unerwünschte Eindringlinge erkannt und entfernt werden. Bei den meisten Tieren werden die Toll-like-Rezeptoren von dem Gen MyD88 gesteuert. „Wir konnten nachweisen, dass Algen-Symbionten MyD88 unterdrücken, um die Symbiose zu initiieren. So schaffen sie es, der Vomozytose zu entgehen“, erläutert die Studienleiterin Guse.
Ein evolutionär alter Abwehrmechanismus
Gleichzeitig deuten die Erkenntnisse der Heidelberger Wissenschaftler darauf hin, dass es sich bei der Vomozytose um einen Mechanismus handelt, der weiter verbreitet ist als vermutet. Bislang wurde angenommen, dass schädliche Eindringlinge selbst das „Ausspucken“ initiieren – quasi als rettender Schleudersitz, um den teilweise sehr spezialisierten Immunantworten der potenziellen Wirtszelle zu entkommen.
Die Studie mit dem Aiptasia-Modell legt jedoch nahe, dass dieser Vorgang auch von der Wirtszelle ausgelöst werden kann. Die Forscher nehmen daher an, dass es sich bei der Vomozytose um einen evolutionär alten Abwehrmechanismus handelt, den sich Korallen oder Nesseltiere wie Aiptasia zunutze machen, um geeignete Symbionten zu selektieren. „Die Vermutung liegt nahe, dass die Vomozytose ein wichtiger Prozess ist, der überhaupt erst zur Entstehung des intrazellulären Lebenswandels der Korallen-Symbionten geführt hat“, sagt Guse.
Originalpublikation: M. R. Jacobovitz, S. Rupp, P. A. Voss, I. Maegele, S. G. Gornik, A. Guse: Dinoflagellate symbionts escape vomocytosis by host cell immune suppression, Nature Microbiology (29 April 2021); DOI: 10.1038/s41564-021-00897-w
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