Neuer Weg zum Stickstoff-Dünger Stickstoffspaltung bei Raumtemperatur
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Bei hohem Druck und großer Hitze wandelt die Industrie Stickstoff mit Wasserstoff in Ammoniak um – die Basis für Düngemittel in der Landwirtschaft. Dass sich das reaktionsträge Stickstoff-Molekül auch bei Raumtemperatur spalten lässt, haben nun Forscher aus Würzburg gezeigt. Ihr Weg braucht damit erheblich weniger Energie und funktioniert sogar mit Bier als Lösungsmittel.

Würzburg – Stickstoff ist überall um uns herum. Es macht fast 80% unserer Atemluft aus. Dabei scheint das N2-Molekül auf den ersten Blick wenig nützlich, ist es doch äußerst reaktionsträge und daher für chemische Reaktionen eigentlich nicht zu gebrauchen. Dennoch stellt Luftstickstoff einen der wichtigsten Rohstoffe der Erde dar. Er ist der Ausgangspunkt in der Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren, nach dem seit über 100 Jahren im industriellen Maßstab Ammoniak (NH3) bzw Ammonium (NH4+) aus Stickstoff (N2) und Wasserstoff (H2) hergestellt wird. Ammoniak ist die Grundlage für Stickstoffdünger, der zum Sichern der Nahrungsmittelversorgung durch die Landwirtschaft unverzichtbar sind.
Doch obwohl das Haber-Bosch-Verfahren im Laufe seiner gut 100-jährigen Geschichte so gut optimiert wurde wie kaum ein anderer industrieller Prozess, sind nach wie vor hohe Temperaturen und Drücke nötig (400 bis 500 °C und 150 bis 250 bar), um den reaktionsträgen Stickstoff umzusetzen. Dies macht die Herstellung von Ammonium äußerst energieintensiv: Schätzungsweise ein bis drei Prozent der gesamten auf der Erde erzeugten Energie werden allein für das Haber-Bosch-Verfahren benötigt. Zudem stützt sich der Prozess auf Übergangsmetalle, also relativ schwere und reaktive Atome.
Einer Forschergruppe der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg ist es nun gelungen, Stickstoff bei Raumtemperatur, niedrigem Druck und ohne Übergangsmetalle in Ammonium umzuwandeln. Das berichtet ein Team unter Leitung des JMU-Wissenschaftlers Prof. Holger Braunschweig.
Bor als Schlüsselelement
Bereits im Jahr 2018 gelang dem Team von Braunschweig ein wichtiger Fortschritt in der Katalyseforschung: Sie schafften es, Stickstoff auf eine neue Art und Weise zu binden und zur Reaktion zu bringen – und zwar mithilfe eines Moleküls, das nur aus leichteren, nichtmetallischen Atomen besteht. Ein Jahr später demonstrierten die Wissenschaftler mit einem ähnlichen System die erste Kombination von zwei Stickstoffmolekülen im Labor. Diese Reaktion war zuvor nur in der oberen Erdatmosphäre und unter Plasmabedingungen beobachtet worden.
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Stickstofffixierung mithilfe von Bakterien
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Der Schlüssel zu diesen beiden Entdeckungen war die Wahl eines Ankers für das Anbinden von Stickstoff: Die Forscher setzten dafür Bor ein, das fünftleichteste aller Elemente. „Nach diesen beiden Entdeckungen war klar, dass wir ein ganz besonderes System in den Händen hatten“, sagt Braunschweig.
Obwohl dieses System Stickstoff bindet und umwandelt, fehlte bisher noch die Hälfte der Puzzleteile. „Wir wussten, dass die vollständige Umwandlung von Stickstoff in Ammonium eine große Herausforderung darstellen würde, da sie eine komplexe Abfolge chemischer Reaktionen erfordert, die oft nicht miteinander kompatibel sind“, erklärt der JMU-Professor.
Einfaches Rezept mit Wasser und Säure
Der Durchbruch gelang mit einfachsten Reagenzien: Spuren von Wasser, die in einer Probe zurückblieben, reichten aus, um eine Folge von Reaktionen zu fördern, die das Team bis auf einen einzigen Schritt an das Ziel „Ammonium erzeugen“ heranbrachte. Später entdeckte das Team, dass sich die Schlüsselreaktionen mit einer festen Säure so durchführen lassen, dass alle Teilreaktionen in einem einzigen Kolben bei Raumtemperatur nacheinander ablaufen konnten.
Ammonium mit Bier herstellen
Als die Wissenschaftler erkannt hatten, dass die Reaktion selbst mit einfachen Reagenzien wie Wasser zu funktionieren schien, wiederholten sie es mit dem Bier der örtlichen Brauerei Würzburger Hofbräu. Und tatsächlich konnten die Chemiker auch damit die Vorstufe von Ammonium erzeugen. „Dieses Experiment haben wir aus Spaß gemacht. Aber es zeigt, wie tolerant das System gegenüber Wasser und anderen Verbindungen ist“, erklärt Postdoc Dr. Marc-André Légaré, der die Studie initiiert hatte.
Mit ihren Erkenntnissen haben die Forscher einen vielversprechenden neuen Ansatz für die Ammoniumherstellung und damit die Düngemittelproduktion gefunden. „Die Reduktion von Stickstoff zu Ammonium ist eine der wichtigsten chemischen Reaktionen für die Menschheit. Dies ist zweifellos das erste Mal, dass sie mit Bier gemacht wurde, und es ist besonders passend, dass dies in Deutschland passiert ist“, sagt Dr. Rian Dewhurst, Akademischer Oberrat und Koautor der Studie.
Potenzial leichter Elemente für die Katalyse
Noch ist man allerdings weit von der Anwendung in der industriellen Ammonium-Produktion entfernt. Es muss noch ein Weg gefunden werden, um den gesamten Prozess energieeffizient und wirtschaftlich zu gestalten.
Trotzdem zeige die Entdeckung, dass auch leichtere Elemente selbst die größten Herausforderungen in der Chemie meistern können. „Hier gibt es noch viel zu tun, aber Bor und die anderen leichten Elemente haben uns schon so oft überrascht. Sie sind eindeutig zu so viel mehr fähig“, sagt Studienleiter Braunschweig.
Originalpublikation: Marc-André Légaré, Guillaume Bélanger-Chabot, Maximilian Rang; Rian D. Dewhurst, Ivo Krummenacher, Rüdiger Bertermann, Holger Braunschweig: One-Pot, Room-Temperature Conversion of Dinitrogen to Ammonium at a Main-Group Element, Nature Chemistry, 14 September 2020, DOI: 10.1038/s41557-020-0520-6;
* R. Emmerich, Julius-Maximilians- Universität Würzburg, 97070 Würzburg
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