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Soziale Immunität Wie Keime den Hygienemaßnahmen im Ameisenstaat entkommen

Quelle: Pressemitteilung ISTA

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Wenn in einer Gemeinschaft alle Individuen auf die anderen aufpassen, kann dies zu einer Art „sozialen Immunität“ beitragen – man pflegt sich gegenseitig und achtet aufeinander. So gelingt es Ameisen, Keime im Staat in Schach zu halten. Doch manche Erreger tricksen dieses System aus, indem sie sich quasi unsichtbar machen…

Argentinische Ameisenarbeiterinnen mit Brut. Ameisen reagieren sofort auf eine Kontamination mit Krankheitserregern und nicht erst auf die sich später entwickelnden Symptome einer Krankheit. Die Nestgenossinnen säubern Koloniemitglieder effizient von infektiösen Partikeln.
Argentinische Ameisenarbeiterinnen mit Brut. Ameisen reagieren sofort auf eine Kontamination mit Krankheitserregern und nicht erst auf die sich später entwickelnden Symptome einer Krankheit. Die Nestgenossinnen säubern Koloniemitglieder effizient von infektiösen Partikeln.
(Bild: Sina Metzler & Roland Ferrigato/ISTA)

Gesundheit ist ein ständiger Wettlauf: Krankheitserreger wollen die Oberhand über das Immunsystem gewinnen und entwickeln dafür clevere Ausweichstrategien. Das Immunsystem versucht dagegen anzukämpfen. Eine Möglichkeit, das Immunsystem des Betroffenen zu unterstützen, ist die medizinische Intervention. Wir Menschen nutzen das ständig, indem wir Medikamente z. B. gegen bakterielle Infektionen nehmen. Das kann aber auch zu unerwünschten Anpassungen des Krankheitserregers führen, wie sie etwa in antibiotikaresistenten Bakterien zu beobachten sind.

Eine andere mögliche Strategie ist die soziale Intervention. Dabei versuchen soziale Gruppen wie Ameisen, Infektionen mit „sozialer Immunität“ zu bekämpfen, d. h. mit kollektiven Hygiene- und Gesundheitsmaßnahmen, die eine weitere Ausbreitung der Krankheit in der Gemeinschaft verhindert. Ob und wie Krankheitserreger auf diese Art von Gruppenverhalten reagieren, ist weitgehend ungeklärt.

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Eine Studie von Professorin Sylvia Cremer und ihrem Forschungsteam am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) präsentiert nun die Auswirkungen dieser Art von Wirt-Parasit-Interaktionen. Gemeinsam mit Forscherkollegen an der Universität Würzburg nahmen die Wissenschaftler Ameisen genauer unter die Lupe. Ihr Ziel war es herauszufinden, wie krankheitserregende Pilze während der Infektion auf die soziale Fürsorge ihrer Wirte reagieren. Die Ergebnisse zeigen: Pilze reduzieren ihre chemischen Erkennungsmerkmale, um die soziale Immunität ihrer Wirte zu überlisten.

Infektiöse Pilze reagieren auf die Abwehrmaßnahmen der Ameisen

„Pilze infizieren die Ameisen von der Körperoberfläche aus und wachsen anschließend im Wirtskörper weiter. Die Pilzsporen werden aber meist von Nestgenossinnen abgeputzt, bevor sie überhaupt eine innere Infektion verursachen können“, erklärt Barbara Milutinović, eine der Hauptautoren. In den Experimenten untersuchten die Wissenschaftler Argentinische Ameisen (Linepithemahumile), welche mit dem pathogenen Metarhizium-Pilz infiziert wurden, und dann entweder in Anwesenheit oder in Abwesenheit von pflegenden Koloniemitgliedern gehalten wurden. „Als Reaktion auf die Pflege der Ameisenarbeiterinnen haben sich die Pilze grundlegend verändert“, sagt Milutinović.

Über zehn Infektionszyklen hinweg steigerten jene Pilze, die von pflegenden Nestgenossinnen betreut wurden, ihre Sporenproduktion im Vergleich zu Pilzen, die nur von einzelnen Ameisen begleitet wurden.: „Die erhöhte Sporenproduktion hilft dem Pilz, der sozialen Sporenentfernung entgegenzuwirken“, erklärt Gruppenleiterin Cremer. „Überraschend war jedoch, dass die Ameisen plötzlich weniger der Sporen abputzten. Das deutet darauf hin, dass sie die Sporen nicht mehr so leicht erkannt haben.“

Keime in Camouflage

Die Wissenschaftler des ISTA arbeiteten mit einem chemischen Ökologen der Universität Würzburg zusammen, um herauszufinden, warum die Arbeiterinnen Probleme hatten, die Pilze zu identifizieren. Der dortige Professor Thomas Schmitt erklärt: „Die an die sozialen Wirte angepassten Pilze zeigten eine starke Reduktion ihres Membranbestandteils Ergosterol. Ergosterol ist ein essenzieller Baustoff aller Pilze, und macht ihn daher zum Pilzerkennungsmerkmal.“

Wenn man nun die Ameisen mit purem Ergosterol oder dem ähnlichen Wirbeltier-Analog aussetzte, zeigte sich, dass nur der pilzspezifische Stoff intensives Putzverhalten der Ameisen auslöste. „Krankheitserreger, in diesem Fall Pilze, reagieren auf die Anwesenheit von pflegenden Ameisen, indem sie charakteristische Signale reduzieren – sie werden also nicht mehr als Gefahr wahrgenommen und können dadurch der sozialen Immunität der Kolonie entgehen“, fasst Studienautorin Milutinović zusammen

Die Ergebnisse verdeutlichen, welchen Einfluss soziale Wirte durch ihr Gruppenverhalten auf Krankheitserreger haben. „Es ist faszinierend, wie kollektive Hygienemaßnahmen ganz spezifische Ausweichstrategien beim Krankheitserreger auslösen“, sagt Gruppenleiterin Cremer. Es wäre spannend zu sehen, wie die Ameisen nun ihrerseits reagieren – vielleicht indem sie immer niedrigere Pilzhinweise erkennen können.“ (clu)

Originalpublikation: M. Stock, B. Milutinović, M. Hoenigsberger, A. V. Grasse, F. Wiesenhofer, N. Kampleitner, M. Narasimhan, T. Schmitt, S. Cremer: Pathogen evasion of social immunity, NatEcolEvol, 2023; DOI: 10.1038/s41559-023-01981-6

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