Biomineralisation Der lebenswichtige Säurehaushalt von Seeigel-Larven
Verschanzt hinter Stacheln und einer Schale aus Kalk sind Seeigel gut geschützt. Schon ihre Larven bilden den Kalkpanzer. Das Problem: In den Zellen entsteht dabei Säure, die den Kalk wieder auflösen würde. Wie Seeigel diese Hürde meistern, haben nun Forscher der Uni Kiel herausgefunden.
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Kiel – Seeigel sind wichtige „Partner“ von Umweltforschern. Denn an ihrem Zustand lassen sich Aussagen über den Zustand der Meere ableiten. Dies gilt besonders für den Prozess der Kalzifizierung, also der Bildung von Kalkschalen und Skeletten. Bereits die mikroskopisch kleinen Larvenstadien von Seeigeln bilden Skelette aus Kalziumkarbonat, wobei noch nicht geklärt ist, wie genau sie das schaffen. Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Humboldt Universität Berlin ist es nun gelungen, einen wesentlichen Baustein in diesem vielschichtigen Prozess zu entschlüsseln.
Wenn die jungen Seeigel ihre Kalkschale aufbauen, stehen sie vor einem Dilemma. Die Produktion des Kalks (CaCO3) bildet als Nebenprodukt Säure, die den Kalk auflösen würde. Um die Säure, genauer gesagt deren freigesetzte Protonen (H+), vom Ort der Kalkbildung zu entfernen, nutzen sie spezielle Protonenkanäle, so genannte Otopetrine. Deren Rolle bei der Kalkbildung haben die CAU-Forscher nun aufgeklärt: Sie helfen dabei, die gebildete Säure abzutransportieren und ein Übersäuern in den kalkbildenden Zellen zu verhindern.
Ein Schlüsselmechanismus der Mineralisierung
Die Studie trägt darüber hinaus zum besseren Verständnis der pH-Regulierung in kalzifizierenden Systemen bei und zeigt, wie die Kalkbildung von Organismen vor dem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen im Ökosystem Ozean etwa durch die zunehmende Versauerung beeinflusst wird. „Mit unserer Arbeit haben wir einen Schlüsselmechanismus im Mineralisierungsprozess identifiziert, der für viele kalkbildende Arten und ihre Reaktionen auf Veränderungen des pH-Werts in der Umwelt von Bedeutung ist“, sagt Dr. Marian Hu, Leiter der Studie am Physiologischen Institut der CAU.
Wie Hu und sein Team zeigten, bilden Otopetrine in kalzifizierenden Zellen der Seeigellarve sozusagen ein Ventil für Protonen, um die Bildung des Kalkskelettes vor Übersäuerung zu schützen. „Da bei Otopetrinen die Richtung des Protonenflusses aus den kalzifizierenden Zellen durch den Umwelt-pH-Wert vorgegeben wird, stellt der pH-Wert des Meeres einen entscheidenden Faktor für den erfolgreichen Aufbau von Kalkschalen mariner Organismen dar“, erklärt der Meeresforscher.
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Seeigel verstehen – mehr CO2 binden
Bei der Untersuchung an den mikroskopisch kleinen, nur 0,3 Millimeter großen Organismen haben die Forscher unterschiedliche Methoden wie die zelluläre pH-Messung, molekulare Methoden oder die Heterologen-Charakterisierung vom Seeigel Otopetrin in Xenopus Oocyten angewendet. Die Seeigellarve als kleiner und transparenter mariner Organismus ist dabei ideal für alle zellulären Untersuchungen mit molekularen Methoden, mithilfe derer auch komplexe genetische Prozesse erforscht werden können.
Die Ergebnisse der Studie sind auch deshalb von hoher Bedeutung für die Erforschung des Klimawandels, weil marine Organismen wie Seeigel oder Korallen in der Lage sind, ein metabolisches Abfallprodukt – in dem Fall CO2, das bei der Stoffwechselproduktion entstanden ist – zu nutzen, um ihre Schalen und Skelette herzustellen. „Ein besseres Verständnis für die zellulären Mechanismen der Biomineralisation könnten daher auch eine Grundlage für lösungsorientierte Technologien zur Bindung und Nutzung von Atmosphärischem CO2 sein“, resümiert Dr. William Chang, Erstautor der Studie von der Uni Kiel.
Originalpublikation: William W. Chang, Ann-Sophie Matt, Marcus Schewe, Marianne Musinszki, Sandra Grüssel, Jonas Brandenburg, David Garfield, Markus Bleich, Thomas Baukrowitz, Marian Y. Hu: An otopetrin family proton channel promotes cellular acid efflux critical for biomineralization in a marine calcifier, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Jul 2021, 118 (30) DOI: 10.1073/pnas.2101378118
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