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Geoforschung

Erdschicht mit extrem hoher Viskosität bewirkt Materialstau

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Strukturanalysen zusammengepresster Kristalle

Wie sind die Geowissenschaftler in Bayreuth und den USA auf die Existenz einer hochviskosen Erdschicht gestoßen? Empirische Materialuntersuchungen „vor Ort“ sind im unteren Erdmantel unmöglich. Doch mithilfe von Diamantstempelzellen können im Bayerischen Geoinstitut winzige Gesteinsproben extrem hohen Drücken ausgesetzt werden, wie sie im Erdinneren herrschen. Dabei wird jede Probe von zwei einander gegenüberliegenden Diamanten zusammengepresst, die an ihrer Spitze nicht viel breiter sind als ein menschliches Haar. Auf diese Weise haben Marquardt und Miyagi mehrere tausend Ferroperiklas-Kristalle steigenden Drücken unterworfen: beginnend mit 20 Gigapascal, die an der Grenze zwischen dem oberen und dem unteren Erdmantel herrschen, bis hin zu fast 100 Gigapascal, wie sie im unteren Erdmantel in rund 2.200 Kilometern Tiefe gegeben sind. Zum Vergleich: Würde man den Eiffelturm in der Handfläche balancieren, entstünde dabei ein Druck von 10 Gigapascal.

Die unter diesen extremen Drücken gepressten Ferroperiklas-Kristalle haben die beiden Wissenschaftler am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien auf ihre Strukturen hin untersucht. Dabei kamen Röntgenstrahlen zum Einsatz, die im dortigen Teilchenbeschleuniger erzeugt wurden. Es stellte sich heraus, dass die Ferroperiklas-Kristalle, die mit 65 Gigapascal zusammengepresst wurden, eine ungefähr dreimal höhere Festigkeit – und damit eine erheblich höhere Viskosität – aufweisen als die Kristalle, die lediglich einen Druck von 20 Gigapascal aushalten mussten. Bei einer Mischung von Ferroperiklas mit Bridgmanit, dem zweiten Hauptbestandteil des unteren Erdmantels, steigt mit einer derartigen Druckerhöhung die Viskosität um das 300-fache an.

„Ferroperiklas ist das häufigste Material im unteren Erdmantel, wo es netzwerkartige Strukturen ausbilden kann. Wenn nun die Festigkeit dieses Materials bis rund 1.500 Kilometern Tiefe so stark zunimmt, ist für Gesteinsmaterial, das infolge von Subduktionsprozessen in die Tiefe sinkt, hier möglicherweise kein Durchkommen“, erläutert Marquardt.

Falls es einigen Gesteinsmassen dennoch gelingt, diesen Riegel zu überwinden, dürfte sich ihre Abwärtsbewegung wieder beschleunigen. Denn wie andere geowissenschaftliche Studien gezeigt haben, verringert sich die Viskosität im unteren Erdmantel ab einer Tiefe von etwa 1.700 Kilometern. Unter dieser Voraussetzung kann Gestein aus der Kruste, sobald es unterhalb der hochviskosen Schicht angekommen ist, bis tief in den unteren Erdmantel und weiter bis zum Erdkern vordringen.

Hohe Temperaturen, tiefe Erdbeben, verschiedene Magma-Sorten

Die Indizien für eine Erdschicht, die eine außergewöhnlich hohe Viskosität aufweist, haben für die geowissenschaftliche Forschung noch weitere Konsequenzen. Wenn ein stetiger Materialkreislauf zwischen der Kruste und dem Erdmantel durch eine solche Erdschicht systematisch gestört wird, kann auch weniger Hitze aus dem tiefen Erdinnern an die Erdoberfläche entweichen. Möglicherweise herrscht am unteren Ende des Erdmantels und im Erdkern eine viel größere Hitze, als bisher angenommen wurde.

Zudem halten Marquardt und sein U.S.-amerikanischer Kollege es für möglich, dass die Blockade des absinkenden Gesteinsmaterials Erdbeben verursachen kann. Normalerweise werden Erdbeben durch Spannungen ausgelöst, die innerhalb der Erdkruste – also relativ dicht unterhalb der Erdoberfläche – entstehen. Wenn aber Gesteinsmassen auf ihrem Weg in die Tiefe gegen eine „Viskositätswand“ stoßen und abgebremst werden, kann sich das nachfolgende Gestein aufstauen und aufreißen. In diesem Fall kommt es zu Erdbeben in höheren Tiefen, die ihre Ursache aber in Prozessen im unteren Erdmantel haben.

Schließlich verweisen die beiden Wissenschaftler auf Forschungsergebnisse, wonach sich ozeanische Vulkane hinsichtlich der Eigenschaften und der Zusammensetzung des von ihnen ausgeworfenen Magmas auffallend unterscheiden. Oftmals handelt es sich dabei um relativ junges Material aus aufgeschmolzener Erdkruste. In anderen Fällen aber gelangt älteres Gestein an die Oberfläche, das eine andere chemische Zusammensetzung hat und möglicherweise einem tiefer liegenden Reservoir entstammt. Die Unterschiede in der Magmenzusammensetzung lassen sich damit erklären, dass die hochviskose Schicht die Durchmischung des Erdmantels vermindert: Es findet nur ein geringer Austausch der Materialien statt, die sich oberhalb und unterhalb dieser Schicht befinden.

Originalpubliation: Hauke Marquardt and Lowell Miyagi, Slab stagnation in the shallow lower mantle linked to an increase in mantle viscosity, in: Nature Geoscience (2015), DOI: 10.1038/NGEO2393

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