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Geburtshilfe für Planeten Interstellare „Pilger“ formen neue Welten

Redakteur: Christian Lüttmann

Wie entstehen Planeten? Dafür braucht es vor allem zwei Dinge: Materie und viel Zeit. Eine neue Studie des Jülich Supercomputing Centre und der Queens University Belfast liefert nun Hinweise auf einen deutlich schnelleren Mechanismus der Planetenentstehung. Dabei spielen interstellare Objekte eine wichtige Rolle, die in unvorstellbar großer Anzahl durchs All treiben.

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Interstellare Objekte wie Oumuamua könnten als Keimzellen für neue Planeten dienen.
Interstellare Objekte wie Oumuamua könnten als Keimzellen für neue Planeten dienen.
(Bild: ESA/Hubble, NASA, ESO, M. Kornmesser)

Jülich, Belfast/Nordirland – Er ist groß wie ein Wolkenkratzer und fliegt doch schwerelos und lange Zeit unbemerkt umher. Der im Oktober 2017 entdeckte Oumuamua ist nur eines von zahlreichen interstellaren Objekten, die ziellos im All treiben. Doch solche Gesteinsbrocken könnten eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Universums spielen: Möglicherweise helfen diese umhertreibenden „Pilger“ jungen Sternensystemen, schnell Planeten und neue Welten zu bilden. Das zeigt eine Studie des Jülich Supercomputing Centre (JSC) und der nordirischen Queens University Belfast.

Ein solcher Gesteinsbrocken aus einem Lichtjahre entfernten Planetensystem könnte einst auch Planeten in unserem Sonnensystem „Starthilfe“ gegeben haben, so die Vermutung der Astrophysikerinnen Susanne Pfalzner vom JSC und Michele Bannister von der Queen’s University: Die Milchstraße könnte voller driftender interstellarer Objekte wie dem Asteroiden Omuamua sein. Diese driftenden Felsbrocken können den Forscherinnen zufolge als eine Art Keimzelle dienen, aus denen schließlich ganze Planeten entstehen. Wenn sich neue Planetensysteme bilden, würden diese wiederum Billionen von winzigen Welten in Form weiterer Gesteinsbrocken in den interstellaren Raum hinaus schleudern – so wie Pusteblumen ihre Samen streuen.

Anzahlen jenseits der Vorstellungskraft

Mit dem neuen Modell zum Planetenwachstum könnten Widersprüche zu experimentellen Beobachtungen aufgeklärt werden. „Nach bestehenden Modellen bilden sich Planeten langsam aus mikrometergroßen Gas- und Feinstaubteilchen in protoplanetaren Scheiben um einen Stern, die sich Millionen von Jahren immer mehr verdichten“, erklärt Pfalzner. Doch es gibt auch Beobachtungen, die ein anderes Bild zeichnen. Manche Planeten müssen in weitaus kürzerer Zeit entstanden sein, als es nach dem Standardmodell möglich wäre. Interstellare Objekte wie Oumuamua könnten diese Widersprüche nun in Einklang bringen.

Die Forscherinnen schätzen, dass es in der Milchstraße, unserer rund 100.000 Lichtjahre breiten Heimatgalaxie Quadrillionen (1024) von Oumuamua-ähnlichen Objekten gibt. Selbst in einem Würfel mit einer Kantenlänge von „nur“ einem Lichtjahr vermuten die Astrophysikerinnen immer noch etwa 29 Billionen Objekte. Diese Planetoiden – wahrscheinlich relativ klein, dunkel und schnell – bewegen sich frei im Weltraum, nachdem sie aus der Umlaufbahn um ihre Heimatsterne geworfen wurden. Die interstellaren „Pilger“ könnten eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Planeten spielen, wenn sie von der protoplanetaren Scheibe um einen anderen Stern eingefangen würden.

Nahezu endloser Nachschub

„Viele dieser Objekte bewegen sich vermutlich zu schnell, um von protoplanetaren Scheiben eingefangen zu werden“, betont Pfalzner. „Und von denen, die gefangen werden, fallen die meisten wahrscheinlich in den Stern hinein.“

Dennoch, so berechneten die Astrophysikerinnen, sollte es um jeden Stern mindestens 10 Millionen dieser interstellaren Objekte geben. „Beim Einfangprozess gehen also die meisten verloren. Doch da es so viele dieser Objekte gibt, bleiben am Ende trotzdem noch reichlich von ihnen übrig“, erklärt Bannister. „Tausende davon sind wahrscheinlich mehr als einen Kilometer groß. Einige wenige könnten die Größe von Zwergplaneten wie Ceres oder Pluto haben – oder wie unser Mond.“

Schnelles Planetenwachstum jetzt erklärbar?

Mit ihrer eigenen Schwerkraft könnten die Planetoiden Materie anziehen – Gas, Staub oder kleinere Gesteinsbrocken – und so schließlich selbst zu vollwertigen Planeten anwachsen. Dieses Szenario würde den Widerspruch lösen, dass manche Planeten scheinbar schneller wachsen, als sich mit konventionellen Theorien erklären lässt.

„Nach dem üblichen so genannten Akkretions-Modell würde es bis zu Zehntausende Jahre dauern, um aus mikroskopischen Staubpartikeln auch nur auf millimeter- oder zentimetergroße Materieteilchen zu kommen“, sagt Bannister. „Die Bildung von erdähnlichen Planeten braucht dann noch einmal viele Millionen Jahre, die von Gasgiganten wie Jupiter sogar noch länger.“ Dennoch finden sich in jüngeren Sternclustern Planeten, die nur eine Million Jahre alt sind.

„Wenn sich Planeten nicht langsam aus mikrometergroßen Staub- und Gasteilchen aufbauen müssten, würde das ihren Entstehungsprozess enorm beschleunigen“, sagt Pfalzner. Dieser Mechanismus würde auch auf sich selbst zurückwirken: Systeme mit mehr Planeten werfen mehr Gesteinsbrocken wie Oumuamua aus, die dann mehr Planeten in anderen Systemen erzeugen. So helfen Planetensysteme beim Aufbau von Planetensystemen.

Planetenarme Senioren

„Wenn sich unser Modell als richtig herausstellt, würde es auch erklären, warum die ältesten Sterne weniger Planeten haben, als wir es bei neueren Sternsystemen beobachten“, ergänzt Pfalzner. „Frühe Planetengenerationen wären auf konventionelle Art entstanden – und hätten dann mit ausgeworfenen Oumuamuas die Keimzellen für neue protoplanetare Scheiben geliefert.“ Die Planetenbildung in der gesamten Galaxie könnte immer mehr zunehmen, da immer mehr verirrte Felsen im Raum herumfliegen.

Originalpublikation: Susanne Pfalzner and Michele T. Bannister: A hypothesis for the rapid formation of planets. Astrophysical Journal Letters, April 2019

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