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Schaltverhalten memristiver Bauelemente Künstliche Synapsen für neuro-inspirierte Computer

Von Tobias Schlößer*

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Wie die Nervenzellen im Gehirn können memristive Elemente elektrische Signale übertragen. Jülicher Forscher haben nun gezeigt, wie sich die Schaltzeit dieser künstlichen Synapsen durch gezielte, minimale Verunreinigungen einstellen lässt. Dies ebnet den Weg für zahlreiche Anwendungen wie neuro-inspirierte Computer.

Dr. Ilia Valov (l.) im Oxidcluster am Forschungszentrum Jülich. Im Hintergrund: Michael Lübben (Mitte) und Prof. Rainer Waser (r.)
Dr. Ilia Valov (l.) im Oxidcluster am Forschungszentrum Jülich. Im Hintergrund: Michael Lübben (Mitte) und Prof. Rainer Waser (r.)
(Bild: RWTH Aachen / Peter Winandy)

Jülich – Noch können Computer nicht selbstständig denken. Es gibt aber bereits so etwas wie künstliche Nervenzellen: So genannte Memristoren gelten als vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Bauelementen. Diese sind im Grunde nichts anderes als ein „Widerstand mit Gedächtnis“, der sich zwischen einem niedrigen und einem hohen Wert hin und her schalten lässt. Die Bauelemente sind damit prinzipiell lernfähig, ähnlich wie eine Synapse des biologischen Nervensystems. „Memristive Elemente gelten als ideale Kandidaten für neuro-inspirierte Computer nach dem Vorbild des Gehirns, die im Zusammenhang mit Deep Learning und künstlicher Intelligenz großes Interesse wecken“, erläutert Dr. Ilia Valov vom Peter Grünberg Institut (PGI-7) des Forschungszentrums Jülich.

Er und sein Team der Jülich Aachen Research Alliance (JARA) haben untersucht, wie sich die Schalteigenschaften memristiver Bauelemente gezielt beeinflussen lassen. Entscheidender Faktor ist demnach die Reinheit der zentralen Oxidschicht. „Je nachdem, ob man ein 99,999999-prozentig reines Material verwendet, ein Fremdatom in zehn Millionen Atome des reinen Materials einbringt oder ein Fremdatom in hundert Atome, unterscheiden sich die Eigenschaften der memristiven Elemente sehr stark“, sagt Valov.

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Künstliche Synapsen nach Maß

Wie die Reinheit die Schalteigenschaften beeinflusst, war bislang noch nicht untersucht worden. Dabei lässt sich dieser Effekt gezielt für das Design memristiver Systeme nutzen, ähnlich einer Dotierung von Halbleitern in der Informationstechnologie. „Durch die Einbringung von Fremdatomen beeinflussen wir die Löslichkeit und Transporteigenschaften der dünnen Oxidschichten“, erklärt Dr. Christian Neumann vom Technologiekonzern Heraeus. Seit der ersten Idee im Jahr 2015 begleitet er das Projekt mit seiner Materialexpertise.

„In den letzten Jahren gab es bei der Anwendung der memristiven Bauelemente bemerkenswerte Fortschritte, die jedoch häufig auf einer rein empirischen Grundlage erzielt wurden“, sagt Valov. Mithilfe der gewonnenen Einsichten könnten Hersteller nun planvoll memristive Elemente mit den gewünschten Funktionen entwickeln. Je höher die Dotierung, umso langsamer ändert sich der Widerstand der Elemente mit der Zahl der eingehenden Spannungspulse und umso stabiler bleibt der Widerstand. „Damit haben wir eine Möglichkeit entdeckt, unterschiedlich erregbare Arten von künstlichen Synapsen zu konstruieren“, erklärt Valov.

Hochreines Material untersucht

Lern- und Merkfähigkeit des Gehirns sind wesentlich darauf zurückzuführen, dass sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen sozusagen verstärken, wenn sie häufig genutzt werden. Ein vergleichbares Verhalten zeigen memristive Bauelemente, von denen es unterschiedliche Varianten wie etwa elektrochemische Metallisierungszellen (ECMs) oder Valenzwechsel-Zellen (VCMs) gibt. Bei ihnen erhöht sich die Leitfähigkeit mit der Zahl der eingehenden Spannungspulse. Durch Anlegen von Spannungspulsen gegenläufiger Polarität lassen sich die Veränderungen auch wieder rückgängig machen.

Die Jülicher Forscher haben ihre systematischen Versuche an ECMs durchgeführt, die aus einer Kupferelektrode, einer Platinelektrode sowie einer dazwischen liegenden Schicht aus Siliziumdioxid bestehen. Dank der Zusammenarbeit mit dem deutschen Technologiekonzern Heraeus hatten die Wissenschaftler Zugang zu 99,999999-prozentig reinem Siliziumdioxid – auch als 8N Siliziumdioxid bezeichnet – und zu Siliziumdioxid, das 100 bis 10 000 ppm (parts per million) Fremdatome enthielt. Die gezielt dotierten Gläser wurden speziell vom Quarzglasspezialisten Heraeus Conamic entwickelt und hergestellt. Kupfer und Protonen dienten dabei als mobile Dotierungsmittel, Aluminium und Gallium als nicht-flüchtige Dotierungen.

Rekord-Schaltzeit für 8N Siliziumdioxid

Die Forscher zeigten anhand ihrer Versuchsreihen, dass sich mit der Menge an Fremdatomen auch die Schaltzeiten der künstlichen ECM-Synapsen ändern. Besteht die mittlere Schicht aus dem hochreinen 8N Siliziumdioxid, so schaltet das memristive Bauelement in 1,4 Nanosekunden. Bislang betrug der schnellste jemals bei ECMs gemessene Wert etwa 10 Nanosekunden. Indem die Wissenschaftler die Oxidschicht der Bauelemente mit bis zu 1% (10.000 ppm) Fremdatomen dotierten, verlängerten sie die Schaltzeit gezielt bis in den Bereich von Millisekunden.

„Wir haben für unsere Ergebnisse auch eine theoretische Begründung. Diese öffnet uns die Türe zum Verständnis und zur Nutzung der physikalisch-chemischen Vorgänge auf der Nanoskala“, sagt Valov. Er geht davon aus, dass der Dotierungseffekt nicht nur bei ECMs und VCMs, sondern bei allen memristiven Elementen auftritt.

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Wie die Dotierungen die Struktur der memristiven Elemente beeinflussen, sehen Sie in den Grafiken der Bildergalerie oben.

Originalpublikation: M. Lübben, F. Cüppers, J. Mohr, M. von Witzleben, U. Breuer, R. Waser, C. Neumann, I. Valov: Design of defect-chemical properties and device performance in memristive systems, Science Advances, Vol. 6, no. 19 (8 May 2020), DOI: 10.1126/sciadv.aaz9079

* T. Schlößer, Forschungszentrum Jülich, 52428 Jülich

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