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Korrosionsprozesse in Echtzeit messen Wie sicher ist die Verglasung von Atommüll?

Redakteur: Christian Lüttmann

Die Endlagerung von Atommüll ist ein bislang ungelöstes Problem. Um maximale Sicherheit zu gewährleisten, werden alte Brennstäbe in Spezialbehältern mit einer Glasmasse verschmolzen. Ob diese Verglasung auch wirklich stabil ist, wollen Forscher der Universität Bonn herausfinden. Sie untersuchen, wie sich Silikatglas bei Kontakt mit Wasser auflösen kann.

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Radioaktiver Abfall wird zur Sicherheit in Glas eingeschmolzen. In Bonn wollen Forscher prüfen, wie sicher diese Verwahrung wirklich ist.
Radioaktiver Abfall wird zur Sicherheit in Glas eingeschmolzen. In Bonn wollen Forscher prüfen, wie sicher diese Verwahrung wirklich ist.
(Bild: Pixabay/slightly_different)

Bonn – Atomkraftwerke sicherten 2017 nach Angabe der World Nuclear Association rund 10% der globalen Stromversorgung. Zwar ist Kernenergie frei von Treibhausgasemissionen und so gesehen klimafreundlich, die Handhabung und Entsorgung der verbrauchten Brennstäbe ist allerdings ein Problem, für das es immer noch keine endgültige Lösung gibt.

Zur möglichst sicheren Lagerung des radioaktiven Abfalls behilft man sich unter anderem mit dem Verfahren der Verglasung. Dabei werden die radioaktiven Elemente ausgebrannter Brennstäbe mit Silikatglas in Spezialbehältern, so genannten HAW-Kokillen, eingeschmolzen und so verplombt. Doch niemand kann sagen, wie zuverlässig diese Verwahrung über die Jahrhunderte und Jahrtausende hält.

Eine mögliche Gefahr stellt das Eindringen von Wasser in die Behälter dar: Wenn die Kokillen beschädigt oder durch Korrosion undicht werden, könnte das Silikatglas ebenfalls allmählich korrodieren und ggf. die eingeschlossenen radioaktiven Stoffe freisetzen. Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun mit einer neuen Methode detailliert beobachten können, welche Prozesse bei der Korrosion von Silikatglas durch Wasser stattfinden. Mit ihren Untersuchungen wollen sie den Weg bereiten, um die Sicherheit der Verglasung von Atommüll zu testen.

Punktegenaue Laserabtastung in alle Raumrichtungen

Die Mineralogen und Geochemiker der Universität Bonn nutzten für ihre Studie die konfokale Raman-Spektroskopie. Was die Methode interessant macht: Das dabei verwendete Laserlicht lässt sich auf eine bestimmte Stelle im Raum bündeln, und das auf wenige tausendstel Millimeter genau. Auf diese Weise kann man eine Probe Punkt für Punkt untersuchen. Und das nicht nur an ihrer Oberfläche. Falls sie transparent ist, lässt sich der Strahl auch auf Bereiche im Innern fokussieren. „Und genau das haben wir gemacht“, sagt Prof. Dr. Thorsten Geisler-Wierwille vom Institut für Geowissenschaften und Meteorologie der Universität Bonn.

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Wie funktioniert die Raman-Spektroskopie?

Bei der Raman-Spektroskopie wird ein Laserstrahl durch ein Mikroskop auf eine Probe fokussiert. Das Licht interagiert mit den Molekülen in dem zu untersuchenden Material und versetzt diese dabei in Schwingungen. Abhängig von der Struktur und den chemischen Eigenschaften der Probe verändern dabei einzelne zurückgestreute Photonen ihre Farbe. Dieses Phänomen wird auch als Raman-Effekt bezeichnet. Das ursprünglich einfarbige Licht enthält daher nun auch andere Farbanteile. Das Farbspektrum erlaubt detaillierte Rückschlüsse auf die Struktur und Zusammensetzung der vom Laserstrahl getroffenen Materie.

Als Probe diente den Forschern ein kleines Stück Silikatglas, das sie in einem speziell entwickelten Heizgefäß mit einer wässrigen Lösung reagieren ließen. Das Gefäß ließ sich unter dem Raman-Mikroskop motorisch in Schritten von einem tausendstel Millimeter bewegen – nach rechts, links, vorne und hinten, aber auch nach oben und unten. „Wir haben das Glas computergesteuert abgetastet und dabei Punkt für Punkt ein Raman-Spektrum aufgenommen, während es mit der Lösung reagierte“, sagt Lars Dohmen, der bei Geisler-Wierwille promoviert. „So konnten wir die Reaktion nahezu in Echtzeit untersuchen. Derzeit klappt das bei Temperaturen von bis zu 150 Grad Celsius, wie sie etwa auch bei der Lagerung von Atommüll herrschen können.“

Wasser löst Glas auf

Die Ergebnisse deuten drauf hin, dass sich Silikatglas beim Kontakt mit wässrigen Lösungen schon in kurzer Zeit auflöst – fast wie ein Stück Würfelzucker im Kaffee. Während sich die Zuckermoleküle aber rasch durch Diffusion gleichmäßig im Wasser verteilen, ist das bei der Glaskorrosion nicht der Fall: Ein Teil der gelösten Kieselerde, die dabei entsteht, scheint in der Nähe der Glasoberfläche zu bleiben. Irgendwann wird ihre Konzentration so hoch, dass sie sich verfestigt.

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„Wir sprechen dann auch von einer Kieselerde-Fällung“, erläutert Geisler-Wierwille. „Dabei vernetzen sich Kieselerde-Moleküle in der Lösung zu nur wenige Millionstel Millimeter großen Aggregaten, die sich auf dem Glas ablagern und in einen Opal-artigen Zustand übergehen.“ Gegen das Wasser bietet diese Opalschicht allerdings keinen perfekten Schutz, wie die Forscher zeigen konnten. Stattdessen frisst sich die Auflösungs-Fällungsfront weiter in das Glas hinein. Dieses wird so schrittweise vom Opal verdrängt, allerdings immer langsamer. „Wir haben erstmals experimentell nachgewiesen, dass sich zwischen Opalschicht und dem darunterliegenden Glas eine Grenzflächenlösung mit gelöster Kieselerde bildet“, erklärt Geisler-Wierwille. „Dabei verhindert die Opalschicht mit steigender Dicke immer stärker, dass die Kieselerde-Lösung abtransportiert werden kann. Wir vermuten, dass diese schließlich zu einer zähflüssigen Masse geliert, wodurch die Reaktion deutlich langsamer wird.“

Real verwendete Silikatgläser sind stabiler als Testglas

In der Studie nahm die Auflösung der Glasoberfläche bereits nach einer Dicke von 25 tausendstel Millimetern stark ab. „Auch wenn die Reaktion sehr langsam wurde, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass durch diesen Korrosionsprozess über lange Zeiträume radioaktive Elemente frei werden“, betont Geisler-Wierwille. Jedoch werden zur Verglasung von Atommüll Gläser verwandt, die weitaus stabiler gegenüber Wasser sind als die in der Studie untersuchte Sorte. „Wir wollen unsere Experimente demnächst auf diese Sorten ausdehnen“, kündigt der Wissenschaftler an. Geplant sind auch Studien mit Silikatglas, in dem tatsächlich strahlende Elemente eingeschlossen sind. Dadurch wollen die Forscher zusammen mit Partnern den Einfluss von Strahlenschäden im Glas auf die Korrosionsbeständigkeit untersuchen. „Die aktuelle Arbeit sollte hauptsächlich den Beweis erbringen, dass unsere neue Methode weitreichende Erkenntnisse über diese Prozesse liefern kann“, sagt Geisler-Wierwille.

Wie groß das Interesse der Industrie an diesen Arbeiten ist, zeigt auch die Finanzierung des Pilotprojekts: Die Mittel für die Studie stammen unter anderem von einem international tätigen Glashersteller, der Schott AG.

Originalpublikation: Thorsten Geisler, Lars Dohmen, Christoph Lenting und Moritz B. K. Fritzsche: Real-time in situ observations of reaction and transport phenomena during silicate glass corrosion by fluid-cell Raman spectroscopy. Nature Materials (2019); DOI: 10.1038/s41563-019-0293-8

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