English China

Bakterienbesiedlung von Neugeborenen Das fetale Mikrobiom – nur ein Mythos der Wissenschaft?

Quelle: Pressemitteilung Universität Wien

Anbieter zum Thema

Es ist eine wissenschaftliche Kontroverse: Lange galt die Annahme, dass Babys im Mutterleib steril sind und erst nach der Geburt mit Bakterien in Kontakt kommen. Doch in den vergangenen Jahren wiesen manche Studien auf das Gegenteil hin. Ob der Mensch mit einem fetalen Mikrobiom zur Welt kommt oder nicht, hat nun ein internationales Expertenteam untersucht.

Wann kommt der Mensch erstmals mit Bakterien in Kontakt? Ein internationales Expertenteam hat Studien geprüft, die die Existenz eines „fetalen Mikrobioms“ nahelegen (Symbolbild).
Wann kommt der Mensch erstmals mit Bakterien in Kontakt? Ein internationales Expertenteam hat Studien geprüft, die die Existenz eines „fetalen Mikrobioms“ nahelegen (Symbolbild).
(Bild: frei lizenziert – Picsea / Unsplash)

Mikroben begleiten uns ein ganzes Leben. Sie sind in unserer Mundhöhle, auf unserer Haut, im Darm und in den Nasenschleimhäuten. Eine stabile Gemeinschaft von Bakterien, ein so genanntes Mikrobiom, ist dabei keinesfalls schädlich, sondern sogar wichtig für ein intaktes Immunsystem und verschiedene Stoffwechselvorgänge. Doch sind Mensch und Bakterien wirklich von Anfang an verbunden?

Ein etablierter Grundsatz aus der Immunologie und Reproduktionsbiologie hält dagegen. Der Annahme zufolge ist die die Gebärmutter eine sterile Umgebung und Babys entwickeln entsprechend erst nach der Geburt ein Mikrobiom, also eine Gemeinschaft von Darmbakterien und anderen Mikroorganismen. Mehrere nach 2010 veröffentlichte Studien stellten diesen Grundsatz allerdings in Frage. Sie haben Bakterien in Proben der Plazenta und des Fruchtwassers nachgewiesen. Ein interdisziplinäres Team führender Experten aus der Reproduktionsbiologie, der Mikrobiomforschung und der Immunologie nahm diese kontrovers diskutierten Studien genau in den Blick und überprüfte die Analysen.

Kontaminationen können den Widerspruch auflösen

Die Experten kamen einstimmig zu dem Schluss, dass der Nachweis von Mikrobiomen in fetalem Gewebe, d. h. im Gewebe eines ungeborenen Babys, auf eine Verunreinigung von Proben aus dem Mutterleib zurückzuführen ist. „Die spezielle Problematik bei diesen Mikrobiomen besteht in den sehr kleinen Konzentrationen der anwesenden Bakterien. Daher müssen auch in Spuren vorhandene Spezies sicher erkannt und von Kontaminationen unterschieden werden“, erklärt Thomas Rattei, Leiter der Forschungsabteilung für computergestützte Systembiologie am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. „Datenbanken und Methoden der Bioinformatik spielen in solchen Analysen eine besondere Rolle“, ergänzt er.

Für die nun veröffentlichte Studie evaluierte Rattei Aussagen zur Datenanalyse und Bioinformatik. In Übereinstimmung mit seinen internationalen Kollegen kommt er in der nun veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass es bei der vaginalen Entbindung, bei klinischen Verfahren oder bei der Laboranalyse zu einer Verunreinigung der Proben gekommen ist. Die Bakterien waren entsprechend nicht bereits vor der Geburt im Fruchtwasser und der Plazenta vorhanden.

Forscher geben Hinweise für bessere Mikrobiomforschung

„Die Frage, wann und wie sich das Mikrobiom des Menschen nach der Geburt entwickelt, hat einen bleibenden Einfluss auf das spätere Leben und die Gesundheit“, sagt Rattei. „Für ein gutes wissenschaftliches Verständnis müssen Studien in diesem Bereich international vergleichbar durchgeführt werden, und dazu trägt diese Publikation bei.“

Der Konsens der Experten diene Forschern in diesem Bereich als wichtige Orientierung, um ihre Forschungsanstrengungen dort zu konzentrieren, wo sie am effektivsten sind, betont Mikrobiomforscher und Studienleiter Jens Walter vom University College Cork in Irland. „Das Wissen, dass sich der Fötus in einer sterilen Umgebung befindet, bestätigt, dass die Besiedlung mit Bakterien während der Geburt und in der frühen postnatalen Phase stattfindet“, fasst er zusammen. Die Autoren des nun publizierten Nature-Beitrags ermutigen Forscher daher, ihre Studien auf das Mikrobiom von Müttern und ihren Neugeborenen sowie auf die mikrobiellen Stoffwechselprodukte zu konzentrieren, die die Plazenta passieren und den Fötus auf ein Leben in einer mikrobiellen Welt nach der Geburt vorbereiten. Sie geben in ihrem Beitrag zudem Hinweise darauf, wie Wissenschaftler in Zukunft bei der Analyse von Geweben, in denen keine oder nur geringe Mengen an Mikroben zu erwarten sind, Kontaminationsfallen vermeiden können. (clu)

Originalpublikation: Katherine M. Kennedy, Marcus C. de Goffau, Thomas Rattei, Jens Walter et.al.: Questioning the fetal microbiome illustrates pitfalls of low-biomass microbial studies, Nature 613, pages 639–649 (2023); DOI: 10.1038/s41586-022-05546-8

(ID:49036857)

Jetzt Newsletter abonnieren

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung