Molekularer Käfig Gefangenentransport für zielgerichtete Medikation
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Ein sich selbst zusammenbauender Käfig aus Molekülen könnte Krebstherapien erleichtern. Forscher der Uni Düsseldorf haben den Molekülkäfig entwickelt und gezeigt, dass darin eingebrachte Wirkstoffe sozusagen per Knopfdruck freigesetzt werden können. Toxikologische Test mit realen Zellen stehen noch aus.

Düsseldorf – Wie baut man einen Käfig für Moleküle? Dazu müssen die Gitterstreben selbst aus Molekülen zusammengesetzt sein. Bei geeigneter Wahl der Teilkomponenten setzen sich größere, übergeordnete Strukturen sogar von allein aus ihren einzelnen Bausteinen zusammen, man spricht dann von Selbstassemblierung. Heraus kommen z. B. supramolekulare Verbindungen, die sich gut als so genannte Wirt-Gast-Systeme eignen. In solchen Fällen umgibt eine Wirtsstruktur ein Gastmolekül, kann es von der Umgebung abschirmen, schützen und transportieren – wie ein Molekül-Käfig.
Einen solchen Käfig haben Dr. Bernd M. Schmidt und seiner Arbeitsgruppe am Institut für Organische Chemie und Makromolekulare Chemie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) gesucht. Sie forschten nach einem System, das Wirkstoffmoleküle später vielleicht sogar durch den menschlichen Körper transportieren und v. a. die Fracht an einer gewünschten Stelle freigeben kann.
Selbst zusammengebaut
Fündig wurden die Forscher in Pd6(TPT)4-Käfigen: Oktaeder-förmige Strukturen aus vier dreieckigen Paneelen. An jeder Ecke des Käfigs sitzt ein Palladiumatom, über das eine lange Polymerkette gebunden ist (s. Grafik unten).
Gibt man die einzelnen Bausteine im richtigen Verhältnis in eine wässrige Lösung, so entstehen die Käfige von selbst. Kleinere, hydrophobe Moleküle passen in genau bekannter Zahl in die Käfige hinein. Dies haben die Forscher mit den Wirkstoffmolekülen Ibuprofen und Progesteron gezeigt.
Ultraschall hilft beim Öffnen
„Der besondere Clou bei unserem System sind die eingebauten Sollbruchstellen“, sagt Studienleiter Schmidt. „Die Palladiumatome verbinden alle Bausteine vergleichsweise schwach. Wenn man es schafft, diese aus dem Verbund zu zerren, bricht das ganze Oktaeder auseinander.“ Diese Eigenschaft ist nützlich, wenn die im Käfig eingesperrten Wirkstoffe wieder freigelassen werden sollen.
Um den Käfig zu öffnen, setzen die Forscher leistungsstarke Ultraschallquellen ein, wie sie beispielsweise Mediziner zur Zertrümmerung von Nierensteinen benutzen. Der Ultraschall erzeugt im Wasser Kavitationsblasen, die zerplatzen und dadurch große mechanische Scherkräfte auf die langen Ketten ausüben. Diese Kräfte sind so stark, dass sie die Palladiumatome aus den Ecken reißen und den Oktaederkäfig zerlegen. Die kleinen Wirkstoffmoleküle, di im Käfig platziert wurden, werden dabei zwar herumgewirbelt, aber nicht beschädigt.
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Nächster Schritt mit realen Zellen
Mit den Laborversuchen haben die Wissenschaftler gezeigt, dass sich die oktaedrischen Käfige potenziell für den medizinischen Wirkstofftransport eignen, etwa um Pharmazeutika nur an bestimmte Stellen im Körper zu bringen „Durch lokale Ultraschallbestrahlung des zu behandelnden Gewebes könnte man später erreichen, dass der im Käfig transportierte Wirkstoff genau dort freigesetzt wird, wo er zur Therapie benötigt wird“, sagt Dr. Robert Göstl vom Leibniz-Institut für Interaktive Materialien (DWI).
Dabei dienen die in der Studie eingesetzten Wirkstoffmoleküle nur als Test, grundsätzlich können den Forschern zufolge verschiedene hydrophobe Moleküle in den Käfig gepackt werden. Und im Gegensatz zu anderen beschriebenen Wirt-Gast-Systemen ist es nicht notwendig, die Wirkstoffmoleküle chemisch anzupassen, damit sie in den Käfig gelangen. „Für die Tumorbehandlung wäre zum Beispiel eine Beladung mit Zytostatika denkbar. Indem sie direkt bei einem soliden Tumor freigesetzt werden, könnte vielleicht eine Chemotherapie mit deutlich weniger Wirkstoff und damit mit geringeren Nebenwirkungen durchgeführt werden“, nennt Schmidt eine potenzielle Anwendung. Ebenfalls vorteilhaft für den medizinischen Einsatz ist die definierten Beladungsmenge der Käfige. So könne genau bemessen werden kann, wie viel Wirkstoff am Einsatzort freigesetzt wird.
Bei der Studie handelt es sich zunächst um ein „Proof of Concept“: Die Machbarkeit des Ansatzes wurde gezeigt. „In nächsten Schritten wollen wir überprüfen, wie reale Zellen auf unsere Käfige reagieren. Vor einem möglichen medizinischen Einsatz muss sichergestellt werden, dass sie nicht toxisch sind“, sagt Schmidt.
Originalpublikation: Robin Küng, Tobias Pausch, Dustin Rasch, Robert Göstl und Bernd M. Schmidt, Mechanochemical Release of Non-Covalently Bound Guests from a Polymer-Decorated Supramolecular Cage, Angew. Chem. Int. Ed. (2021); DOI: 10.1002/anie.202102383
* A. Claussen, Heinrich Heine Universität Düsseldorf, 40225 Düsseldorf
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