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Simulation der Lösemittelbindung an Carbenen Reaktive Dreiecksbeziehung

Redakteur: Christian Lüttmann

Auch Atome sehnen sich nach einer stabilen Bindung, das Kohlenstoffatom sogar nach vier. In Form von sogenannten Carben-Molekülen hat es jedoch nur zwei Bindungen und ist daher hochreaktiv – zumindest solange kein Lösemittel die freie Bindungsstelle blockiert. Neue Einsichten in die Reaktivität von Carbenen als Katalysator bringen nun die Computersimulationen von Bonner Forschern. Sie könnten helfen, die Effizienz der katalysierten Reaktionen weiter zu verbessern.

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Das Kohlenstoff-Atom des Carbens (gelb) bildet gleichzeitig Wasserstoffbrücken (gestrichelt dargestellt) zu zwei Molekülen aus.
Das Kohlenstoff-Atom des Carbens (gelb) bildet gleichzeitig Wasserstoffbrücken (gestrichelt dargestellt) zu zwei Molekülen aus.
(Bild: Sascha Gehrke und Oldamur Hollóczki/Uni Bonn)

Bonn – Carbene sind hoch reaktive Verbindungen. Das liegt an einem ihrer Bausteine: einem Kohlenstoff-Atom – oder genauer gesagt daran, wie dieses Atom im Carben verbaut ist. Ein Kohlenstoffatom allein verfügt über vier sogenannte „freie“ Elektronen. Mit ihnen kann es normalerweise vier Bindungen zu anderen Atomen eingehen, was es für gewöhnlich auch tut. In Carbenen bleibt diese Kontaktfreudigkeit jedoch teilweise ungenutzt: Nur zwei der vier Elektronen sind an Bindungen beteiligt. Übrig bleibt ein einsames Pärchen, das sich gerne einen Reaktionspartner schnappt, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Das Problem dabei: Carbene wirken auf viele Lösungsmittel sehr attraktiv. Ihr einsames Elektronenpaar sorgt nämlich dafür, dass sie lokal negativ geladen sind. Lösungsmittel wie Wasser oder Alkohol enthalten dagegen Wasserstoff, der lokal positiv geladen ist. Aufgrund der elektrostatischen Wechselwirkung fühlt sich dieser zu den Kohlenstoff-Elektronen hingezogen. Das Lösungsmittel-Molekül und das Carben kleben daher aneinander wie zwei Magnete.

Bedrängt wie ein Spitzenfußballer

„Dieser Mechanismus erschwert es anderen Molekülen, mit dem Carben zu reagieren“, sagt Dr. Oldamur Hollóczki vom Mulliken-Zentrum für Theoretische Chemie der Universität Bonn. Man könnte die Situation des Carbens mit der eines Mittelfeldstars vergleichen: Da sich ihm ständig ein gegnerischer Spieler an die Fersen heftet, fehlt ihm der Raum, seine gefürchteten Pässe zu schlagen.

Der Fußballer versucht dann beispielsweise, sich mit ein, zwei Haken von diesem Schatten zu befreien. Ähnlich könnte es auch in der Welt der Moleküle ablaufen: „Möglicherweise wird zunächst die Wasserstoffbrücke zwischen Carben und Lösungsmittel gebrochen, sodass genug Platz für das regierende Molekül entsteht“, mutmaßt Hollóczkis Mitarbeiter Sascha Gehrke. „Wir haben in unserer Simulation aber nun zeigen können, dass es auch einen anderen Weg gibt.“

Dreiecksbeziehung statt Partnertausch

Wie die Modellrechnungen der Forscher aufdeckten, bilden manche Carbene aufgrund ihres chemischen Aufbaus besonders starke Wasserstoffbrücken aus. Das Wasserstoffatom des Lösemittelmoleküls klebt dann so fest an den freien Elektronen des Carbens, dass es sich nicht so einfach lösen lässt.

In solchen Fällen kann sich aber eine spezielle Zwischenstruktur bilden: In dieser nimmt das einsame Elektronenpaar des Kohlenstoffs nicht nur Kontakt zum Lösungsmittel, sondern gleichzeitig auch zum Reaktionspartner auf. Es entstehen also zwei Wasserstoffbrücken, die beide vom Kohlenstoff des Carbens ausgehen: eine zum Lösungsmittel, und eine weitere zum Reaktionspartner.

Ergebnisse ermöglichen verbesserte Katalyse

Dieses Ergebnis ist auch deshalb interessant, weil es neue Möglichkeiten bietet, die katalysierte Reaktion zu beeinflussen. So sind manche Lösungsmittel einfach zu sperrig, als dass sich diese Dreiecksbeziehung ausbilden könnte. In ihnen läuft die Reaktion daher weit langsamer oder gar nur unter Wärmezufuhr statt. Umgekehrt lassen sich die Erkenntnisse nutzen, um die Katalyse auch bei niedrigen Temperaturen stattfinden zu lassen. Die Synthese würde dadurch nachhaltiger werden. „Da Carbene in vielen Gebieten der organischen Synthese eine wichtige Rolle spielen, etwa auch in der Pharma-Industrie, ist dieser Punkt natürlich von immenser Bedeutung“, betont Hollóczki.

Bislang existiert die ungewöhnliche Dreiecks-Struktur nur als Ergebnis einer Moleküldynamik-Software. Die Wissenschaftler planen nun jedoch, sie tatsächlich herzustellen und genau zu charakterisieren.

Originalpublikation: Sascha Gehrke und Oldamur Hollóczki: Hydrogen Bonding of N-heterocyclic Carbenes in Solution: Mechanisms of Solvent Reorganization. Chemistry – A European Journal; DOI: 10.1002/chem.201802286

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