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Gezielte Tumorbekämpfung Magnetische Bakterien als Wirkstoff-Fähren

Von Fabio Bergamin*

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Forscher arbeiten an neuen Wegen, Bakterien für das Gute einzusetzen: etwa als Transporter für medizinische Wirkstoffe gegen Krebs. Dabei wollen sie magnetische Bakterien nutzen und mit einem externen Magnetfeld gezielt zu den Tumoren steuern. In der Petrischale gelingt dies bereits.

Magnetische Bakterien (grau) können die Blutgefäßwand durch enge Zellzwischenräume verlassen und in Tumore eindringen.
Magnetische Bakterien (grau) können die Blutgefäßwand durch enge Zellzwischenräume verlassen und in Tumore eindringen.
(Bild: Yimo Yan / ETH Zürich)

Wie gelangen Krebsmedikamente am effizientesten zu Tumoren, um dort ihre Wirkung freizusetzen? Eine Möglichkeit ist, veränderte Bakterien als Fähren zu benutzen, welche die Wirkstoffe durch die Blutbahn hin zu den Tumoren transportieren. Forscher an der ETH Zürich haben es nun geschafft, bestimmte Bakterien so zu steuern, dass sie effizient die Blutgefäßwand durchdringen und ins Tumorgewebe eindringen können.

Als Modellbakterien nutzten die Forscher um Simone Schürle, Professorin für reaktionsfähige biomedizinische Systeme, magnetische Bakterien. Diese Bakterien der Gattung Magnetospirillum enthalten natürlicherweise Eisenoxid-Partikel und reagieren auf Magnetfelder. Daher können sie von außerhalb des Körpers mit Magneten gesteuert werden.

Eine Barriere mit Schlupflöchern

Schürle und ihr Team haben nun in Zellkultur und in Mäusen gezeigt: Ein auf den Tumor gerichtetes rotierendes Magnetfeld eignet sich besonders gut, dass die Bakterien die Blutgefäßwand in Tumornähe durchdringen. An der Gefäßwand treibt das rotierende Magnetfeld die Bakterien zu einer vorwärts gerichteten Drehbewegung an.

Um das Durchdringen der Gefäßwand besser zu verstehen, ist ein detaillierter Blick auf diese nötig: Die Blutgefäßwand ist die Barriere zwischen der Blutbahn und dem Tumorgewebe, das von vielen feinen Blutgefäßen durchzogen ist. Sie besteht aus einer Schicht von Zellen. Bestimmte Moleküle aus dem Blutstrom können durch die engen Zwischenräume zwischen den Zellen schlüpfen und damit die Gefäßwand passieren. Wie groß der Zellzwischenraum ist, wird von den Gefäßwandzellen reguliert. Vorübergehend können die Zellen den Zwischenraum auch so weit öffnen, dass andere Zellen (und damit auch Bakterien) die Gefäßwand passieren können.

Rotierend durch das Blutgefäß

Ein Antrieb der Bakterien über ein rotierendes Magnetfeld ist aus drei Gründen wirksam, wie die ETH-Forscher mit Experimenten und Computersimulationen zeigten. Erstens ist diese Antriebsart besonders stark, sodass sich die Bakterien besonders gut durch die engen Zellzwischenräume zwängen können. Der Antrieb über ein rotierendes Magnetfeld ist zehnmal stärker als ein Antrieb über ein statisches Magnetfeld, das nur die Richtung vorgibt und bei dem sich die Bakterien mit eigener Kraft fortbewegen müssen.

Zweitens sind die durch das Rotationsfeld angetriebenen Bakterien ständig in Bewegung; sie tänzeln an der Blutgefäßwand entlang. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf eine sich kurz öffnende Lücke zwischen den Gefäßwandzellen treffen, höher als bei den anderen Antriebsarten, bei denen sich die Bakterien weniger dynamisch bewegen. Und drittens: die Bakterien müssen, im Gegensatz zu anderen Methoden für die Steuerung, nicht über Bildgebung nachverfolgt werden. Ist das Magnetfeld einmal auf den Tumor ausgerichtet, werden vorbeiströmende Bakterien vom Magnetfeld erfasst.

Tests in der Petrischale waren schon erfolgreich

„Wir nutzen auch die natürliche und autonome Fortbewegung der Bakterien“, erklärt ETH-Professorin Schürle. „Haben die Bakterien die Blutgefäßwand einmal passiert und sind sie im Tumor, können sie autonom tief in ihn eindringen.“ Den Antrieb über das externe Magnetfeld nutzen die Wissenschaftler daher nur während einer Stunde, damit die Bakterien die Gefäßwand effizient überwinden und den Tumor erreichen können.

In Zukunft könnten solche Bakterien mit Krebsmedikamenten beladen werden. In ihren Zellkulturstudien simulierten die ETH-Forscher dies mittels Liposomen (Nanobläschen aus fettartigen Stoffen), die sie den Bakterien anhängten. Diese Liposomen waren mit einem fluoreszierenden Farbstoff gefüllt. Auf diese Weise haben die Forscher in der Petrischale nachgewiesen, dass die Bakterien ihre Fracht tatsächlich ins Innere von Krebsgewebe gebracht haben, wo sie sich anreicherte. In einer künftigen medizinischen Anwendung würde statt des Farbstoffs ein Medikament verwendet.

Bakterielle Krebstherapie

Der hier verfolgte Ansatz, Bakterien als Fähren für Wirkstoffe zu nutzen, ist nur einer von zwei Möglichkeiten zur Verwendung von Bakterien in der Krebsmedizin. In der Wissenschaft erlebt derzeit ein weiterer, über hundert Jahre alter Ansatz ein Revival: Bakterien bestimmter Arten können Tumore schädigen. Möglicherweise sind mehrere Wirkmechanismen daran beteiligt. Bekannt ist jedenfalls, dass die Bakterien bestimmte Zellen des Immunsystems anregen, die dann gegen den Tumor vorgehen.

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Derzeit gibt es mehrere Forschungsprojekte, in denen die Wirksamkeit von Bakterien der Art Escherichia coli gegenüber Tumoren untersucht werden. Heute ist es möglich, die Bakterien mittels synthetischer Biologie zu verändern, um ihre therapeutische Wirkung zu optimieren, Nebenwirkungen zu reduzieren und die Sicherheit zu erhöhen.

Andere Bakterien magnetisch machen

Doch auch, wenn man die inhärenten Eigenschaften von Bakterien in der Krebstherapie nutzen möchte, stellt sich die Frage, wie diese Bakterien effizient zu einem Tumor gelangen. Bei Krebsgeschwüren nahe der Körperoberfläche ist es möglich, die Bakterien in den Tumor zu injizieren. Bei Tumoren tief im Köperinnern wird das schwierig. Hier kommt die Mikrorobotik von ETH-Professorin Schürle ins Spiel. „Wir denken, dass wir mit unserem Ingenieur-Ansatz die Wirksamkeit der bakteriellen Krebstherapie erhöhen können“, sagt sie.

Die in den Krebsstudien verwendeten Bakterien der Art Escherichia coli sind von sich aus nicht magnetisch und lassen sich daher nicht über ein Magnetfeld antreiben und steuern. Überhaupt ist Magnetismus unter Bakterien ein sehr seltenes Phänomen. Magnetospirillum ist eine der wenigen Bakteriengattungen, welche diese Eigenschaft haben. Schürle möchte daher auch Escherichia-coli-Bakterien magnetisch machen. Damit könnte es eines Tages möglich sein, medizinisch wirksame Bakterien ohne natürlichen Magnetismus über ein Magnetfeld zu steuern.

Originalpublikation: Gwisai T, Mirkhani N, Christiansen MG, Nguyen TT, Ling V, Schuerle S: Magnetic torque-driven living microrobots for increased tumor infiltration, Science Robotics 26 Oct 2022, Vol 7, Issue 71; DOI: 10.1126/scirobotics.abo0665

* F. Bergamin, ETH Zürich, 8092 Zürich/Schweiz

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