Internationale Studie untersucht Süßgewässer auf Mikroplastik Plastikfalle Süßwasser
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Das Mikroplastik-Problem betrifft nicht unsere Meere allein. Eine internationale Studie an 38 Seen und Talsperren hat ergeben: Plastikpartikel-Konzentrationen im Süßwasser können noch höher sein als in den subtropischen Ozeanwirbeln, wo sich große Mengen an Plastikmüll ansammeln.

Süßgewässer können Kunststoffe in ähnlichem oder höherem Maße anreichern als die Ozeane. Dennoch wurde die globale Forschung über Plastikmüll in Süßgewässern durch zwei Hauptprobleme behindert. Erstens haben sich die Studien auf eine begrenzte Anzahl von Süßwassersystemen in begrenzten geografischen Regionen konzentriert und zweitens hat ein Mangel an standardisierten Beprobungs- und Analyseverfahren einen direkten quantitativen Vergleich zwischen den Studien erschwert.
Bislang wurden die Ergebnisse zur Plastikverschmutzung in Seen und Stauseen unkritisch verglichen und in Meta-Analysen zusammengefasst, ohne dass die Vergleichbarkeit zwischen den unterschiedlichsten Beprobungs- und Analyseprotokolle gegeben war. Keine einzige Studie wurde bisher auf einen globalen Maßstab ausgedehnt, so dass es nicht möglich war, die Ursachen der Plastikverschmutzung in Süßwassersystemen systematisch, auf globalem Maßstab zu identifizieren und zu quantifizieren.
Neuer Ansatz schließt Datenlücken zu Mikroplastik inSüßwasser
Die hier vorgestellte weltweit koordinierte und standardisierte Studie hat diese grundlegenden Lücken gefüllt (s. Abb. 1), mit dem Ziel: (1) das Vorkommen und die Häufigkeit von Plastikmüll an der Oberfläche von Süßwasserseen und Stauseen sowie (2) die wichtigsten Faktoren von natürlichen und anthropogenen Landschaften, die mit dem Auftreten von Plastikmüll in Verbindung stehen, standardisiert zu untersuchen. Konkret wurde die „Signatur“ (d. h. Häufigkeit und Art) von Kunststoffen in den Gewässern in Abhängigkeit von potenziellen Verschmutzungsquellen und von hydromorphologischen und wasserwirtschaftlichen Merkmalen, die das Auftreten und die Verteilung von Kunststoffen bestimmen, erfasst.
Hierzu wurden standardisierte Probenahmen und Analysen von Plastik (>250 μm) in Seen und Stauseen in 23 Ländern vorgenommen. Die Gewässer decken dabei ein breites Spektrum an hydromorphologischen und anthropogenen Einflüssen ab. Die Untersuchungsgebiete liegen zwar hauptsächlich in der nördlichen Hemisphäre, sind aber geographisch verteilt und umfassen ein breites Spektrum an limnologischen Merkmalen und unterschiedlichste Einzugsgebiete. Infolgedessen kann unsere Stichprobe der Studienorte als repräsentativ für die globale Variabilität der Gewässer angesehen werden. In Ermangelung von früheren Bemühungen oder praktikablen Methoden, eine weltweit repräsentative Stichprobe von >100 Millionen Seen zu nehmen, wurde ein Gradientenansatz, basierend auf dem globalen Seendatensatz HydroLakes (https://www.hydrosheds.org/products/hydrolakes) zugrunde gelegt.
So wurden Seen mit einer Größe von 0,04 bis 32.600 km2 und einer Tiefe von 1 bis 1.470 m, mit Bevölkerungsdichten von 0 bis 3.411 Einwohnern km-2 und einer städtischen Bodenbedeckung von 0 bis 98 Prozent in den Wassereinzugsgebieten untersucht. Da eine Momentaufnahme (Snapshot) durchgeführt wurde, sind zeitliche und räumliche Schwankungen des Plastikvorkommens nicht berücksichtigt. Dennoch, liefern diese Snapshots wertvolle Informationen, die verschiedenste Umweltgradienten global abdecken.
Beprobung und Gewässer
Im Zeitraum 2020 bis 2021 wurden Proben von Plastikmüll nach einem einem standardisierten Protokoll gesammelt [5]. Die Probennahme erfolgte an einem ruhigen Tag, von einem Boot mit horizontalen Schleppnetzen (Maschenweite von 50 bis 300 μm). Aus jedem See wurden drei Replikate entnommen. Die Proben stammten aus der pelagischen Zone in der Nähe des Hauptausflusses des jeweiligen Sees. Diese Art der Probennahme minimierte das Risiko, einen Teil des Gewässers nicht zu beproben und schloss aus, dass wind-induzierte Turbulenzen bei starkem Wind die Netze über oder unter die Wasseroberfläche drücken. Die drei Schleppnetz-Transekte waren senkrecht zum Ausfluss ausgerichtet. Das Netz wurde jeweils an der Backbordseite ausgelegt und die Geschwindigkeit des Bootes wurde bei etwa 1,0 bis 1,5 ms-1 gehalten, in Anlehnung an GESAMP [1]. Für jedes Schleppnetz wurden mindestens 50 m3 Wasser filtriert und die GPS-Pfade aufgezeichnet, um das filtrierte Volumen möglichst genau zu schätzen. Im Falle von Netzverstopfung wurden die Schlepppfade in kleinere Abschnitte unterteilt, um eine zwischenzeitliche Netzreinigung zu ermöglichen.
Die Proben wurden aus 38 Seen und Stauseen in 23 Ländern in der Nord- auch Süd-Hemisphäre entnommen, jedoch überwogen Gewässer in der nördlichen Hemisphäre. Die beprobten Standorte reflektierten ein breites Spektrum von limnologischen Charakteristika. Die Gewässerfläche reichte von 0,04 bis 32.600 km2 (Median = 19,50 km2), die mittlere Tiefe von 0,5 bis 580 m (Median = 9,7 m) und das Volumen von 1,8 x 10-5 bis 18.980 km3 (Median = 0,18 km3). Die Seen umfassten verschiedene Durchmischungsregime (d. h. polymiktisch, 11; monomiktisch, 12; dimiktisch, 8; und meromiktisch, 5) und trophische Zustände (d. h. ultra-oligotroph, 3; oligotroph, 10; mesotroph, 12; eutroph, 11; und hypereutroph, 2).
Plastikanalysen
Insgesamt wurden 9.425 Kunststoffpartikel identifiziert und anhand von Form, Farbe und Größe klassifiziert. Die Polymerzusammensetzung wurde in einer Teilmenge von 2.295 Partikeln (etwa 25 Prozent) mittels Mikro-Raman-Spektroskopie nach Kedzierski et al. ermittelt [2]. Das Vorkommen, die Häufigkeit und die Merkmale von Kunststoffen wurden mit den unterschiedlichsten hydromorphologischen Variablen (z. B. Fläche, Tiefe, Uferlänge und Uferlänge und Verweilzeit) und anthropogenen Einflüssen (z. B. Landbedeckung, Vorhandensein von Kläranlagen und Bevölkerungsdichte) in Beziehung gesetzt. Es wurde ein geografisches Informationssystem (GIS) verwendet, um das Wassereinzugsgebiet jedes Gewässers abzugrenzen und Informationen über den menschlichen Einfluss zu erhalten. außerdem wurden Regressions- und Redundanzanalysen verwendet, um die vorherrschenden Faktoren für die Konzentration und die Eigenschaften von Kunststoffen zu ermitteln.
Alle Proben wurden im Labor für Süßwasserökologie und Management der Universität Mailand-Bicocca (Italien) nach einem gemeinsamen standardisierten Verfahren analysiert. Die Proben wurden durch eine Maschenweite von 250 µm nass gesiebt, um die untere Größengrenze der Plastikpartikel anzugleichen, da für die Probenahme unterschiedlichste Netze der jeweiligen Institute mit leicht verschiedenen Maschenweiten verwendet wurden. Die Proben wurden 24 Stunden lang bei 60 °C mit 15 Prozent H2O2 behandelt, um organische Stoffe und Organismen, die an den Kunststoffpartikeln haften, zu entfernen. Dieses Verfahren wurde gewählt, um mögliche Schäden an den Kunststoffpartikeln zu verringern.
Die Proben wurden dann auf 0,45-µm-Glasfaserfilter (GF/F, 47 mm ∅, Whatman) gefiltert, die in sauberen Glas-Petrischalen gelagert wurden. Die Filter wurden unter einem Seziermikroskop (40x, Heerbrugg WILD M3Z) untersucht und die als Kunststoff erkannten Partikel wurden für die anschließende spektroskopische Analyse auf Objektträger übertragen. Anhand eines Katalogs morphologischer Kriterien wurden die Partikel als Mikroplastik akzeptiert oder abgelehnt. Die visuelle Klassifizierung wurde als erster zuverlässiger Schritt angesehen, da die Studie auf die größere Fraktion von Mikroplastik (>250 µm) fokussierte. Bei unsicherer morphologischer Klassifizierung wurden Raman-Spektren zur Bestätigung oder Ablehnung der Klassifizierung verwendet.
Die Bilder aller Kunststoffpartikel wurden mit einer hochauflösenden Kamera (Leica ICC50) aufgenommen (s. Abb. 2).
Die Raman-Mikrospektroskopie wurde eingesetzt, um zuverlässige Daten über die Gesamtzahl, der in jeder Probe identifizierten Kunststoffe zu erhalten. Zur Schätzung des prozentualen Vorkommens der verschiedenen Polymere der gesammelten Kunststoffe wurde die Raman-Mikrospektroskopie an einer zufälligen Teilprobe der visuell identifizierten Mikroplastikpartikel durchgeführt. Es wurde ein robustes Verfahren angewandt [3], um zunächst die Mindestanzahl der zu untersuchenden Partikel zu bestimmen, die untersucht werden müssen, um ein bestimmtes Konfidenzniveau für den geschätzten Anteil der verschiedenen Polymere in der Probe zu erreichen [2].
Eine Fehlidentifizierung nach visueller Analyse und Raman-Vorprüfung erfolgte nur selten (<3 Prozent ±2 Prozent im Durchschnitt der Proben). Alle Partikel, die sich nicht als Plastik herausstellten, wurden aus der Gesamtzahl entfernt, und wenn dies geschah, wurden weitere Partikel (entsprechend der entfernten Menge) spektroskopisch analysiert, um die Zuverlässigkeit der Schätzung zu gewährleisten. Bei Textilfasern wurden anthropogene Fasern (d. h. Fasern, die eine Mischung aus Farbstoffen und Zellulose enthalten) in die Gesamtzahl einbezogen, in Übereinstimmung mit früher veröffentlichten Arbeiten, die ihre Bedeutung für die aquatische Toxizität hervorheben. Die Kategorie „anthropogen“ wurde auch Fasern zugeordnet, bei denen der Farbstoff das Polymer verdeckte und keine anderen Informationen vorlagen. Um die Genauigkeit der Schätzung weiter zu verbessern, wurde in diesen Fällen eine gleiche Anzahl von zusätzlichen Partikeln mittels Raman-Mikrospektroskopie untersucht.
Raman-Spektren (s. Abb. 1D) wurden mit einem Horiba Jobin Yvon Lab-RAM HR Evolution Raman-System an der Abteilung für Erd- und Umweltwissenschaften, Universität Mailand-Bicocca (Italien), mit einer 800 mm Brennweite, gekoppelt mit einem luftgekühlten 1.024 × 256-Pixel „charge-coupled“ Detektor gemessen. Die Spektren wurden mit einer abgeschwächten grünen Nd-532,06-nm-Laserquelle (300 mW) und mit einer 50-fachen Vergrößerung (Olympus BXFM) aufgenommen. Das Gitter betrug 600 g mm-1 und die spektrale Auflösung pro Pixel betrug etwa 1,6 cm-1.
Es wurden zwei Spektren für jeden Partikel mit einem Spektralintervall von 222,86 bis 1.899,01 cm-1 und von 1.762,24 bis 3.177,02 cm-1 gemessen. Abhängig von den analysierten Partikeln wurden die Aufnahmeparameter geändert: die Akkumulation schwankte zwischen 1 und 3, die Integrationszeit zwischen 20 und 60 s und die Leistung zwischen 0,3 und 300 mW. Die Kalibrierung des Geräts wurde täglich auf der Grundlage der vom Raman-System-Service durchgeführten Auto-Kalibrierung in Bezug auf die Nulllinie und des Silizium-Standards (520,7 cm-1) gemäß der ASTM 1840-96-Vorschrift durchgeführt. Die Raman-Spektren wurden grundlinienkorrigiert und mit der Fityk-Software verarbeitet. Weitere Analysen der Polymerspektren wurden in R (4.0.3) durchgeführt, wobei das Paket RamanMP62 verwendet wurde. Die endgültige Identifizierung von Mikroplastik erfolgte auf Grundlage der individuellen Bewertung jedes Spektrums, z. B. durch Identifizierung der charakteristischen Banden des Polymers im Spektrum der Probe.
Ausgewählte Ergebnisse: Süßgewässer können Meere übertreffen
Die standardisierte, globale Studie erlaubte es zum ersten Mal, ein globales Bild zur Plastikverschmutzung in Süßgewässern zu geben. Die Ergebnisse sind bemerkenswert, da sie zeigen, dass die Kunststoffkonzentrationen in Süßgewässern sogar die Werte, die an einigen der am stärksten betroffenen Stellen im Meer festgestellt wurden, übertreffen können. Dabei ist zu beachten, dass die Studie sich nur auf Partikel >250 µm konzentriert hat. Wären Kunststoffe mit niedrigeren Größen einbezogen worden, wären die Konzentrationen noch höher gewesen. Fasern und Fragmente dominierten die Plastikform in den Gewässern und Polyester, Polypropylen sowie Polyethylen waren die am häufigsten gefundenen Plastikpolymere (s. Abb. 3). Das Auftreten des Plastiks konnte mit den Charakteristika der Süßgewässer und ihres Einzugsgebietes, insbesondere der Aufenthaltszeit, aber auch der Landnutzung und Bevölkerungsdichte, korreliert werden. Weitere gut standardisierte Untersuchungen, insbesondere in der Südhemisphäre, werden notwendig sein, um das gesamte Ausmaß der globalen Plastikverschmutzung sowohl in den Süßgewässern, den Ozeanen als auch an Land zu quantifizieren und die ihr zugrunde liegenden Hauptfaktoren auf globaler Ebene zu bestimmen. Die Studie basiert auf den Untersuchungen des GLEON GALACTIC Konsortium und ist in der Fachzeitschrift Nature publiziert [5].
Referenzen:
[1] GESAMP. Guidelines for the Monitoring and Assessment of Plastic Litter and Microplastics in the Ocean (United Nations Environment Programme (UNEP 2019).
[2] Kedzierski, M. et al. Microplastics in Mediterranean Sea: a protocol to robustly assess contamination characteristics. PLoS One 14, e0212088 (2019).
[3] Käppler, A. et al. Analysis of environmental microplastics by vibrational microspectroscopy: FTIR, Raman or both? Anal. Bioanal. Chem. 408, 8377–8391 (2016).
[4] Nava, V., et al. Raman Spectroscopy for the Analysis of Microplastics in Aquatic Systems. Appl. Spectrosc., Vol. 75, Issue 11, https://doi.org/10.1177/00037028211043119 (2021).
[5] Nava, V., Chandra, S., Aherne, J. et al. Plastic debris in lakes and reservoirs. Nature 619, 317–322 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06168-4
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