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Synchrotron-Mikrotomografie Ursprung des Menschen liegt doch nicht in seltsamem Mikrofossil

Quelle: Pressemitteilung Miriam Arrell* und Phil Donoghue**

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Ein 500 Millionen Jahre altes Mikrofossil galt als evolutionärer Ursprung der Wirbeltiere und damit auch des Menschen. Neue Analysen deuten nun aber daraufhin, dass diese Lebewesen doch nicht in einer Linie mit dem Mensch stehen. Diese Ergebnisse stellen eine wichtige Modifikation des frühen Stammbaums und unseres Verständnisses der Entwicklung des Lebens dar.

Die Rekonstruktionen zeigen das Fossil von Saccorhytus von vorne (a), links (b) und hinten (c).
Die Rekonstruktionen zeigen das Fossil von Saccorhytus von vorne (a), links (b) und hinten (c).
(Bild: Dinghua Yang)

Villigen/Schweiz – In 535 Millionen Jahre altem Gestein in China findet sich ein rätselhaftes Mikrofossil, dessen evolutionäre Zugehörigkeit unter Fachleuten heftig diskutiert wird. „Saccorhytus“ wurde ursprünglich 2017 als ein uraltes Deuterostom beschrieben, ein Mitglied der Gruppe, aus der unsere eigenen Vorfahren hervorgegangen sind. Es ist mikroskopisch klein – etwa ein Millimeter im Durchmesser – und ähnelt einem stacheligen, faltigen Sack, mit einem von Stacheln umgebenen Mund und Löchern, die als Kiemenporen interpretiert wurden, ein primitives Merkmal der Gruppe. Eine Theorie zum Ursprung der Deuterostomier war daher, dass diese zu sandkorngroßen Organismen im Sand oder im Meer gelebt haben könnten. Die Beweise für diese These waren jedoch immer sehr schwach. Waren die Löcher um den Mund wirklich Kiemenporen?

Forscher an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS versuchten diese Frage zu klären, indem sie tonnenweise Gestein mit konzentriertem Essig auflösten und die so freigelegten Sandkörner nach den seltenen Fossilien durchsuchten. Es stellte sich heraus, dass die Fossilien nicht so selten sind wie gedacht – die Teams bargen Hunderte von Exemplaren, von denen viele deutlich besser erhalten sind als alle zuvor gesehenen. Die neuen Funde lieferten weitere Erkenntnisse über die Anatomie und die evolutionäre Verwandtschaft von Saccorhytus. „Einige der Fossilien sind so perfekt erhalten, dass sie fast lebendig aussehen“, sagt Yunhuan Liu, Professor für Paläobiologie an der Chang'an Universität in Xi'an in China.

Saccorhytus war ein merkwürdiges Tier mit einem Maul, aber ohne Anus.

Yunhuan Liu, Professor für Paläobiologie an der Chang'an Universität in Xi'an, China

Hochauflösende Mikroskopieaufnahmen

Die wahre Geschichte der Abstammung von Saccorhytus liegt in den mikroskopischen inneren und äußeren Merkmalen dieses winzigen Fossils. Um diese zu enthüllen, nutzten die Forscher die Röntgenstrahlen der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. An der Tomcat-Strahllinie verwendeten sie eine Technik namens röntgentomographische Mikroskopie. „Diese Technik funktioniert wie ein medizinischer CT-Scanner, aber dank der sehr intensiven Strahlung moderner Synchrotronanlagen wie der SLS können winzige Merkmale von weniger als einem Tausendstel Millimeter Größe in kurzer Zeit sichtbar gemacht werden“, erklärt Federica Marone, Strahllinienwissenschaftlerin an der Tomcat der SLS.

Durch die Aufnahme von Hunderten von Röntgenbildern aus leicht unterschiedlichen Winkeln konnte mithilfe von leistungsstarken Computern ein detailliertes digitales 3-D-Modell des Fossils rekonstruiert werden. „Die Synchrotron-Mikrotomografie hat sich zu einem Schlüsselinstrument in der Paläontologie entwickelt, und diese Arbeit zeigt, welche erstaunliche Details in den Fossilien erhalten bleiben können, aber auch, wie leistungsfähig Röntgenmikroskope sind, wenn es darum geht, im Stein geborgene Geheimnisse zu lüften, ohne wertvolle und empfindliche Fossilien zu zerstören“, sagt Marone.

Revision unseres evolutionären Ursprungs

Durch die Röntgentomographien erhielten die Paläontologen schließlich eine Antwort auf die Herkunftsfrage des Mikrofossils: Saccorhytus war kein Deuterostom und hat nichts mit unserem evolutionären Ursprung zu tun. Es gibt keine Kiemenporen – die Löcher rund um den Mund entpuppten sich als die Basen von Stacheln, die während der Konservierung der Fossilien abgebrochen sind. Tatsächlich zeigten die digitalen Modelle, dass die Poren um den Mund herum durch eine andere Körperschicht verschlossen wurden, die durch sie hindurchragte, wodurch die Stacheln um den Mund herum entstanden. „Wir glauben, dass diese Stacheln Saccorhytus geholfen haben, seine Beute zu fangen und zu verarbeiten“, sagt Huaqiao Zhang vom chinesischen Nanjing Institute of Geology and Palaeontology.

Aber wenn Saccorhytus kein Deuterostom war, was war es dann? Die Forscher glauben, dass es sich bei Saccorhytus tatsächlich um ein Mitglied der Ekdysozoa handelt: eine Gruppe, die Gliederfüßer und Fadenwürmer umfasst. „Wir haben viele alternative Gruppen in Betracht gezogen, mit denen Saccorhytus verwandt sein könnte, darunter Korallen, Anemonen und Quallen, die ebenfalls einen Mund, aber keinen Anus haben“, sagt Phil Donoghue, Professor für Paläobiologie an der Universität Bristol, der die Studie mit geleitet hat. „Um das Problem zu lösen, verglich unsere Computeranalyse die Anatomie von Saccorhytus mit allen anderen lebenden Tiergruppen und kam zu dem Schluss, dass sie den Arthropoden und ihren Verwandten nahestehen, also der Gruppe, zu der auch Insekten, Krebse und Spulwürmer gehören.“

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Der mysteriöse Fall des verschwundenen Afters

Das Fehlen eines Afters bei Saccorhytus ist ein verblüffendes Merkmal an diesem mikroskopisch kleinen, uralten Organismus. Auch wenn die Frage nach dem alternativen Weg der Verdauungsabfälle (aus dem Mund, eher unerwünscht) im Raum steht, ist dieses Merkmal aus einem wichtigen Grund fundamental für die Evolutionsbiologie. Wie der Anus entstand – und manchmal auch wieder verschwand – trägt dazu bei, dass wir verstehen, wie sich der Körperbau von Tieren entwickelt hat. Wenn Forscher Saccorhytus statt zum Deuterostom zu einem Mitglied der Ekdysozoa erklären, bedeutet das, dass sie einen verschwundenen Anus aus der Geschichte der Deuterostomia streichen und ihn zu den Ekdysozoa hinzufügen.

„Dies ist ein wirklich unerwartetes Ergebnis, da die Gliederfüßer einen durchgehenden Darm haben, der sich vom Mund bis zum Anus erstreckt. Die Zugehörigkeit von Saccorhytus zu dieser Gruppe deutet darauf hin, dass er sich evolutionär zurückentwickelt hat und auf den Anus verzichtet, den seine Vorfahren geerbt haben“, sagt Shuhai Xiao von Virginia Tech in den USA, der die Studie mit geleitet hat. „Wir kennen die genaue Position von Saccorhytus im Stammbaum des Lebens noch nicht, aber sie könnte den Urzustand widerspiegeln, aus dem sich alle Mitglieder dieser vielfältigen Gruppe entwickelt haben.“

Originalpublikation: Yunhuan Liu, Emily Carlisle, Huaqiao Zhang, Ben Yang, Michael Steiner, Tiequan Shao, Baichuan Duan, Federica Marone Welford, Shuhai Xiao, Philip C. J. Donoghue: Saccorhytus is an early ecdysozoan and not the earliest deuterostome, Nature, 17.08.2022, DOI: 10.1038/s41586-022-05107-z

* Dr. M. Sarah Arrell, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen/Schweiz; ** Prof. P. Donoghue, FRS Universität Bristol, Schule für Geowissenschaften, Bristol/UK

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