Teufelskreis bei langer Schmerzmittel-Einnahme Vom Corona-Kopfschmerz in die Ibuprofen-Falle
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Die Covid-19 Erkrankung ist weg, doch die Kopfschmerzen bleiben – so geht es einigen Betroffenen nach einer Infektion mit dem Coronavirus. Zum Glück gibt es verschreibungsfreie Schmerzmittel. Doch Vorsicht: eine langfristige Einnahme kann selbst zu chronischen Kopfschmerzen führen, wie Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie warnen.

Essen – Eine der möglichen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion sind täglich auftretende, andauernde Kopfschmerzen („new daily persistent headache“/NDPH). Da normale Schmerzmedikamente bei Covid-19 assoziierten Kopfschmerzen allgemein gut wirken ist es wahrscheinlich, dass Betroffene sie über Wochen und Monate täglich einnehmen. Davor warnen allerdings Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), denn die dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln kann wiederum selbst Kopfschmerzen auslösen.
Nachwirkungen einer Covid-19-Erkrankung
Kopfschmerzen sind ein häufiges Begleitsymptom von systemischen Viruserkrankungen. Meistens entwickeln sich Kopfschmerzen in Folge einer viralen Infektion parallel zur Virusinfektion: Verschlechtert sich der klinische Status der Betroffenen, beispielsweise zu Beginn eines grippalen Infekts, nehmen die Kopfschmerzen zu, gehen aber entsprechend im Verlauf des Genesungsprozesses wieder zurück. Wer den Infekt überstanden hat, ist i. d. R. frei von Kopfschmerzen. Nicht so bei Kopfschmerzen, die im Zusammenhang mit einer akuten Covid-19-Erkrankung auftreten.
Wie ein Review in einer Fachzeitschrift der Amerikanischen Kopfschmerzgesellschaft berichtete [1], bleiben die Kopfschmerzen bei bis zu 45 % der Menschen auch nach der Covid-19-Akuterkrankung. 60 Tage später litten immerhin noch 16,5 % an den Kopfschmerzen, nach 90 Tagen noch 10,6 % und nach einem halben Jahr 8,4 % – so das Ergebnis eines systematischen Reviews, das in der Arbeit zitiert wird. „Angesichts der hohen Infektionszahlen und mittlerweile über 30 Mio. Menschen in Deutschland, die sich bisher mit SARS-CoV-2 infiziert haben, ist die absolute Zahl der Menschen, deren Leben durch Kopfschmerzen in Folge von Covid-19 längerfristig beeinträchtigt ist, sehr hoch“, sagt Prof. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN.
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SARS-CoV-2 als Trigger für tägliche Kopfschmerzen
Hinzu kommt, dass auch der individuelle Leidensdruck enorm ist. Die Autoren des Reviews führen u. a. eine Arbeit an, die zeigte, dass 61 % derer, die von „Long-/oder Post-Covid-Kopfschmerzen“ betroffen sind, täglich Kopfschmerzen haben. „Offensichtlich ist SARS-CoV-2 ein Trigger für so genannte neue täglich auftretende, andauernde Kopfschmerzen („new daily persistent headache“/NDPH), ein Phänomen, das wir bisher vor allem von Viren der Herpes-Familie kennen“, erklärt der Essener Kopfschmerzexperte Diener. Risikofaktoren für NDPH in Folge einer Covid-19-Erkrankung scheinen weibliches Geschlecht, Kopfschmerzen als ersten Covid-19-Symptom, ein eher schlechtes Ansprechen auf die Schmerzmedikation und vorbestehende Kopfschmerzkrankheiten zu sein.
Wer allerdings daraus schließt, dass Covid-19 vorbestehende Kopfschmerzerkrankungen verschlimmert, aber nicht neu auslöst, liegt falsch: In verschiedenen Studien gaben 47 bis 80 % der Patienten mit vorbestehenden Kopfschmerzerkrankungen an, dass sich die Covid-19-assoziierten Kopfschmerzen von den bisherigen unterschieden. Sie waren häufig beidseitig (während Migräne typischerweise nur einseitige Schmerzen verursacht) und dumpf-drückend, also ähnlich wie Spannungskopfschmerzen, aber bei einem Teil der Betroffenen waren sie auch von einer Geräusch- oder Lichtempfindlichkeit oder Übelkeit und Erbrechen begleitet, was man ansonsten nur von der Migräne kennt.
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Die Kehrseite von Schmerzmitteln
Eine gewisse Herausforderung stellt die Therapie dar. Zwar wirken herkömmliche, frei verkäufliche Kopfschmerzmittel relativ gut bei Covid-19-assoziierten Kopfschmerzen – zumindest wurde das für die Akutphase der Viruserkrankungen beschrieben. Sie sind aber aus zwei Gründen problematisch: Zum einen ist bekannt, dass SARS-CoV-2 auch direkt die Nieren angreift, weshalb man zumindest mit der Substanzklasse der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) vorsichtig sein sollte, zu der z. B. Ibuprofen gehört. Diese Präparate können bei längerer Einnahme in seltenen Fällen die Nieren schädigen.
Die zweite Gefahr, die sich bei täglichen Kopfschmerzen über einen längeren Zeitraum ergibt, so wie sie bei vielen Long-/Post-Covid-Betroffenen auftreten: Die tägliche Einnahme von Schmerztabletten wird zur Normalität. Das ist deshalb problematisch, weil Kopfschmerztabletten selbst Kopfschmerzen auslösen können, wenn sie zu häufig eingenommen werden – und so entsteht ein Teufelskreis, der zur Chronifizierung führt. Von einem „Medication Overuse Headache“/MOH ist bereits auszugehen, wenn an über 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auftreten und diese über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten mit einem oder mehreren Schmerzmedikamenten behandelt werden [2].
„Das Hamsterrad des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes“
„Menschen mit Wochen oder gar Monate andauernden Kopfschmerzen nach einer Covid-19-Erkrankung sollten daher sparsam mit Kopfschmerztabletten umgehen, um nicht in das ‚Hamsterrad´ des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes zu geraten“, rät Professor Peter Berlit, DGN-Generalsekretär. „Das ist natürlich leichter gesagt als getan, aber es lohnt ich in jedem Fall, auch nichtmedikamentöse Strategien auszuprobieren. Das Portfolio reicht von Bewegung an der frischen Luft über Entspannungstechniken und Stressreduktion. In schweren Fällen sollte eine auf Kopfschmerzen spezialisierte Neurologin/spezialisierter Neurologe aufgesucht werden.“
Literatur:
[1] Sampaio Rocha-Filho PA. Headache associated with COVID-19: Epidemiology, characteristics, pathophysiology, and management. Headache. 2022 Jun;62(6):650-656. doi: 10.1111/head.14319. Epub 2022 May 11. PMID: 35545780.
[2] Diener H.-C., Kropp P. et al., Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH), S1-Leitlinie, 2022; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 26.07.2022)
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