Materialforschung Biegsames Glas für flexible Smartphone-Displays
Zerbrechlich wie Glas? Nicht unbedingt, wenn es ein spezielles Glas ist. So hat eine internationale Forschergruppe mit Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein neues Glasmaterial entwickelt, das biegsam und gleichzeitig hart und leicht ist – ideale Eigenschaften für den Einsatz in flexiblen Displays.
Anbieter zum Thema

Wien/Österreich – Gläser sind ein wesentlicher Bestandteil der modernen Welt. Dabei handelt es sich im Alltag meist um sauerstoffhaltige Gläser, wie sie etwa für Fenster und Trinkgläser verwendet werden. Da derartige Gläser bei Raumtemperatur aber äußerst spröde sind und bekanntlich rasch brechen, sind ihre Einsatzmöglichkeiten in vielen Bereichen eingeschränkt.
Dass Glas bei Raumtemperatur aber wesentlich verformbarer sein kann als bisher angenommen, haben nun Forscher des Erich-Schmid-Instituts für Materialwissenschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zusammen mit Kollegen aus Finnland, Frankreich, Italien, USA, Norwegen und der Schweiz experimentell und in Simulationen festgestellt.
Kälteschock schafft Biegsamkeit
Den Erfolg bei den Forschungsarbeiten lieferten Experimente mit Aluminiumoxid, einem Bestandteil von herkömmlichem Glas. Indem die Forscher diese Substanz extrem schnell abkühlten, konnten sie im Inneren der Schmelze eine Kristallisation im Zuge der Glasherstellung verhindern und damit die Brüchigkeit des Materials drastisch reduzieren. So haben sie ein Glasmaterial hergestellt, das nicht nur extrem hart und zugleich leicht ist, sondern sich auch bei Raumtemperatur bruchfrei verformen lässt.
„Es war überraschend, dass Glas auch bei Raumtemperatur über eine so hohe Plastizität verfügen kann“, sagt Megan Cordill, Ko-Autorin der Publikation und Materialwissenschaftlerin der ÖAW. „Gemeinsam mit unseren internationalen Kollegen konnten wir zeigen, dass sich Aluminiumoxid bei Raumtemperatur und hoher Dehnungsrate dauerhaft ohne Bruch verformen kann.“ Das bei den Experimenten entstandene Glasmaterial zeichne sich dadurch aus, dass dessen Atome keine reguläre Ordnung haben, sondern zufällig gemischt werden und damit die hohe Verformbarkeit des gesamten Materials ermöglichen, wie Cordill erläutert.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/548400/548437/original.jpg)
Was Laborglas so besonders macht
120 Jahre Borosilikatglas – ein Werkstoff schreibt Geschichte
Glas strecken statt zerbrechen
Bei ergänzenden Simulationen fanden die Forscher heraus, dass das neue Material sogar eine Gesamtdehnung von 100 Prozent erreichen kann, wenn es dicht und frei von Fehlern ist. Das bedeutet, dass die Länge verdoppelt werden kann, bevor das Material bricht, wie Zugversuche, Druckversuche und Scherversuche bestätigten.
„Wir haben unsere Beobachtungen durch 3D-Messungen mittels Rasterkraftmikroskopie gemacht. So konnten wir die experimentell erreichte Verformung auch in Simulationen abbilden“, sagt Cordill.
Härter und leichter als Stahl
Das neu entwickelte Glasmaterial hat zugleich noch weitere, vorteilhafte Eigenschaften: So erwies es sich sowohl als härter und zugleich als leichter als Stahl. Auch dadurch eröffnen sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. So könnte verformbares Glas in unterschiedlichsten Geräten zum Einsatz kommen, von biegsamen und zugleich extrem soliden Smartphone-Displays über Batterien bis hin zum Maschinenbau. Weitere Forschungen mit dem neu entwickelten Material sollen helfen, dieses Potenzial für die Praxis auszuschöpfen.
Originalpublikation: E. J. Frankberg, J. Kalikka, F. García Ferré, L. Joly-Pottuz, T. Salminen, J. Hintikka, M. Hokka, S. Koneti, T. Douillard, B. Le Saint, P. Kreiml, M. J. Cordill, T. Epicier, D. Stauffer, L. Roiban, J. Akola, F. Di Fonzo, E. Levänen, K. Masenelli-Varlot: Highly ductile amorphous oxide at room temperature and high strain rate, Science 15 Nov 2019: Vol. 366, Issue 6467, pp. 864-869; DOI: 10.1126/science.aav1254
* S. Meisterle, Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), 1010 Wien/Österreich
(ID:46245630)