Deutscher Biotechnologie-Report 2020 Biotechnologie in Deutschland: Dynamische Entwicklung, schwierige Finanzierung
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Stuttgart – „Es ist schon eine beeindruckende Leistung vieler deutscher Biotech-Unternehmen, dass sie sich innerhalb kürzester Zeit auf die Coronakrise eingestellt und teilweise ihre Produktionen komplett umgestellt und angepasst haben“, sagte BIO Deutschland e.V. Präsident Oliver Schacht anlässlich der diesjährigen Vorstellung des Deutschen Biotechnologie-Reports 2020, den der Branchenverband alljährlich mit der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY erstellt.
„Eine in Zeiten von Corona hoffnungsvolle Botschaft, die ich für die Deutsche Biotechnologie tatsächlich sehe, ist die Tatsache, dass nun wohl alle Menschen bemerkt haben, dass es ohne Biotech keinen Ausweg aus der Coronakrise geben wird“, so Schacht weiter. „Das schafft eine ganz andere Akzeptanz und Sichtbarkeit der Biotech-Branche u.a. in Gesellschaft und Politik auch vor dem Hintergrund der Systemrelevanz, von der ich hoffe, dass sie nachhaltig ist und dazu beiträgt, dass die Biotech-Branche sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen kann.“
Branche mit zweistelligen Wachstumsraten 2019 bei Umsatz, Beschäftigtenzahl und F&E-Ausgaben
Die Zeichen dafür stehen nicht ganz schlecht, denn auch die „Vor-Corona-Zahlen“ für 2019, die indes vom Studienautor und Leiter des deutschen Life Science Centers von EY Dr. Siegfried Bialojan vorgestellt wurden, sind dies ebenso. Dabei war „der Anstieg der F&E-Ausgaben um mehr als 20% – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Coronakrise – wohl der positivste Effekt, was die Kennzahlen angeht“, so Bialojan. Diese und weitere Zahlen des Deutschen Biotechnologie-Reports 2020 zeigten: Die Biotechnologie-Branche in Deutschland hat sich 2019 deutlich dynamischer entwickelt als in den Vorjahren. Fast in allen Bereichen erreichten die Unternehmen zweistellige Wachstumsraten: Der Umsatz stieg um zehn Prozent auf 4,87 Milliarden Euro, die Zahl der Beschäftigten um 16 Prozent auf 33.706 Beschäftigte und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung wie bereits erwähnt sogar um 21 Prozent auf 1,79 Milliarden Euro.
Börsennotierte Unternehmen tragen den Aufschwung
Getragen wurde die Entwicklung vor allem durch die börsennotierten Unternehmen, die den Umsatz um 18 Prozent, die Zahl der Beschäftigten um 26 Prozent und die F&E-Ausgaben um 58 Prozent steigerten. Bei den Zahlen macht sich allerdings auch bemerkbar, dass BioNTech seit vergangenem Jahr an der Börse gelistet ist – und zusammen mit Qiagen und Evotec allein für 40 Prozent des Gesamtumsatzes verantwortlich ist.
Bialojan, kommentiert die Zahlen: „Insbesondere die enorme Steigerung der F&E-Ausgaben ist ein gutes Zeichen. Denn in der Vergangenheit ist es der deutschen Biotechnologie-Branche zu selten gelungen, die vorhandenen Pferdestärken auf die Straße zu bringen. Sprich: Innovative Ideen in konkrete Anwendungen umzusetzen. Gerade die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie zeigt, wie wichtig es ist, vielversprechende Ansätze effizient und schnellstmöglich zum Patienten zu bringen.“
BIO Deutschland Präsident., Oliver Schacht, hofft auf eine weitere Bestätigung des Positivtrends in den kommenden Jahren: „Um das volle Potenzial der Biotechnologie wirklich zu heben, brauchen wir ein nachhaltiges, gesundes und innovatives Wachstum der deutschen Biotechnologiebranche. Das heißt aber auch, dass wir verbesserte Rahmenbedingungen für die Finanzierung über Eigenkapital und insbesondere Venture Capital benötigen, sowie insgesamt ein funktionierendes Ökosystem für nachhaltigere Unternehmensfinanzierung.“
Finanzierung erreicht zweithöchsten Wert aller Zeiten – aber Einzelereignisse dominieren
Nach dem Rekordjahr 2018 erreichte die Finanzierung den zweithöchsten Wert aller Zeiten. So konnten die deutschen Biotechs nach dem starken Jahr 2018 erneut deutlich mehr Risikokapital einwerben: Das Gesamtvolumen stieg um knapp ein Viertel auf 479 Millionen Euro – allerdings machte davon allein die 290 Millionen-Euro-Finanzierung von BioNTech 61 Prozent aus. Im Gegensatz zum Vorjahr trugen 2019 zudem zwei Börsengänge im Gesamtwert von 191 Millionen Euro zum Finanzierungsvolumen bei – auch hier war BioNTech mit seinem 141 Millionen Euro schweren IPO maßgeblich für die Summe verantwortlich. Das Jahr 2019 ist also gewissermaßen eine 2018-Story „re-loaded“ mit einer erneuten Dominanz der Einzelereignisse.
Bialojan: „Wieder einmal zeigt sich das alte Problem, dass Kapital vor allem einzelnen Leuchttürmen zu Gute kommt – nach Abzug der Ausnahmefinanzierungen bleibt für die Gesamtbranche nur ein eher bescheidener Betrag übrig. Die beiden Börsengänge fanden zudem in den USA statt und nicht in Deutschland. Nach wie vor fehlt hierzulande ein in der Breite funktionierendes Kapitalökosystem. Insbesondere in den USA können Biotech-Unternehmen mit einer höheren Visibilität auf mehr Risikokapital und bessere Börsenverläufe hoffen.“
Professionelle Translation soll Risiken reduzieren und Finanzierung verbessern
„Eine der Haupt-Hintergrund-Überlegungen, die zum aktuellen Report geführt haben war die Frage, ob ein Drehen an der Risikoschraube zu mehr Innovation führt“, erläuterte Bialojan. „Das Risiko für Gründer – vornehmlich das finanzielle– ist in Deutschland an unterschiedlichen Stellen mitunter recht hoch“.
Um die Finanzierungssituation in Deutschland zu verbessern, spricht sich Bialojan neben den seit langem geforderten verbesserten Rahmenbedingungen zur Eigenkapitalmobilisierung auch für eine professionellere Translation aus: „Die professionell begleitete Umsetzung von Ideen aus der Forschung in marktfähige Produkte kann die Risiken des Scheiterns reduzieren und damit gleichzeitig die Chancen auf Finanzierung erhöhen. Die Entwicklung von Wirkstoffen und Therapien ist teuer und langwierig. Umso wichtiger ist es, schon in der Frühphase unternehmerisch zu denken. Helfen können hierbei beispielsweise Inkubatoren oder Plattformen, die Forschungsabteilungen mit potenziellen Geldgebern in Verbindung bringen. Gelingt es so, das unternehmerische Risiko zu minimieren, könnte dies einen weiteren wichtigen Nebeneffekt bewirken: einen Anstieg der eher verhaltenen Gründungsdynamik in der Branche.“
Mit professioneller Translation verbindet Bialojan u.a. die Identifizierung, die Evaluierung und die Maturierung der besten Ideen im Rahmen eines Startup-Supports und vergleicht die einhergehende Risikoreduzierung für die Entwicklung am Markt mit der durch die Arbeit von Enzymen herabgesetzte Aktivierungsenergie chemischer Reaktionen.
Globale Allianzen mit Dominanz deutscher Biotech-Innovationen
Bei den Fusionen und Übernahmen (M&A) spielten deutsche Biotechs 2019 eher eine Nebenrolle. Zwar stieg – vor allem dank sechs Mega-Deals, die zusammen 147 Milliarden US-Dollar ausmachten – das M&A-Gesamtvolumen im Biotech-Sektor in Europa und den USA um 28 Prozent auf 189 Milliarden US-Dollar. Allerdings taucht in der M&A-Statistik (Deals ab 100 Millionen US-Dollar) nur ein einziges deutsches Biotech-Unternehmen auf: Breath Therapeutics aus München wurde für knapp 500 Millionen Euro vom italienischen Konzern Zambon übernommen.
„Während das M&A-Geschehen US-dominiert bleibt“, so Bialojan, „sind europäische und gerade auch deutsche Biotechs aufgrund ihrer starken Ausrichtung auf innovative Technologieplattformen weniger im Fokus als mögliche Übernahmekandidaten. Stattdessen nehmen vor allem deutsche Biotech-Unternehmen wie Immatics, Curevac, Medigene und Evotec herausragende Positionen bei den internationalen Allianzen ein. Dies untermauert ihre globale Sichtbarkeit und die Attraktivität ihrer Plattformen.“
Internationalisierung könnte von Coronakrise profitieren
Die aktuelle Coronakrise könnte die Internationalisierung der heimischen Biotechnologie weiter begünstigen: „Viele deutsche Biotech-Unternehmen arbeiten derzeit mit Hochdruck an Diagnostika, Impfstoffen und Therapien gegen das neuartige Corona-Virus. Sollte einem deutschen Unternehmen tatsächlich der Durchbruch gelingen, wird dies sicherlich zu einer noch höheren internationalen Visibilität führen – und könnte der Branche zu einem weiteren Wachstumsschub verhelfen“, ergänzt Oliver Schacht von BIO Deutschland.
* D.-S. Rittmeister: Ernst & Young GmbH, 70629 Stuttgart
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