Liquid Handling Der tausendste Teil eines Liters geht um die Welt
Kleine Flüssigkeitsmengen im Mikrolitermaßstab exakt, reproduzierbar und sicher zu pipettieren, war noch vor rund 60 Jahren kaum möglich. Viele Fortschritte insbesondere der molekularbiologischen und klinischen Forschung wären indes im Millilitermaßstab nicht denkbar gewesen. Lesen Sie wie die Erfindung der Kolbenhubpipette die Laborwelt revolutionierte.
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Es gehört wohl zu den vielen Dingen, die für Menschen der Nachkriegsgenerationen heute kaum mehr vorstellbar sind: Mit dem Fahrrad auf eine wichtige Geschäftsreise zu gehen. Im Juni 1945, wenige Wochen nach Ende des 2. Weltkriegs, war indes Lübeck-Travemünde Ausgangspunkt einer solchen Radtour, die in ihrer Folge den Grundstein für das heute weltweit agierende Unternehmen Eppendorf AG legen sollte. Dr. Hans Hinz und Dr. Heinrich Netheler, zu jener Zeit beide Mitte dreißig, waren sich der Tragweite ihrer gemeinsamen Reise sicherlich noch nicht bewusst, als sie die knapp 90 km nach Hamburg radelten, um sich am Universitätsklinikum Eppendorf mit den Leitern der theoretischen Institute zu treffen.
Der Grund, warum sich die beiden Ingenieure aufmachten, war zunächst einmal ein ganz naheliegender: Die Notwendigkeit nach Kriegsende für sich und ihre Arbeitsgruppe an der bisherigen Reichsstelle für Hochfrequenztechnik, die auf dem Gebiet Radartechnik tätig gewesen war, ein neues Arbeitsgebiet zu suchen. Eines, auf dem sie ihre Kenntnisse sinnvoll anwenden und ihre technischen Geräte weiter nutzen konnten. Das Gesundheitswesen erschien ihnen unter den Eindrücken der damals vorherrschenden Situation am sinnvollsten, um Aufbauhilfe zu leisten und – bis heute Credo des Unternehmens – die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.
Der Weg sollte sich gelohnt haben: Am 7. August 1945 kam es zu einer Vereinbarung zwischen der Hochschulverwaltung und der „Arbeitsgruppe für medizinische Geräte, die eine hochentwickelte physikalische Messtechnik erfordern“, vertreten durch Herrn Dr. Heinrich Netheler. Die Hochschulverwaltung überließ ihnen darin die Baracke 25 auf dem Klinikgelände zur Unterbringung ihrer Geräteausrüstung. Die Vereinbarung war an die Bedingung geknüpft, diese Ausrüstung für „die Unterstützung der wissenschaftlichen Interessen und Bedürfnisse der theoretisch-wissenschaftlichen Institute nach deren Anweisung“ [1] einzusetzen.
Erste Meilensteine
Die Entwicklungsarbeiten an medizinischen Geräten waren zunächst nicht nur durch die anfänglich schwierige wirtschaftliche Situation herausfordernd. Es fehlten oft schlicht die notwendigen Materialien. Dennoch gelang es dem am 8. März 1946 aus der Arbeitsgruppe heraus gegründeten Unternehmen „Elektromedizinische Werkstätten GmbH“ auf Anforderung der Mediziner, in kurzer Zeit ein beachtliches Portfolio bahnbrechender neuer Geräte zu entwickeln. Aus dem Auftrag für eine Regeleinrichtung für die Konstanthaltung einer Quecksilberdampflampe erwuchs schließlich das erste kommerzielle Photometer Eppendorf, das auf der Industriemesse in Hannover 1949 als Prototyp vorgestellt wurde und das die enzymatische Analyse revolutionieren sollte. Mit der Erfolgsgeschichte des Photometers wurde die Bezeichnung Eppendorf mehr und mehr ein Begriff. Aus dem Unternehmen wurde 1963 schließlich die „Eppendorf Gerätebau Netheler & Hinz GmbH“, die zu diesem Zeitpunkt bereits 120 Mitarbeiter beschäftigte.
Die „Marburg-Pipette“
Den oben erwähnten Auftrag, der in die Konstruktion des ersten Photometer Eppendorf mündete, hatte das immer noch junge Unternehmen von Dr. Theodor Bücher erhalten, der sich vor dem Krieg als Mitarbeiter von Prof. Otto Warburg mit der Enzymforschung befasst hatte. Im Jahr 1958 – Bücher war mittlerweile Professor für physiologische Chemie an der Universität Marburg geworden – berichtete er Dr. Netheler, dass einer seiner Mitarbeiter eine Vorrichtung zur Abmessung kleiner Volumina entwickelt und bereits zum Patent angemeldet hatte. Das Interesse war sofort geweckt. Denn zu jener Zeit pipettierte man Flüssigkeiten noch mit Glaspipetten im Milliliter-Maßstab. Das Ansaugen der Flüssigkeiten erfolgte mit Pipettierhilfen wie dem Peleusball oder über eine Schlauchverbindung mit dem Mund. Letzteres konnte mitunter Probe wie Labormitarbeiter gleichermaßen gefährden. Von der mangelnden Genauigkeit und Reproduzierbarkeit insbesondere bei der Handhabung kleiner Volumina ganz zu schweigen.
Mit genau dieser Herausforderung sah sich auch der Mitarbeiter Büchers, Dr. Heinrich Schnitger konfrontiert, als er im Rahmen seiner Forschungsarbeiten kleinste Probenmengen aus der Leber von Mäusen entnehmen musste. Er entwickelte daraufhin die erste Mikroliter- oder Kolbenhubpipette, die daher noch heute den Namen „Marburg-Pipette“ oder „Schnitger-Pipette“ trägt. Im 1957 angemeldeten und 1960 erteilten Patent für die „Vorrichtung zum schnellen und exakten Pipettieren kleiner Flüssigkeitsmengen“ heißt es dazu: „Es besteht seit langem das Bedürfnis, kleinste Flüssigkeitsmengen in der Größenordnung von 1 bis 100 Mikroliter schnell und ohne zu großen Aufwand an Sorgfalt und Konzentration zu pipettieren. Die erzielbare absolute Genauigkeit, vor allem aber die Reproduzierbarkeit bei Messungen mit dem gleichen Gerät, soll möglichst nicht geringer sein als bei der Abmessung größerer Flüssigkeiten, d.h. etwa 1% für die absolute Genauigkeit und etwa 0,5% bis 0,5‰ für die Reproduzierbarkeit“ [2].
Die erste Kolbenhubpipette war eine Luftpolsterpipette und arbeitete nach dem Verdrängungsprinzip, über einen beweglichen Kolben und eine darunter liegende Luftsäule. Schon Schnitger sah für seine Konstruktion Aufsteckspitzen aus „einem chemisch indifferenten und wasserabstoßenden Kunststoff, z.B. Polyäthylen“ [2] als Wegwerfartikel vor, die als einzige mit der Flüssigkeit in Berührung kamen.
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