Nanographen als elektrisches Schaltelement Wie frustriertes Graphen magnetisch wird
Kohlenstoff ist eigentlich nicht bekannt für seine magnetischen Eigenschaften. Trotzdem haben Empa-Forscher nun einen winzigen Magneten aus Kohlenstoff hergestellt. Das besondere Molekül in Form einer Fliege könnte noch kleinere elektrische Schaltungen ermöglichen.
Anbieter zum Thema

Dübendorf/Schweiz – Graphen besteht zwar nur aus einer Lage Kohlenstoffatome, ist aber äußerst vielseitig. So kann das zweidimensionale Nanomaterial eine unterschiedlich große Fläche einnehmen – von einer ausgedehnten Decke bis zu kleinen Flocken. Je nach Form und Ausrichtung der Ränder weisen Graphen-Nanostrukturen (auch Nanographene genannt) ganz unterschiedliche Eigenschaften auf: Sie können etwa elektrisch leitend, halbleitend oder isolierend sein.
Eine Eigenschaft war bisher aber praktisch unerreichbar: Magnetismus. Empa-Forschern ist es nun gemeinsam mit Kollegen der Technischen Universität Dresden, der Aalto Universität in Finnland, dem Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz sowie der schweizerischen Universität Bern gelungen, auch Graphen diese Eigenschaft zu verleihen. Sie haben eine Nanostruktur gebaut, die magnetische Eigenschaften besitzt – und damit ein entscheidendes Bauteil für Spin-basierte Elektronik sein könnte, die bei Raumtemperatur funktioniert.
Wie aber ist es möglich, dass Graphen „magnetisch“ wird? Die Antwort liegt in der Struktur des neu hergestellten Moleküls.
Topologische Frustration von Graphen
In Graphen sind die Kohlenstoffatome wie in einem Bienenwabengitter angeordnet. Jedes Kohlenstoffatom geht dabei mit seinen drei Nachbarn entweder Einfach- oder Doppelbindungen ein. Im Modell zeichnet man Graphen daher mit alternierenden Einzel- und Doppelbindungen als so genannte Kekulé-Struktur. Sie ist nach dem deutschen Chemiker August Kekulé benannt, der diese Darstellung im Jahr 1865 zuerst für die einfachste aromatische Verbindung, Benzol, vorschlug. Aus dem quantenmechanischen Ausschlussprinzip von Wolfgang Pauli folgt dabei, dass sich die Elektronenpaare im gleichen Orbital jeweils in ihrer Drehrichtung – dem Elektronenspin – unterscheiden müssen.
„Bei bestimmten, aus Sechsecken aufgebauten Strukturen ist es allerdings unmöglich, eine alternierende Abfolge von Einfach- und Doppelbindungen zu finden, die die Bindungsanforderungen aller Kohlenstoffatome erfüllt. Dann bleibt gezwungenermaßen ein Elektron – oder auch mehrere – außen vor, das keine Bindung eingehen kann“, erklärt Shantanu Mishra von der Empa. Dieses Phänomen der unfreiwillig ungepaarten Elektronen nennt sich „topologische Frustration“.
Magnetismus im Kohlenstoffgitter
Doch wie werden topologisch frustrierte Nanographene magnetisch? Hier kommen die Spins der Elektronen ins Spiel: Die Drehung eines Elektrons um seine eigene Achse bewirkt nämlich ein winziges Magnetfeld, ein magnetisches Moment. Wenn sich wie üblich zwei Elektronen mit gegensätzlichen Spins in einem Orbital eines Atoms befinden, so löschen sich diese Magnetfelder gegenseitig aus. Ist ein Elektron hingegen allein in seinem Orbital, so bleibt das magnetische Moment bestehen – und ein messbares Magnetfeld ist die Folge.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1647100/1647141/original.jpg)
Superresolution-Mikroskopie
Wie Nano-Graphenflocken die Bildauflösung steigern
Ein Kelch-Molekül als Nanoschalter
Ein einzelnes ungepaartes Elektron macht die Graphenflocke allerdings noch nicht zu einem Miniatur-Magneten. Dazu braucht es noch eine Stufe mehr. Bereits in den 1970er-Jahren hat der tschechische Chemiker Erich Clar die entscheidende Graphen-Struktur vorausgesagt, die als „Clar’s Goblet“ bekannt ist.
Sie besteht aus zwei symmetrischen Hälften (wie eine Fliege am Jackett) und ist so aufgebaut, dass in jeder der Hälften ein Elektron topologisch frustriert bleiben muss. Da die beiden Elektronen aber doch über die Molekülstruktur miteinander verbunden sind, sind sie antiferromagnetisch gekoppelt – das heißt, ihre Spins zeigen zwingend in entgegengesetzte Richtungen.
In seinem antiferromagnetischem Zustand könnte das Goblet als logisches Nicht-Gatter, also als Invertor, wirken: Wird der Spin am Eingang umgedreht, so muss sich der am Ausgang ebenfalls drehen. Wichtig dabei ist, dass das Gatter in seinem antiferromagnetischen Zustand stabil bleibt. Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass eine künftige spintronische Schaltung auf der Basis von Graphen-Nanostrukturen auch bei Raumtemperatur fehlerfrei funktioniert. (s. Ergänzendes zum Thema).
Die Energie, die beim Betrieb des Gatters bei Raumtemperatur frei wird, darf also nicht dazu führen, dass eines der beiden ungepaarten Elektronen seinen Spin alleine wechselt. Denn dadurch würde das Nanopgraphen in den ferromagnetischen Zustand gelangen (mit beiden Spins in dieselbe Richtung).
Clar’s Goblet als reales Molekül
Bislang waren Raumtemperatur-stabile, antiferromagnetische Kohlenstoff-Nanostrukturen lediglich theoretisch vorausgesagt. Zum ersten Mal gelang es nun den Forschern, eine solche Struktur praktisch herzustellen und so die Theorie zu bestätigen. „Die Struktur zu realisieren ist anspruchsvoll, da Clar’s Goblet einerseits höchst reaktiv ist, und andererseits die Synthese sehr komplex ist“, sagt Mishra. Die Forscher realisierten Clar’s Goblet aus einem Vorläufermolekül im Ultrahochvakuum auf einem Goldsubstrat.
In Experimenten zeigten sie, dass die Austauschkopplungsenergie zum Wechsel vom antiferromagnetischen in den ferromagnetischen Zustand mit 23 meV relativ hoch ist. Das lege nahe, dass Spin-basierte logische Operationen bei Raumtemperatur stabil sein könnten. „Damit ist ein kleiner aber wichtiger Schritt Richtung Spintronik gelungen“, sagt der Empa-Forschungsgruppenleiter Prof. Dr. Roman Fasel.
Originalpublikation: S Mishra, D Beyer, K Eimre, S Kezilebieke, R Berger, O Gröning, CA Pignedoli, K Müllen, P Liljeroth, P Ruffieux, X Feng, R Fasel: Topological frustration induces unconventional magnetism in a nanographene, Nat Nanotechnol (2019); DOI: 10.1038/s41565-019-0577-9
Weitere Literatur:
E Clar: The Aromatic Sextet, Wiley, Volume13, Issue5, page 200, May 1973; DOI: 10.1002/zfch.19730130531
R Landauer: Irreversibility and Heat Generation in the Computing Process, IBM J Res Dev, Volume: 5, Issue: 3, Pages 183-191, July 1961; DOI: 10.1147/rd.53.0183
WL Wang, OV Yazyev, S Meng, E Kaxiras: Topological Frustration in Graphene Nanoflakes: Magnetic Order and Spin Logic Devices, Phys Rev Lett Vol. 102, Iss. 15 - 17 April 2009; DOI: 10.1103/PhysRevLett.102.157201
Manuel Melle-Franco: Bow in awe to the new nanographene, Nature Nanotechnology (2019); DOI: 10.1038/s41565-019-0601-0
* K. Weinmann, EMPA Eidgenössische Material- Prüfungs-und Forschungsanstalt, 8600 Dübendorf/Schweiz
(ID:46291200)