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Speicherprozesse im Gehirn Wo liegt die Erinnerung an unsere Einschulung?

Autor / Redakteur: Sophie Ehrenberg * / Christian Lüttmann

Der erste Strandurlaub, die Einschulung, der erste Kuss – gewisse Momente bleiben uns ein Leben lang im Gedächtnis. Wie sich solche Ereignisse im Gehirn einprägen, haben Forscher vom Leibniz-Institut für Neurobiologie genauer untersucht. Was sie über die unterschiedliche Verarbeitung von zeitlichen und räumlichen Informationen gelernt haben, verrät der folgende Beitrag.

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Die eigene Einschulung bleibt Vielen noch Jahrzenhnte im Gedächtnis. Wie das Gehirn solche prägenden Momente speichert haben Magdeburger Forscher untersucht.
Die eigene Einschulung bleibt Vielen noch Jahrzenhnte im Gedächtnis. Wie das Gehirn solche prägenden Momente speichert haben Magdeburger Forscher untersucht.
(Bild: Pixabay / geralt, TeroVesalainen, annca; gemeinfrei / CC0 )

Magdeburg – Die Einschulung ist für einen jungen Menschen ein besonderes Ereignis. Die meisten erinnern sich noch daran, wo und mit wem sie diesen Tag verbracht haben. Dabei hilft ihnen das episodische Gedächtnis, in dem räumliche und zeitliche Informationen zu persönlichen Erlebnissen verankert sind.

Das episodische Gedächtnis ermöglicht es, dass wir Erfahrungen, die wir in einer bestimmten Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt erlebt haben, auch Jahre später noch in Gedanken abrufen können: „Im episodischen Gedächtnis werden unsere persönlichen Erlebnisse kodiert – also alles, was wir irgendwann irgendwo gemacht haben“, sagt Prof. Dr. Magdalena Sauvage, Leiterin der Abteilung „Funktionelle Architektur des Gedächtnisses“ am Leibniz-Institut für Neurobiologie.

Jedoch bleibt es nur einigen wenigen Momenten – zum Beispiel der Einschulung – vorbehalten, sich förmlich ins Gedächtnis einzubrennen. „Es muss schon etwas sein, das uns stark geprägt hat, damit es in Erinnerung bleibt“, betont die Expertin. „Interessant ist dabei: War uns bei unserer Einschulung beispielsweise besonders wichtig, mit wem wir sie verbracht haben, wird die Erinnerung auf andere Weise im Gehirn kodiert, als wenn wir uns erinnern, wann und wo die Feier stattfand.“

Ort und Zeit beim Erinnern getrennt gespeichert?

Aus früheren Studien wussten die Forscher bereits, dass das Was und Wo von Erlebnissen durch separate Pfade im Gehirn abgespeichert wird. „Es gibt ein traditionelles Zwei-Wege-Modell für das episodische Gedächtnis, das jedoch die zeitliche Dimension nicht klar mit einbezieht. Außerdem basiert es auf der Annahme, dass räumliche und zeitliche Informationen im Hippocampus systematisch integriert werden. Aktuellere anatomische und funktionelle Studien haben uns jedoch darauf schließen lassen, dass dieses Konzept nicht vollständig ist“, macht Sauvage deutlich.

Deshalb hat das Forscherteam um die Neurobiologin weiterführende Verhaltensexperimente mit Mäusen gemacht, die auch bei Menschen durchgeführt werden. Bei diesen Experimenten spielten räumliche und zeitliche Komponenten eine Rolle. Innerhalb von einer Stunde bekamen die Tiere zwei Varianten von Objektsets präsentiert. Ob sich eine Maus an die Positionen bestimmter Objekte und den Präsentationszeitraum erinnert hat, machten die Wissenschaftler an der Reaktion der Mäuse fest: Diese wandten sich zuerst den Objekten mit geänderter Lage zu oder waren mehr an den zuerst gezeigten Objekten interessiert.

Vereinbarkeit von zwei gängigen Theorien

Ergänzend zu der Verhaltensbeobachtung setzten die Wissenschaftler bildgebende Verfahren auf molekularbiologischer Ebene ein: Die Zellen der Mäuse wurden unter dem Mikroskop mit fluoreszierenden Markern auf das Gen Arc untersucht. Dieses spielt bei plastischen Prozessen eine wichtige Rolle, wenn sich Aktivitätsmuster im Gehirn ändern, um Informationen dauerhaft einzuspeichern. „Wir konnten dadurch sehen, wenn bestimmte Hirnbereiche aktiviert sind und die Anzahl der beteiligten Nervenzellen auszählen“, sagt Sauvage.

Beim Auswerten stellten die Forscher fest: Im Hippocampus sind die Unterregionen CA1 und CA3 beide an der Bildung des episodischen Gedächtnisses beteiligt, aber auf unterschiedliche Art. „Erstmalig konnten wir zeigen, dass zeitliche Informationen nur in einem bestimmten Bereich der Unterregion CA1 und räumliche Informationen in den beiden Unterregionen CA1 und CA3 gespeichert werden.“

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen den Forschern zufolge, dass zwei gängige Theorien zum Erinnern unter bestimmten Bedingungen durchaus miteinander vereinbar sind: Zum einen das traditionelle Modell für die Bildung eines episodischen Gedächtnisses und zum anderen das Konzept von getrennten Netzwerken für die Speicherung von räumlichen und zeitlichen Informationen. „Es handelt sich demzufolge um verschiedene Aspekte des gleichen Konzepts und diese Erkenntnis ist ein Durchbruch“, fasst Studienleiterin Sauvage zusammen.

Originalpublikation: Zachery Beer, Peter Vavra, Erika Atucha, Katja Rentzing, Hans-Jochen Heinze, Magdalena M. Sauvage: The memory for time and space differentially engages the proximal and distal parts of the hippocampal subfields CA1 and CA3. PLOS Biology, August 28, 2018; DOI: 10.1371/journal.pbio.2006100

* S. Ehrenberg, Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN), 39118 Magdeburg

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