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Biomarker-Konstellationen bei MS Multiple Sklerose: Wie NMR und Machine Learning die Diagnostik verbessern können

Autor / Redakteur: Judith Huss* / Dr. Ilka Ottleben

Patienten mit Multipler Sklerose können jüngsten Forschungsergebnissen zufolge in verschiedenen Phasen der Krankheit über metabolomische Biomarker, gemessen mittels NMR, unterschieden werden. Diagnostik und Therapie der Erkrankung könnte so deutlich spezifischer werden. In Regensburg wird nun ein IVD-Test entwickelt. Dabei helfen Artificial Intelligence und Machine Learning den Entwicklern, die hohe Komplexität dieser Anforderung zu bewältigen.

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Abb. 1: Die bereits auf dem Markt verfügbaren Axinon-Testsysteme von Numares erlauben die Analyse von Metaboliten und Lipoproteinen auf Basis von Körperflüssigkeiten.
Abb. 1: Die bereits auf dem Markt verfügbaren Axinon-Testsysteme von Numares erlauben die Analyse von Metaboliten und Lipoproteinen auf Basis von Körperflüssigkeiten.
(Bild: Numares)

Die Nutzung metabolomischer Konstellationen anstelle einzelner Biomarker rückt immer stärker in den Fokus der In-Vitro-Diagnostik, um auch für bisher ungeklärte diagnostische Fragestellungen den behandelnden Ärzten Informationen zur Verfügung zu stellen. Das Regensburger Unternehmen Numares arbeitet dabei mit der physikalischen Messmethode der Kernspinresonanzspektroskopie und nutzt Machine-Learning-Tools (Künstliche Intelligenz) zur Entwicklung innovativer diagnostischer Tests. Ziel ist die Identifizierung von Stoffwechselzusammenhängen, die spezifisch auf eine Erkrankung zurückzuführen sind.

Der erste, auf dieser Technologie basierende Test, den Numares in den Markt eingeführt hat, dient der Früherkennung einer Nierenabstoßung nach Transplantation (renalTX-Score). Aktuell arbeitet das Unternehmen an einer Vielzahl von weiteren Tests. Besondere Bedeutung misst man dabei einem möglichen Einsatz bei neurodegenerativen Erkrankungen bei, deren Diagnostik komplex und aufwändig ist. Ein aktuell von Numares gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelter IVD-Test könnte zur verbesserten Diagnostik von verschiedenen Stadien bei Multipler Sklerose erheblich beitragen.

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Multiple Sklerose – Krankheit der 1000 Gesichter

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Krankheit des zentralen Nervensystems. Die Ursachen der „Krankheit der 1000 Gesichter“ sind nicht gänzlich geklärt. Besonders betroffen sind junge Erwachsene, vor allem Frauen zwischen 20 und 40 Jahren. MS-Symptome treten oftmals lange nicht in Erscheinung und auch der Verlauf der Krankheit gestaltet sich höchst unterschiedlich.

Um die Diagnostik zu präzisieren und deutlich früher als bisher die Notwendigkeit einer Therapieumstellung zu identifizieren, arbeiten Numares und die Universität Oxford an einem In-Vitro-Diagnostik (IVD)-Test. Bisher kann der Übergang von schubförmiger, rezidivierend-remittierender MS (RRMS) zu sekundär progredienter MS (SPMS) nur im Nachhinein festgestellt werden. Ein diagnostischer Test, der diese Veränderung anhand von metabolomischen Biomarker-Konstellationen frühzeitig erkennt, würde eine viel frühere Anpassung der Therapie erlauben. Die Zusammenarbeit mit Numares kam zustande, weil Forschungsergebnisse der Universität Oxford zeigten, dass MS-Patienten in verschiedenen Phasen der Krankheit über metabolomische Biomarker, gemessen mittels Kernspinresonanzspektroskopie (NMR), unterschieden werden können.

Biomarker-Konstellationen – NMR als Methode der Wahl

Werden Biomarker auf herkömmliche Art und Weise identifiziert, untersucht man meist nur wenige potenzielle Kandidaten auf ihre Aussagekraft für die jeweilige dia­gnostische Fragestellung. In der Regel ist dies zeitintensiv und aufwändig, da die Untersuchungen typischerweise experimentell erfolgen. Um jedoch metabolomische Konstellationen (krankheitsspezifische Stoffwechselzusammenhänge) zu finden, müssen viele Metaboliten gemessen werden. Hier liegt ein wesentlicher Vorteil der NMR, die eine sehr präzise Bestimmung von circa 400 körpereigenen Metaboliten in einer Messung ermöglicht. Mathematisch ergeben sich daraus rund acht Milliarden mögliche Metaboliten-Konstellationen – und übertragen auf den bisherigen Ansatz damit acht Milliarden potenzielle Biomarker.

Ergänzendes zum Thema
LP-Interview mit Dr. Maximilian Zucker, Leiter der Entwicklung bei Numares

LP: Bei der Entwicklung Ihrer Testsysteme setzen Sie stark auf Artificial Intelligence und Machine Learning. Wie können diese Software-basierten Technologien konkret bei der Entwicklung eines IVD-Tests für Multiple Sklerose helfen?

Dr. Maximilian Zucker: Meiner Erfahrung nach ist die Identifikation von geeigneten Biomarkern ein zentrales Thema in der IVD-Entwicklung. Wir nutzen NMR-Technologie in Verbindung mit der von uns entwickelten Magnetic-Group-Signaling (MGS)-Technologie. Dadurch können mehrere 100 Metaboliten gleichzeitig gemessen werden. Viele andere Verfahren konzentrieren sich – anders als wir – auf einige wenige Marker-Kandidaten. Es ist offensichtlich, dass durch unser Vorgehen Marker, genauer gesagt metabolomische Konstellationen, gefunden werden können, die mit klassisch-chemischen Methoden unentdeckt geblieben wären. Damit sollte es möglich sein, Tests zu entwickeln, die bisher nicht möglich waren. Die Frage, wie man geeignete Biomarker selektiert und kombiniert, um optimale Ergebnisse zu erzielen, beantwortet uns Künstliche Intelligenz. Mithilfe von KI werden alle denkbaren Kombinationen systematisch analysiert, denn der Vorteil der großen Zahl an Marker-Kandidaten, führt auch zu der Frage, wie man die richtigen extrahiert. Bei näherer Betrachtung ist das eine beeindruckend komplexe Fragestellung, die wir mit den hochentwickelten mathematischen Methoden der KI bearbeiten. Übrigens ist unser Algorithmen- und Software-basierter Ansatz hinsichtlich eines anderen zentralen Themas der IVD-Entwicklung hochspannend, nämlich der Industrialisierung: Klassische Diagnostika sind Reagenzien, deren Produktion sehr aufwändig sein kann. Bei uns besteht die Produktion aus dem Kopieren und Verteilen von Software, was kostensparend realisiert werden kann.

LP: Warum setzen Sie bei der Darstellung bzw. Verfolgung krankhafter Prozesse im Körper von Patienten auf die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR)?

Dr. Zucker: Ein wesentlicher Vorteil der NMR liegt in der Präzision dieser Technologie. Wenn man Marker kombiniert, können sich Impräzisionen ungünstig aufsummieren, sodass ein Ergebnis potenziell unbrauchbar wird. Eine möglichst präzise Technologie ist notwendig – das ist die NMR. Was bei der diagnostischen Anwendung der NMR aber oft fehlt, ist die Möglichkeit, eine große Zahl von Proben zu vermessen. Dank der Magnetic-Group-Signaling (MGS)-Technologie kann man Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) für hochstandardisierte und schnelle Tests einsetzen und für diagnostische Zwecke in der Routine nutzen.

LP: In welchen Bereichen und Indikationsgebieten sehen Sie weiteres Potenzial, um Metabolomics nutzbringend in der Humandiagnostik einzusetzen?

Dr. Zucker: Das ist sicherlich ein weites Feld! Tumor-Diagnostik und -Staging, Therapie-Monitoring, Organfunktionsmessungen sind nur einige von vielen spannenden Optionen. In diesen Bereichen hat Metabolomics das Potenzial, einen echten Mehrwert für unsere Gesundheitsversorgung zu liefern. Ich glaube nicht, dass heute schon abgesehen werden kann, wo die Grenzen von Metabolomics in der Diagnostik liegen und bin sehr gespannt, was uns die Zukunft bringen wird!

Mittels Machine-Learning Komplexität bewältigen

Hier die richtigen Kandidaten zu identifizieren, ist experimentell nicht mehr möglich; an die Stelle des Experiments treten deshalb Algorithmen der Künstlichen Intelligenz (KI): Der Prototyp – in diesem Fall die Software – lernt, welche der acht Milliarden Metaboliten-Konstellationen sinnvoll sind und bewertet die gefundenen Ergebnisse nach verschiedenen Kriterien. Am Ende dieses Prozesses stehen typischerweise maximal ein Dutzend metabolomische Konstellationen, durch Künstliche Intelligenz algorithmisch aus der enorm großen Grundgesamtheit ausgewählt. Die Auswahl des finalen Kandidaten erfolgt dann ganz klassisch experimentell, womit auch sichergestellt ist, dass alle regulatorischen Anforderungen an ein Medizinprodukt erfüllt werden.

Standardisierung, Automation und Qualifizierung

Um metabolomische Biomarker mittels Kernspinresonanzspektroskopie zu messen, zu unterscheiden und die Ergebnisse für die In-Vitro-Diagnostik einzusetzen, bedurfte es auch einer Weiterentwicklung der Nutzung der NMR-Basistechnologie. Numares hat mit Magnetic Group Signaling (MGS) eine Technologie entwickelt, um NMR für die Beantwortung anspruchsvoller Fragen in der Metabolomik nutzen zu können. MGS umfasst eine Vielzahl technischer Prozesse, durch die eine für die IVD unabdingbare Standardisierung, Automatisierung und Qualifizierung gewährleistet werden. Diese Voraussetzungen ermöglichen die systematische Erhebung und Nutzung diagnostischer Informationen aus dem Stoffwechsel und schaffen damit die Voraussetzung für den Einsatz von KI zur Identifikation von Metaboliten-Konstellationen.

Ergänzendes zum Thema
LP-Tipp – zu Numares

Die bereits unter dem Markennamen Axinon auf dem Markt verfügbaren Testsysteme von Numares erlauben die Analyse von Metaboliten und Lipoproteinen auf Basis von Körperflüssigkeiten. Sie versetzen Ärzte und klinisches Personal in der klinischen Routine und medizinischen Forschung in die Lage, innerhalb kürzester Zeit wertvolle Daten über Entstehung, Ausmaß und Schweregrad von Krankheiten zu gewinnen. Sie lassen sich für Diagnose, therapeutische Entscheidungen und Patientenmanagement einsetzen. Die Testsysteme sind einfach in der Handhabung, erlauben das vollautomatische Prozessieren und lassen sich nahtlos in bestehende Laborabläufe integrieren.

Gemeinsam arbeiten nun die Universität Oxford und Numares daran, das diagnostische Potenzial dieses NMR-Technologie-Ansatzes in einen kommerziell verfügbaren IVD-Test umzusetzen. Nur durch die Sicherung der hohen Informationsqualität, mittels MGS in der NMR, sowie durch den erfolgreichen Einsatz von Künstlicher Intelligenz, können Krankheitsbilder mit Stoffwechselzusammenhängen für diagnostische Zwecke in Verbindung gebracht werden. Die Forschungsergebnisse aus Oxford können somit für die Entwicklung eines IVD-Tests genutzt werden, der Patienten mit fortschreitender MS identifiziert, und bei der Anpassung der Therapie unterstützt.

* J. Huss: Ira Wülfing Kommunikation, 80802 München

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