Food Science Vom Labor auf die Speisekarte: Lebensmittel von morgen
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Was essen wir in Zukunft? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler auf der ganzen Welt. Sie entwickeln Fleisch, das keines ist, Wasser zum essen und knusprige Chips aus glibberigen Quallen. Diese und weitere ungewöhnliche Projekte aus den Lebensmittelwissenschaften finden Sie hier.

Jeden Tag ein Schnitzel – das war einmal. Viele Menschen versuchen heute bereits, ihren Fleischkonsum zu reduzieren oder komplett auf Fleischprodukte zu verzichten. Und langfristig wird wohl jeder an den Punkt kommen, die eigenen Essgewohnheiten neu zu überdenken. Denn um die wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft nachhaltig ernähren zu können, ist die klassische Viehzucht schlicht nicht effizient genug – von Fragen des Tierwohls einmal abgesehen.
Besonders Rindfleisch hat einen vergleichsweise hohen Ressourcenbedarf an Wasser, Futtermitteln und der benötigten Fläche. Hinzu kommt die Belastung der Umwelt durch Treibhausgase, die Kühe beim Wiederkäuen und Verdauen verstärkt produzieren. Kurzum: Als ein Grundpfeiler der Ernährung scheinen Kühe, aber auch Schweine und Hühner nicht mehr zeitgemäß. Alternative Lebensmittel sind gefragt. Ein besonders vielversprechender Kandidat sind Insekten. Für ein Viertel der Weltbevölkerung ist diese Nahrungsquelle bereits vollkommen selbstverständlich und Teil der Esskultur. In Deutschland und vielen Regionen Europas hingegen sind gegrillte Heuschrecken und frittierte Mehlwürmer noch immer ein exotisches Geschmackserlebnis.
Projekte der Food Science: Acht neue Wege der Ernährung:
Näher an echtem Fleisch ist da der Ansatz, Muskelzellen im Labor zu züchten und in Fleischimitate für Burger Patties zu verarbeiten. Auch das Manipulieren von Pflanzenproteinen zu neuartigen Lebensmitteln wie veganen Shrimps ist ein verbreiteter Versuch, fleischlose Produkte auf dem Markt zu etablieren.
Nicht immer geht es in den Lebensmittelwissenschaften um Fleischersatz. Auch essbare „Trinkpäckchen“ sind eine Entwicklung aus dem Labor, die vor allem Symbolcharakter als Zeichen gegen die Plastikvermüllung hat. Und manchmal wollen die Forscher einfach zeigen, was mit chemischen Methoden heutzutage möglich ist: Etwa die Produktion eines künstlichen Whisky-Getränkes in nur 24 Stunden. Der folgende Teil dieses Beitrags gibt Einblicke in acht spannende Food-Science-Projekte.
1) Trinken zum Essen: essbare Getränke
Wasser in Plastikflaschen soll der Vergangenheit angehören. Ein erster Schritt dahin sind die Ohoo Bubbles des Londoner Start-Ups „Skipping Rocks Lab“. Die walnussgroßen, wassergefüllten Beutel bestehen aus einer transparenten Folie, die vollständig biologisch abbaubar ist: entweder in vier bis sechs Wochen auf dem Kompost – oder einfach direkt im Magen, denn die Ohoo Bubbles sind komplett essbar. So wird aus einem Schluck Orangensaft ein beherzter Biss in die Ohoo Bubble.
Die Folie der essbaren „Trinkpäckchen“ besteht aus Notpla, so nennen die Entwickler ihr Material aus Natriumalginat (einem natürlichen Derivat von Braunalgen) und Calciumchlorid.
Die 15 bis 100 ml großen Wasserbällchen lassen sich durch Sphärifikation herstellen. Dabei gibt man eine wässrige Lösung von Alginat portionsweise oder als gefrorene Eiskugeln in eine Lösung von Calciumchlorid. Das Alginat reagiert dann mit den Calciumionen und bildet vernetzte Molekülketten, die eine dünne Membran an der Grenzfläche formen. Die Technik ist schon lange bekannt aus der Molekularküche oder vom Bubble Tea.
„Skipping Rocks Lab“ treibt das Verfahren aber noch weiter als bisher und hat eine eigene Produktionsanlage entwickelt. Damit stellen sie etwa Ketchup oder Salatdressings in den kleinen Beuteln her, ebenso wie alkoholische Shots. Das Prinzip der essbaren bzw. bioabbaubaren Verpackung übertragen die Entwickler zudem auf Frischhaltefolien oder „Plastik“-Tüten.
Testessen von Getränken der Skipping Rocks Labs, gezeigt in einem Marketingvideo vom Youtube-Kanal CNBC:
Tipp: Anleitung für selbstgemachte Fruchtperlen
In einer Versuchsanleitung der Universität Koblenz wird erklärt, wie man Molekularküche zu sich nach Hause bringt. Mit ein paar Zutaten kann jeder selbst kleine essbare Perlen mit Fruchtsaftfüllung herstellen.
2) Insektenburger und anderes „Novel Food“
Über zwei Milliarden Menschen essen bereits Insekten. Die Krabbeltiere bieten schließlich viel Protein und sind eine exzellente Quelle von Omega-3-Fettsäuren, B-Vitaminen und wichtigen Mineralstoffen. Im Gegensatz zur klassischen Viehzucht benötigen Insekten deutlich weniger Wasser und Futter, um dieselbe Menge essbares Fleisch zu erzeugen. Das macht ihre Zucht umweltfreundlicher als die von Schweinen und Rindern.
Trotz zahlreicher Vorteile wird diese Nahrungsquelle in Deutschland allerdings noch von vielen mit Skepsis betrachtet. So ergab eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov aus dem Jahr 2019, dass sich nur 22 Prozent der Deutschen überhaupt vorstellen können, Insekten zu essen. Ein angelernter Ekel vor den Insekten erschwert die Einbindung in den Speiseplan. Helfen sollen verarbeitete Produkte. So bietet das Start-Up Bugfoundation in Osnabrück Burger an, deren Fleischpatties aus gemahlenen Buffalowürmern bestehen, den Larven des Getreideschimmelkäfers.
Neben herzhaften Burgern können auch Süßigkeiten aus Insekten hergestellt werden. Die einfache Variante ist die mit Schokolade überzogene, gegrillte Heuschrecke. Doch auch Schokolade selbst lässt sich aus Insekten herstellen, wie ein Projekt des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik zeigt. Dort hat ein Team um Volker Heinz ein Rezept für weiße Schokolade entwickelt, das statt weißer Kakaobutter den Fettanteil von Mehlwürmern nutzt. Das sorgt für den Schmelz der noch nicht im Markt erhältlichen Schokolade.
Eine rechtliche Grundlage für Insekten-Lebensmittel gibt es übrigens erst seit Januar 2018. Da hat die EU die so genannte Novel-Food-Verordnung auf Insekten ausgedehnt, sodass diese nun eine Zulassung als Lebensmittel brauchen (bzw. überhaupt bekommen können). Im Mai 2021 wurde die erste Zulassung in der EU erteilt: für den Gelben Mehlwurm, die Larve des Käfers Tenebrio molitor. Für Produkte auf Insektenbasis, die schon vor 2018 auf dem europäischen Markt waren, gilt eine Übergangsregelung, sodass keine Insekten-Lebensmittel ein Verkaufsverbot erhalten mussten.
Weitere Infos zu essbaren Insekten bietet die Verbraucherzentrale auf ihrer Seite.
Auch Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben sich essbaren Insekten gewidmet. Sie wollen Mehl aus Insektenpulver entwickeln, das sich beispielsweise für die Brotherstellung eignet:
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Novel Food
Brot aus Insektenmehl: Forscher optimieren Backeigenschaften
Insekten als Lebensmittel? Darüber spricht Insektenkoch Frank Ochmann im Interview mit der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) auf der Grünen Woche 2019. Am Ende des Videos gibt es eine Verkostung einiger Insekten-Sorten:
3) Gallertartiger Genuss?
Quallen: glibberig, gefährlich – und ein Gaumenschmaus? Tatsächlich könnte der gallertartige Seebewohner ein schmackhafter Baustein unserer Ernährung werden. An der dänischen Syddansk Universität forschen Gastrophysiker an Möglichkeiten, wie sich Quallen in einen bekömmlichen, knusprigen Snack verwandeln lassen. Hierfür hat sich ein einfacher Trick als wirksam erwiesen: Ein Bad in Alkohol. Das entzieht den Quallen einerseits das Wasser, ohne deren Struktur zu zerstören. Andererseits löst der Alkohol bestimmte Proteine aus dem Gewebe, die für die gelartige Konsistenz der Qualle verantwortlich sind. Nach Verdampfen des Alkohols verwandelt sich die Textur von gummiartig zu knusprig. Heraus kommen Quallenchips, die frittiert zu einem besonders knusprigen Snack werden.
Mehr Hintergründe zu der Forschung an Quallen als Nahrungsmittel zeigt der Beitrag über die Polymerphysik des Kochens.
Originalpublikation: M. T. Pedersen, J. R. Brewer, L. Duelund, P. L. Hansen: On the gastrophysics of jellyfish preparation, International Journal of Gastronomy and Food Science, Volume 9, October 2017, Pages 34-38, DOI: 10.1016/j.ijgfs.2017.04.001
4) Ein Whisky in 24 Stunden
Es ist kein Getränk, es ist ein Erlebnis: Whisky wird von Liebhabern mitunter wie eine Religion zelebriert. Die Spirituose blickt auf Jahrhunderte an Braukunst zurück und vereint Tradition und natürliche Zutaten. Und dann kommt ein amerikanisches Start-Up und stellt all das auf den Kopf.
Das US-Unternehmen Endless West hat es sich zur Aufgabe gemacht, sozusagen Instant Whisky aus dem Labor zu kreieren. Dazu analysiert das Team zunächst die geschmacks- und geruchsgebenden Komponenten und schlüsselt diese chemisch auf. Wenn die Zutatenliste steht, setzten die Gründer von Endless West eine Art molekularen Whisky zusammen – Aromastoff für Aromastoff. Jede einzelne Zutat ist dabei ein Extrakt eines natürlichen Aromas, einige haben für sich genommen einen eher unangenehmen Geruch wie käsiger Schweiß. Doch in geringen Konzentrationen sorgen sie in der finalen Mischung mit reinem Ethanol für ein „rundes“ Gesamtergebnis.
Statt jahrelanger Reifung im Holzfass können die Mitarbeiter von Endless West binnen 24 Stunden ihren künstlichen Whisky herstellen. Doch selbst wenn sie jede noch so kleine Nuance analysieren und in der korrekten Menge ihrem Getränk zufügen würden, ein echter Whisky kommt am Ende nicht dabei raus – der muss per Definition mindestens drei Jahre im Holzfass gereift sein.
Einblicke in die Entwicklung des Whisky-Getränks „Glyph“ sowie eine Blindverkostung mit fünf echten Whiskeys zeigt diese Kurzreportage von Vice News:
5) Ein Burger mit Beef, ohne Ärger mit Tierschützern?
Unter zwei Euro für ein halbes Pfund Hackfleisch – Fleisch ist in Deutschland ein erschwingliches Grundnahrungsmittel. Doch viele Experten bemängeln, dass unser Fleischkonsum zu hoch ist und dass die versteckten Kosten davon nicht ansatzweise berücksichtigt werden. Dabei geht es um Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft, die den Klimawandel vorantreiben. Oder um Verunreinigungen durch Dünger, der die Wasserqualität beeinträchtigt und größeren Reinigungsaufwand des Trinkwassers erfordert. Würde man all diese Aspekte mit bezahlen, so müsste Fleisch über 2,5-mal so teuer sein wie aktuell. Dies hat eine Studie der Uni Augsburg im Auftrag der Lebensmittelkette Penny Markt ergeben.
Weniger Fleisch essen wäre ein Weg, diesen Kosten zu begegnen. Doch Forscher weltweit arbeiten auch an einer anderen Idee: In-vitro-Fleisch aus dem Labor. Längst ist es möglich, Muskelgewebe aus Stammzellen zu züchten und so Fleisch zu produzieren, ohne eine einzige Kuh zu schlachten – jedenfalls seit an alternativen Nährmedien für die Zellkulturen geforscht wird. Bis vor wenigen Jahren diente noch fast ausnahmslos Kälberserum aus dem Blut ungeborener Kälber als Nährlösung. Um daran zu kommen, mussten die Muttertiere getötet werden. Heute gibt es erste Alternativen auf Pilz- oder Pflanzenbasis.
Einer der Pioniere bei in-vitro-Fleisch ist das niederländische Unternehmen Mosa Meat. Dessen Gründer Mark Post machte 2013 Schlagzeilen, als er den ersten Burger aus Rinderstammzellen vor laufender Kamera verkostete. Ein teures Vergnügen, wird der Preis dieses einen Burgers doch mit 250.000 Euro angegeben. Um dem Burger einen authentzisch fleischigen Geschmack zu verleihen, werden nicht nur Muskelzellen, sondern auch Fettgewebe gezüchtet und zusammengemischt. So entsteht ein Gehacktes, welches in Aussehen und Konsistenz einem natürlich produzierten Fleischprodukt gleicht. Das Ziel von Unternehmensgründer Post ist, durch Massenproduktion einen Verkaufspreis von neun Euro pro Burger Patty zu ermöglichen.
Einen Ausschnitt der Verkostung des ersten in-vitro-Burger-Patties zeigt dieses Video:
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Forschungskooperation
Merck entwickelt Bioreaktoren für Produktion von kultiviertem Fleisch
6) Shrimps für Menschen mit Krustentierallergie
Schätzungsweise einer von Tausend reagiert allergisch auf Krustentiere. Diese Betroffenen dürften besonders erfreut über eine neue Form von „Garnelen“ sein, die auch für Menschen mit Krustentierallergie geeignet sind. Das verspricht das Unternehmen New Wave Foods aus dem amerikanischen Stamford. Wie das geht? Mit einer Rezeptur aus Seegras und Mungobohnen-Protein. Daraus fertigen die Entwickler die veganen Meeresfrüchte, die durch ein spezielles Herstellungsverfahren eine ähnliche Textur haben wie ihr maritimes Vorbild. In den USA sind die „Fake Shrimp“ bereits erhältlich. Ihr Preis soll mit dem von Premium Garnelen aus dem Meer vergleichbar sein.
7) Ei ohne Huhn
Was war zuerst da: Huhn oder Ei? Diese Frage stellt sich bei dem Unternehmen Clara Foods gar nicht erst. Dort wird Eiweiß nämlich ganz ohne Huhn gemacht – und ohne Ei. Die Lebensmittelchemiker nutzen Fermentation, um aus Zucker das Ei-Protein herzustellen. Der Schlüssel zu dieser Umwandlung sind spezielle Hefezellen, die so umprogrammiert wurden, dass sie Zuckermoleküle nicht zu Alkohol umsetzen, sondern eben zu Eiweißprotein.
8) Ungewöhnliche Eiscremes: ohne Milch und ohne Schmelzen
Eiscreme ist ein weltweiter Verkaufsschlager. Neben neuen Geschmacksrichtungen entstehen aber auch gänzlich neue Rezeptoren für das beliebte Dessert. So hat der Lebensmitteltechnologe Christian Zacherl vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) an einem Eis ohne Milch geforscht – genauer gesagt an einer alternativen Proteinquelle für Eis und andere Milchprodukte. Das ist besonders interessant für alle Veganer oder Menschen, die keinen Milchzucker vertragen. Als Ausgangsstoff nutzt er Sonnenblumenkerne. Diese werden schonend kaltgepresst, und das restliche Öl mithilfe von Ethanol extrahiert. Zurück bleibt ein Presskuchen, der reich an Sonnenblumenprotein ist. Er wird nach dem Trocknen zu einem einen weißen Pulver gemahlen. Dieses bildet, gemischt mit Wasser, eine quarkartige Masse, die sich als Grundzutat für Eis oder Jogurt ohne tierische Produkte eignet.
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— 金座和アイス原宿店 (@kanazawaice) July 5, 2017
Noch ungewöhnlicher ist die Eisvariante, die japanische Forscher 2017 entwickelten: Ein Eis, was nicht schmilzt (s. Original-Tweet oben). Möglich wird das durch Beimischen von Polyphenolen, einem weit verbreiteten Naturstoff, den die Lebensmittel-Wissenschaftler aus Erdbeeren gewannen. Die Polyphenole stabilisieren die Fetttröpfchen in der Eiscreme und sorgen dafür, dass Eiskugeln selbst bei 30 °C für eine halbe Stunde in Form bleiben, wie Entwicklungsleiter Tomihisa Ota von der Kanazawa University berichtet. Einen Haken hat die neue Rezeptur allerdings: die Konsistenz der Eiscreme wird dadurch eher gel- bzw. gummiartig und hat nicht mehr viel mit dem klassischen italienischen Eis gemein.
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